Foto Zeiss Otus 1,4/85 mm Apo-Planar3999 Euro für eine manuell zu fokussierende Kleinbild-Festbrennweite aufzurufen – das ist mutig. Aber mit dem Otus 1,4/85 mm bekommt man ja auch „das beste kurze Teleobjektiv der Welt“ und „die kompromisslose Qualität von Mittelformatsystemen zum erschwinglichen Preis“, sagt Zeiss. Wir haben uns das mal genauer angesehen:

Kleinbildkameras wie die Nikon D800 / D810 oder Sony alpha 7R bieten eine Sensorauflösung, die bislang dem Mittelformat vorbehalten war. Doch oftmals mangelt es an Objektiven, die diese in adäquater Weise ausnutzen könnten. Genau das will Zeiss mit der relativ neu aufgelegten Otus-Serie ändern und verspricht fürs hochauflösende Kleinbildformat eine Bildqualität auf Mittelformatniveau sowie nichts weniger als die Spitze der Objektivbaukunst erklommen zu haben.

Schnitt Zeiss Otus 1,4/85

Wir hatten Gelegenheit, das Otus 1,4/85 an einer Nikon D800 sowie einer Sony alpha 7 und alpha 7R – und bereits ganz kurz an einer brandneuen alpha 7 II – auszuprobieren. Mit von der Partie war zum Vergleich eine Rolleiflex Hy6 mit dem Rückteil Leaf AFI-II 7.

Aufwendige Konstruktion

Bei der Konstruktion der Otus-Serie (neben dem 1,4/85 gibt es auch noch ein 1,4/55) hat Zeiss aus dem Vollen geschöpft. Das Planar mit elf Linsen in neun Gruppen soll das Motiv möglichst fehlerfrei auf dem Sensor abbilden. Und das gelingt dem Objektiv ausgesprochen souverän. Alles, was während der Aufnahme in der Fokusebene liegt, wird derart scharf und kontrastreich fotografiert, dass sich jedes Nachschärfen in Lightroom oder Capture One nahezu erübrigt. Im Gegenzug zeichnet das 85er Otus ein wunderbar weiches Bokeh, auch noch abgeblendet auf f/4. Dieser Gegensatz aus kontrastreicher Schärfe und luftig weicher Unschärfe verleiht Aufnahmen mit dem Otus 1,4/85 eine Plastizität, wie sie kaum ein Kleinbildobjektiv sonst dazustellen vermag.

Selbstredend, dass auch das Auflösungsvermögen des 85er Otus phantastisch ist und sicherlich mit den 36 Megapixeln der alpha 7R oder Nikon D800 bei Weitem noch nicht an seine Grenzen stößt. Ein Kollege, der für anspruchsvolle Shootings auf seine Rolleiflex Hy6 mit dem Back Leaf AFI-II 7 setzt, konstatiert, „dass das Otus an einer Kleinbildkamera eine zum Mittelformat vergleichbare Bildqualität erreicht. Zumindest solange man nicht die im Mittelformat heute erhältlichen 80 Megapixel braucht.“

Zeiss verspricht: „Die optische Korrektur des Otus 1,/85 verhindert nahezu alle denkbaren Bildfehler“. Ohne dass ich dem Objektiv jetzt in einem Testlabor auf den Zahn gefühlt habe, kann ich doch sagen: Das Otus 1,4/85 löst dieses Versprechen ein. Verzeichnung oder Vignettierung sind ihm völlig fremd; ebenso Farbsäume, die durch chromatische Aberration entstehen. Das gilt vor allem auch für longitudinale chromatische Aberrationen (sogenannten „Bokeh-CAs“), die sich schwer per Software korrigieren lassen. Bei der Farbwiedergabe zeigt sich das Otus 1,4/85 eher von der neutralen Seite, wodurch sich für den einen oder anderen Fotografen vielleicht ein etwas kühler Unterton ergibt – doch heute tragen die Einstellungen im RAW-Konverter sowieso ein wesentlich größeres Scherflein zur Farbwiedergabe bei als das Objektiv.

Rund 4.000 Euro kostet das 1,4/85 Otus, damit übersteigt sein Preis den fast aller aktuellen Kleinbildkameras. Angesichts seiner optischen Leistung ist der Preis jedoch durchaus gerechtfertigt. Das gilt ebenso für die Mechanik und die Fertigungsqualität. Objektivtubus und mitgelieferte Steulichtblende sind aus massivem Metall gefertigt, so dass sich ein recht hohes Gewicht von 1140 Gramm für die Nikon-Variante (ZF.2) ergibt, nochmals 60 Gramm mehr drückt die Version für Canon (ZE) auf die Waage. Auf einen Autofokus verzichtet Zeiss bei der Otus-Serie, dafür gibt es einen sehr breiten und griffig gummierten Fokusring. Von der Naheinstellgrenze bei 80 Zentimeter Motiventfernung bis zur Unendlichstellung dreht der Ring rund 360 Grad. Die Nikon-Variante kommt mit einem klassischen Blendenring, der gerne noch etwas straffer laufen dürfte.
 

