Es gibt immer mehr schöne, gute, qualitätvolle Fotobücher. Einen Überblick will stets Foto-Frisch geben; ein Pfad durch den Dschungel der Fotoliteratur. In diesem Monat ist wieder viel zusammengekommen – so viel, dass wir einige hervorragende Bücher nur ganz kurz erwähnen können. Ansonsten empfehlen wir Ihnen auch wieder einige Ausstellungen – und eine fotografische Edition:
Ulrich Mack, Övern Diek
Ulrich Mack, Hof von Fiete Nicloy
Ulrich Mack ist ein Fotograf, der sich auf schöne Weise nicht entscheiden möchte: Er hat Fotoreportagen für Quick, Stern oder twen fotografiert, in seinem neuen Buch „Stille – Weite – Ferne – Nähe“ lernen wir den Hamburger aber als Bildautor farbintensiver Landschaftsfotografien kennen. Diese entstehen in Norddeutschland oder New England und sind voller Poesie: eine Hommage an die Natur aus anmutigen Stillleben und erhabenen Landschaften. Bis zum 20. Juli zeigt eine Ausstellung im Thüringer Museum in Eisenach sein Werk.
Claus Bury, Indonesien
© Claus Bury
Auch ein Grenzgänger ist Claus Bury. Das Buch „Meine Sicht“ zeigt den Bildhauer als Reisefotografen, der auf feinsinnige Art und Weise Architektur und Landschaft ins Bild zu bringen versteht. Verbindungslinien der Fotografie zu seinen Skulpturen werden sichtbar: ein inspirierendes Buch.
Martin Schlüter, Neuer Geländeteil, Haus 110
Einer der älteren Besprechungsräume im Haus 110, der nur noch selten belegt ist. Die Spuren auf Mobiliar und Teppichboden lassen auf eine rege Nutzung in der Vergangenheit schließen.
Martin Schlüter, Geheimer Standort außerhalb Pullachs
Ein »Signal Intelligence«-(SIGINT-)Kontrollraum. Licht an.
Martin Schlüter, Neuer Geländeteil
Dienstplan der Wachhunde.
Martin Schlüters Band „Nachts schlafen die Spione“ gibt erstaunliche Einblicke preis: Sein Thema ist die ehemalige Zentrale des Bundesnachrichtendienstes in Pullach bei München Inzwischen hat der BND in Berlin seinen Sitz. Die Bilder der alten Zentrale verstören – sie zeigen eine Jahrzehnte verschlossene, hermetisch abgeriegelte Welt im künstlichen Dämmerlicht.
Aus: H. Lee, Grassland
H. Lees Buch „Grassland“ hat den illegalen Marihuana-Anbau in den USA zum Thema: die Arbeit von Marihuana-Bauern in Nordkalifornien, die vielleicht bald ihre geheimen Gewächshäuser öffnen werden – könnte doch das Cannabis-Verbot in den USA demnächst bald Geschichte sein, denn in immer mehr Bundesstaaten wird es legalisiert.
Gerd Ludwig, Prypjat, Ukraine, 2005
Ein Foto der gleichen Straße aus glücklichen Tagen.
Gerd Ludwig, Prypjat, Ukraine, 2005
Bäume wachsen in einer seit zwei Jahrzehnten leer stehenden Schule.
Gerd Ludwig, Wesnowa, Weißrussland, 2005
Anstalt für geistig behinderte Kinder, unterstützt von Chernobyl Children International.
Gerd Ludwig hat immer wieder in Tschernobyl fotografiert. Seine Bilder der nuklearen Katastrophe und ihrer Folgen sind nun in einem Buch versammelt, das von einem Essay von Michail Gorbatschow begleitet wird: Der lange Schatten von Tschernobyl. Der National-Geographic-Fotograf sieht seine Aufgabe vor allem im Erinnern, wie er sagt: „Mich treibt die Verpflichtung, im Namen von stummen Opfern zu handeln, um ihnen mit meinen Bildern eine Stimme zu geben. Bei meinem Aufenthalt in Tschernobyl habe ich viele verzweifelte Menschen getroffen, die bereit waren, ihr Leiden öffentlich zu machen – einzig beseelt von der Hoffnung, Tragödien wie jene in Tschernobyl zukünftig zu verhindern“. (Siehe auch: Dr.-Erich-Salomon-Preis 2014 geht an Gerd Ludwig.)
Aus: Christoph Bangert, War Porn
Christoph Bangerts Buch „War Porn“ gehört zu den aufsehenerregendsten Büchern dieses Jahres. Die Fragen, die es stellt: „Nutze ich die Menschen in meinen Bildern aus? Ist es moralisch zu rechtfertigen, als Fotograf in Kriegsgebieten zu arbeiten? Warum sind wir alle von Bildern des Elends anderer angezogen? Produziere ich Kriegs-Pornographie?“ In seinem Band gibt der 1978 geborene Fotograf Antworten – und wagt ein ungewöhnliches Experiment: Bilder ohne Selbstzensur. Zu sehen sind Fotografien der letzten zehn Jahre aus Afghanistan, Irak, Indonesien, Libanon und Gaza.
Aus: Veit Mette, heimat bis wolkig
Ein schönes Beispiel einer fotografischen Stadterkundung gibt Veit Mette in seinem Werk „heimat bis wolkig. Porträt einer Stadt“, in dem der Fotograf seine Heimatstadt Bielefeld beleuchtet. Er ist ein Stadtfotograf im schönsten Sinn: hat ein gutes Auge für Orte und Momente. Und wie ist Bielefeld so? Der Fotograf meint: „witzig, tragisch, ostwestfälisch, schön, berührend, frech und manchmal durchaus böse – Bielefeld eben. Auch.“
China. Schwimmer tragen ein Foto des früheren Staats- und Parteichefs Mao Zedong über den Gelben Fluss.
