Seit einigen Monaten gibt es die Festbrennweiten der Art-Familie von Sigma auch mit E-Bajonett für die Spiegellosen von Sony. Jüngster Spross: Das große, fast schon wuchtige 105mm F1.4 DG HSM. Sigma verspricht „so gut wie keine Abbildungsfehler bei unglaublicher Auflösung und atemberaubendem Kontrast“. Ob’s stimmt? Ich habe das 105er bei zwei Shootings und weiteren Gelegenheiten ausprobiert.

Schon mein erster Kontakt mit dem 105mm F1.4 DG HSM | Art macht klar: Sigma setzt auf Glas, nicht auf elektronische Spielereien, um eine möglichst gute Abbildungsleistung zu erzielen. Rund 1650 Gramm wiegt das Porträttele, der Filterdurchmesser beträgt nicht weniger als 105 Millimeter. Da ist es nur gut, dass Sigma diesem Brummer eine (abnehmbare) Stativschelle spendiert hat.

Sigma 105 ART -Portrait

Portraitfotos sind ganz klar eine Domäne des Sigma 105mm F1.4 DG HSM.

Für das hohe Gewicht ist nicht nur der große Durchmesser der Linsen verantwortlich, sondern auch deren hohe Zahl. Nicht weniger als 17 Elemente in 12 Gruppen hat Sigma verbaut – für eine Festbrennweite ein beachtlich hoher Aufwand. Setzt man das Objektiv wie ich an die Alpha 7R II oder Alpha 7 III von Sony, verschwindet die Kamera fast dahinter.

Handling und Autofokus

Ich habe das Sigma 105mm F1.4 DG HSM | Art vor allem bei zwei Model-Shootings „on location“ ausprobiert – frei Hand und ohne Stativ. Da zerrt das hohe Gewicht des Objektivs schon etwas am Bizeps. Zum Glück habe ich sowohl für die Alpha 7R II als auch die Alpha 7 III einen zusätzlichen Batteriegriff. Er hilft, die Objektiv-/Kamerakombination besser auszutarieren und ist vor allem bei Hochformataufnahmen praktisch unverzichtbar.

Sigma 105 ART -Fashion

Wozu braucht man eigentlich ein 105er mit Lichtstärke F/1.4? Zum Beispiel für Fashion-Fotos, bei der die Schärfeebene deutlich auf das Model beschränkt bleiben soll.

Wie exakt, schnell und zuverlässig der Autofokus arbeitet, hat mir gut gefallen. Das gilt ausdrücklich auch für die schon ältere Alpha 7R II und deren Augen-AF. Allerdings haben es Julia und Antonia, die beiden Models, dem Autofokus auch leicht gemacht und ihre Posen schön gehalten, bis die Aufnahmen im Kasten waren.

Mit Action-Motiven und bei hohen Serienbildraten habe ich das Sigma 105mm F1.4 DG HSM | Art nicht ausprobiert. Nach meinem Verständnis ist es dafür auch nicht gemacht. Leider auch nicht für die Aufnahme kleiner Objekte. Denn die Naheinstellgrenze liegt bei 100 Zentimeter, daraus resultiert ein Abbildungsmaßstab von 1:8,3.

Sigma 105 ART -Still

Für Sachaufnahmen und Stills eignet sich das Sigma 105mm F1.4 DG HSM nur bedingt, weil sein größter Abbildungsmaßstab mit 1:8,3 recht gering ist.

Sigma hat mir neben der neuen Sony-Variante auch eine Ausführung des 105ers für Canon mit MC-11-Adapter geschickt. Obwohl hier die Kommunikation zwischen Objektiv und Kamera erst übersetzt werden muss, hat diese Kombination nicht schlechter oder langsamer scharf gestellt. Einziger Unterschied, den ich wahrgenommen habe: Bei der Sony-E-Variante waren Blenden- und Fokusgeräusch etwas leiser.

Sigma 105 ART -Canon-Variante

Die per Adapter MC-11 (Vordergrund) an die Alpha 7R II angeschlossene Canon-Variante des Sigma 105mm F1.4 DG HSM habe ebenso gut funktioniert wie die Version mit Sony-E-Mount.