Foto Otus 1,4/85 mm Apo-Planar

 
Schwergewicht in der Praxis

Neben den optischen und mechanischen Qualitäten des Objektivs hat uns auch interessiert, wie es sich mit dem Otus 1,4/85 in der Praxis umgehen lässt, zumal das 85er Otus für ein Kleinbildobjektiv ausgesprochen groß und schwer ist. Derzeit gibt es drei Kleinbildkameras, die mit einer Sensorauflösung von 36 Megapixel in Regionen vorstoßen, die zuvor dem Mittelformat vorbehalten waren: Die Nikon D800/D800E, deren Nachfolger Nikon D810 und die Sony alpha 7R. An die Nikon-Modelle passen die Otus-Objektive ohne Verrenkungen, für die Sony benötigt man einen Adapter von Nikon-F- auf Sony-E-Mount. Die Canon-Version der Otus-Objektive lässt sich ebenfalls ans Sony-E-Bajonett adaptieren, nötig wird dazu allerdings ein Adapter, der die elektronische Steuerung der Blende erlaubt; etwa der MB-EF-E-BM4 von Metabones (ca. 500 Euro). Schade, dass Zeiss die Otus-Serie nicht von Haus aus mit einem Anschluss für das Sony-E-Bajonett anbietet; zumal Canon (noch) keine Kamera mit einer mittelformattypischen Auflösung im Angebot hat. Zum Anschluss der Nikon-Variante an eine Sony-alpha reicht ein rein mechanischer Adapter, ich habe mich für den hochwertigen NEX/NIK von Novoflex (ca. 170 Euro) entschieden. Zu diesem Adapter bietet Novoflex eine Stativschelle an, die mir angesichts des ordentlichen Gewichts des Otus 1.4/85 an der zierlichen Sony alpha 7/7R dringend angeraten schien. Leider lässt sich die zusätzliche Stativschelle nicht anbringen, wenn die alpha-7-Kameras mit dem zusätzlichen Vertikalgriff VG-C1EM versehen sind.

An einer Nikon D800 spielen alle diese Überlegungen keine Rolle, sogar die elektronische Blendensteuerung funktioniert mit den Otus-Objektiven. Aber es stellt sich ein anderes Problem: die Objektive der Otus-Reihe können ja ausschließlich manuell fokussiert werden, dafür sind heutige DLSR-Sucher jedoch nicht mehr ausgelegt. Während es bei der üppig bemessenen Mattscheibe einer Mittelformatkamera kaum Schwierigkeiten bereitet, den Fokus manuell auf den Punkt genau zu setzen, ist das im vergleichsweise kleinen Sucher der Nikon D800 praktisch nicht möglich. Immerhin gibt es bei der D800 eine Fokuswaage links unten im Sucher, die beim Scharfstellen hilft. Wenn dort die Fokusbestätigung aufleuchtet, ist die Region unter dem aktuell gewählten AF-Punkt im Fokus. In der Praxis bringt man das Signal aber nur dauerhaft zum Leuchten, wenn die Kamera auf ein Stativ montiert ist und sich das Motiv nicht bewegt. Aufnahmen aus der Hand werden so bei großer Blende zum Glücksspiel. Zudem verliert man allzu leicht das gesamte Sucherbild aus dem Blick, wenn man sich ständig auf die Fokusbestätigung konzentriert.

Ganz anders verhält es sich mit dem Fokus an der Sony alpha 7R. Ihr elektronischer Sucher bietet eine Fokuslupe, mit deren Hilfe sich zumindest statische Motive perfekt scharf stellen lassen – selbst bei Offenblende. Bei Freihandaufnahmen wackelt das vergrößerte Sucherbild allerdings arg. Ein Problem, das die alpha 7 II dank ihres integrierten Bildstabilisators nicht kennt – sie zeigt das Sucherbild angenehm ruhig, selbst in der Fokuslupe. Indes bleibt es auch hier dabei, dass sich nach dem Fokussieren der Sucherausschnitt nicht mehr ändern sollte, die Kontrolle des gesamten Sucherbildes fällt ebenfalls schwer. Dass bei einem an eine Sony-Kamera adaptierten Otus die Blende nur mechanisch über den Ring am Objektiv gesteuert wird, ist hingegen kein Nachteil. Der elektronische Sucher zeigt das Bild unabhängig von der eingestellten Arbeitsblende stets mit gleichbleibender Helligkeit und der aktuellen Schärfentiefe an, lediglich die Bildwiederholrate des EVF sinkt, wenn die Blende weit geschlossen wird. Bei schwachem Licht ist der elektronische Sucher der Sony-Kameras klar ein Vorteil gegenüber dem optischen Sucher bei Nikon. Puristen wird jedoch stören, dass die Sony-Kameras keine Daten über die eingestellte Blende erhalten, das entsprechende Feld bleibt daher in den EXIF-Daten leer.
 

Foto Martin Vieten
 
 
Foto Martin Vieten

Sony Alpha 7 mit Otus 1,4/85 mm bei Blende 2,8
Foto: Martin Vieten

 
Ob man nun das Otus 1,4/85 an einer Nikon- oder Canon-DSLR betreibt oder eine der beiden Varianten an eine Sony alpha 7R adaptiert ist sicherlich Geschmackssache. Das volle Potential des herausragenden Objektivs lässt sich wohl nur an einer Kamera mit 36 Megapixeln ausschöpfen – da muss Canon derzeit passen. Mit einer Nikon D800 bildet das 85er Otus ein ausgewogeneres Gespann, an der Sony-Kamera lässt es sich dank deren Fokuslupe (sowie Bildstabilisierung bei der alpha 7 II) exakter scharfstellen. Bei der Bildqualität gibt es zwischen Sony und Nikon keine signifikanten Unterschiede. Vielleicht mag eine Mittelformatkamera mit CCD-Sensor bei optimaler ISO-Empfindlichkeit noch etwas mehr Details und Dynamik herauskitzeln als die Kleinbildkameras mit ihren CMOS-Bildwandlern. Letztere sind jedoch klar im Vorteil, wenn einmal höhere ISO-Stufen nötig werden: bis etwa ISO 800 beeinträchtigt weder bei Nikon noch bei Sony die Empfindlichkeit das Bildergebnis nennenswert.

(Martin Vieten)