In Sachen Ausstattung gibt sich das neue 105er von Sigma spartanisch oder (je nach Sichtweise) puristisch. Ein AF-/MF-Umschalter und ein Fokusring – mehr gibt es an dem Objektiv nicht zu bedienen. Ich habe nichts vermisst, Videofilmer würden sich jedoch sicherlich eine optionale stufenlose Blendensteuerung wünschen.

Bildqualität

Wenn es um die Bildqualität des 105mm F1.4 DG HSM geht, gerät Sigma ins Schwärmen. Ein „Bokeh-Monster“ sei das Objektiv, es kenne „so gut wie keine Abbildungsfehler bei unglaublicher Auflösung“ und das alles mit „atemberaubendem Kontrast“.

Gut, dass das Objektiv auch mit dem Autofokus der Alpha 7R II so problemlos zusammenarbeitet. Immerhin mehr als 42 Megapixel löst die Kamera auf – da sollten Schwächen bei der optischen Auflösung auffallen. Doch man kann noch so kritisch hinsehen, die Zoomstufe am 5K-Retina-Display von 100 auf 200 Prozent erhöhen: Das Sigma 105mm F1.4 DG HSM ist (innerhalb der Fokusebene) stets schärfer, als es einem Model lieb sein kann. Mit „stets“ meine ich: beginnend ab Offenblende F/1.4. Gnadenlos schält es feinste Hautunreinheiten heraus, findet noch das dünnste Härchen, das sich ins Gesicht verirrt hat.

Sigma 105 ART -Schärfe

Das Sigma 105mm F1.4 DG HSM liefert aufgeblendet auf F/1.4 nicht nur ein perfektes Bokeh …

Sigma-105-ART--Schärfe-100Crop

… sondern auch eine gnadenlose Schärfe (wie dieser 100%-Ausschnitt zeigt).

OK, Objektive, die rasiermesserscharf abbilden, können andere auch bauen. Doch dann mangelt es oft in anderen Bereichen, zum Beispiel beim Bokeh. Für ein 105er, wohl die bevorzugte Brennweite für Fashion-Fotografen, ein wichtiger Aspekt.  Aber auch hier gibt sich das Sigma 105mm F1.4 DG HSM | Art keine Blöße. Das Bokeh ist butterweich, durch Punktlichtquellen hervorgerufene Unschärfescheiben werden bis zum Bildrand hin gleichmäßig gefüllt und ohne störenden Zwiebelringeffekt wiedergegeben. Anderseits wahrt das Objektiv auch im Unscharfen Kontrast und Farbe, wodurch sich ein herrlicher 3D-Look einstellt. Das gilt ausdrücklich nicht nur bei sehr weit geöffneten Blenden. Selbst abgeblendet auf F/2.0, ja F/2.8 zeichnet das 105er von Sigma noch ein wirklich ansehnliches Bokeh.

Sigma 105 ART -Bokeh

Dass das Sigma 105mm F1.4 DG HSM wie versprochen ein „Bokeh-Monster“ ist …

Sigma-105-ART--Bokeh-100Crop
… zeigt dieser 100%-Ausschnitt (Alpha 7 III bei ISO 1250 und F/1.4): Die Spitzlichter im Hintergrund sind sehr gleichmäßig, weisen keine Zwiebelringe auf und zeigen nur ganz wenig Korn.

Gibt es denn gar nichts zu kritisieren? Jedenfalls nicht in Sachen chromatische Aberration, genauer gesagt: Farbquerfehler. Kontrastkanten innerhalb der Schärfeebene können das Sigma 105mm F1.4 DG HSM | Art jedenfalls nicht zu Farbsäumen provozieren – allerdings werden laterale chromatische Aberrationen als einzige Störung bereits in der RAW-Datei korrigiert.

Wesentlich lästiger und schwerer zu korrigieren sind in der Regel Farblängsfehler oder sogenannten „Bokeh-CAs“. Sie zeigen sich als Farbsäume an Kontrastkanten im Unscharfen und zwar vor und hinter der Fokusebene mit unterschiedlichen Farben. Aber auch in dieser Hinsicht kann ich Entwarnung geben: Zwar produziert das 105er Art in Extremfällen (glitzernde und funkelnde Chromteile) mitunter Bokeh-CAs – aber die sind derart schwach ausgeprägt, dass sie keinerlei Einfluss auf den Bildeindruck haben.

Sigma 105 ART -Bokeh-CA
Auch Chromglitzern stellt das Sigma 105mm F1.4 DG HSM vor keine Probleme. Bokeh-CAs treten, wenn überhaupt …

Sigma-105-ART--Bokeh-CA-200Crop… derart dezent auf, dass schon die 200%-Vergrößerung wie hier nötig ist, um sie überhaupt sichtbar zu machen.

Die einzige kleine Schwäche, die ich am 105mm F1.4 DG HSM von Sigma ausmachen konnte, ist die Vignettierung bei sehr großen Blenden. Die Randabdunklung fällt dann zwar durchaus kräftig aus, aber mit einem derart weichen Verlauf, dass sie kaum ins Auge sticht. Erst wenn man in Lightroom das Korrekturprofil aktiviert wird, fällt auf, um wieviel die Außenbereiche bei F/1.4 bis F/1.6 tatsächlich aufgehellt werden.

Mein Fazit

Mir ist bislang kein Portraitobjektiv untergekommen, das mich in der Summe der Eigenschaften derart überzeugt hat, wie das Sigma 105mm F1.4 DG HSM | Art. Schärfe: gnadenlos. Bokeh: weich wie Softeis. Abbildungsfehler: Fehlanzeige.

Sicher, das Nikkor AF-S 105mm 1:1.4 E ED ist optisch fast ebenbürtig – aber eben nicht ganz. Und es muss trotz seines höheren Preises mit einer Kunststofffassung auskommen. Für mich spielt das 105er von Sigma  in der Liga eines Zeiss Otus 1,4/85 mm, hat diesem aber den Autofokus voraus.

Sigma 105 ART -Fazit

So gut, ja nahezu perfekt das Sigma 105mm F1.4 DG HSM | Art ist: es bleibt ein Spezialobjektiv, mit klarem Fokus auf die Portrait-, Fashion- und Hochzeitsfotografie. Um es mal eben mit in die Fototasche zu stecken, ist es einfach zu schwer und groß. Aber es muss ja auch nicht unbedingt jeden Tag an die Kamera, denn mit einem Listenpreis von ca. 1500 Euro (und einem Straßenpreis von gut 1400 Euro) ist das 105er von Sigma angesichts des Gebotenen fast schon ein Schnäppchen.

PRO

  • Herausragende Abbildungsqualität
  • sehr hohe Lichtstärke
  • treffsicherer und exakter Autofokus (an Sony Alpha 7R II und Alpha 7 III)
  • hervorragendes Preis-/Leistungsverhältnis

CONTRA

  • groß und schwer
  • vignettiert bei großen Blenden
  • keine stufenlose Blendensteuerung

Technische Daten: Sigma 105mm F1.4 DG HSM | Art

Produktbezeichnung105mm F1,4 DG HSM | Art
ProduktlinieA - Art
VerwendungszweckReisen, Natur / Landschaft, Menschen / Portrait
ObjektiveigenschaftenDG, HSM
Brennweite (mm)105 mm
Lichtstärke (F)F/1.4
Bildwinkel (diagonal) max.23,3°
Optischer Aufbau (Linsen/Gruppen)17 Linsen in 12 Gruppen
Anzahl Blendenlamellen9
Kleinste Blende (F)16
Naheinstellgrenze (cm)100 cm
Größter Abbildungsma?stab1:8,3
Filterdurchmesser (mm)105 mm
Abmessungen - AD x L?nge (mm)115,9 mm x 131,5 mm
Gewicht (g)1645 g
spritzwassergeschütztJa
mitgeliefertes ZubehörKöcher, Frontdeckel, Stativschelle (TS-111)