Foto: Zhang Kechun / MoST
Russland. Zwei junge Matrosen bewachen den Eingang zum Kommandozentrum der Baltischen Flotte. Viele Eltern in Russland versuchen, ihre Söhne wegen der verbreiteten Misshandlung von Rekruten vor dem Wehrdienst zu bewahren.
Foto: Misha Friedman / laif
Ganz und gar empfehlen möchten wir noch einmal den bereits vorgestellten Band „Fotos für die Pressefreiheit 2014“, den Jubiläums-Bildband von Reporter ohne Grenzen, der zum 20jährigen Bestehen von ROG Bildstrecken hervorragender Fotografen versammelt. Zudem erklären die Bildautoren in kurzen Texten ihre Beweggründe. 23 Fotografinnen und Fotografen haben ihre Werke für das ROG-Fotobuch unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Der Verkaufserlös fließt vollständig in Pressearbeit, Anwaltskosten und medizinische Hilfe für verfolgte Journalisten.
Aus: Shomei Tomatsu, Chewing Gum and Chocolate
Eines der packendsten Fotobücher dieser Zeit ist Shomei Tomatsus Werk „Chewing Gum and Chocolate“. Tomatsus Bilder aus dem Nachkriegs-Japan zeigen die Verwüstungen in Nagasaki und vor allem auch eine Gesellschaft im Wandel. Tomatsu (1930 – 2012) war führendes Mitglied der Agentur Vivo. Er nahm an der bedeutenden Ausstellung „New Japanese Photography“ 1974 im MoMA teil.
Heinrich Heidersberger, Schleifen, Rhythmogramm
Heinrich Heidersberger, Schalen, Rhythmogramm
Heinrich Heidersbergers „Rhythmogramme“ versammelt jetzt ein neues Buch: Light Harmonies. Die Rhythmogramme. Bilder zwischen maschineller Zeichnung und Fotografie des 2006 verstorbenen Fotografen, der mithilfe eines selbst entwickelten Fotogeräts Wellen und Schwingungen von Licht auf fotografisches Material zu übertragen wusste. Bekannt wurde Heidersberger als Architekturfotograf – seine „Rhythmogramme“ waren bisher kaum zu sehen.
Sze Tsung Leong, Dead Sea II, 2007
Sze Tsung Leong, Masai Mara I, 2009
Sze Tsung Leong zeigt in seinem Buch „Horizons“ beeindruckende Panoramafotografien, die sich zu einem Bild der Welt überlagern. Seit zehn Jahren arbeitet er an der Serie, die Grenzen und Distanzen verschwinden lässt.
Tazio Secchiaroli, David Hemmings und Veruschka von Lehndorff in Blow Up (Regie: Michelangelo Antonioni), 1966
Film still
Source: BFI Stills © Neue Visionen Filmverleih GmbH / Turner Entertainment Co. – A Warner Bros Entertainment Company. All rights reserved.
Veruschka von Lehndorff mit David Hemmings in Blow Up (Regie: Michelangelo Antonioni), 1966
Film still
Foto: Arthur Evans, Privatsammlung Wien, Courtesy: Neue Visionen Filmverleih GmbH
David Hemmings in Blow Up (Regie: Michelangelo Antonioni), 1966
Film still
Foto: Arthur Evans, Privatsammlung Wien, Courtesy: Neue Visionen Filmverleih GmbH
„Blow-Up. Antonionis Filmklassiker und die Fotografie“ heißt ein Buch, welches den 1966 entstandenen Kultfilm „Blow Up“ von Michelangelo Antonioni als facettenreichen Kommentar zur medialen Welt vorstellt. Wir erinnern uns: Auf der Suche nach einem Beweis für das vermeintlich Gesehene vergrößert der Modefotograf Thomas seine Bilder immer weiter und geht dabei an die Grenzen der Möglichkeiten des Mediums. „Blow-Up“ ist nicht nur ein ungemein spannender Film, sondern auch ein Exkurs zur Fotografie, weil er nach dem Wahrheitsgehalt des fotografischen Bildes fragt. Derzeit ist „Blow-Up. Antonionis Filmklassiker und die Fotografie“ auch als Ausstellung zu sehen, nämlich in der Albertina in Wien. Ab September 2014 gastiert die Schau dann im Fotomuseum Winterthur.
Aus: Sarina Finkelstein, The New Forty-Niners
Viele weitere Bücher sind in den vergangenen Wochen erschienen, die wir nur kurz nennen können: Sarina Finkelsteins Buch „The New Forty-Niners“ entführt uns in die USA, nach Kalifornien, wo sich eine neue Welle von Goldsuchern aufgemacht hat, in wilder Landschaft nach Gold zu graben.
Irina Werning, Diego, Buenos Aires, Argentina, 1960 and 2011
From Irina Werning’s Back to the Future, published by teNeues.
Photo © 2014 Irina Werning. All rights reserved.
Irina Werning, Mechi, Buenos Aires, Argentina, 1990 and 2010
From Irina Werning’s Back to the Future, published by teNeues.
Photo © 2014 Irina Werning. All rights reserved.
Irina Werning stellt in ihrem Buch „Back to the Future“ alte Familienfotos von denselben Personen – Jahre später – nach. Eine ungemein skurrile, erfrischend-lustige Idee. Über 100 dieser Foto-Porträts sind hier zusammengefasst.
Und schließlich ist noch ein wunderbares Buch über Gisèle Freund erschienen, „Fotografische Szenen und Porträts“. Bilder, vor allem hervorragende Porträts, wegen denen man durchaus nach Berlin reisen könnte: Eine Ausstellung in der Akademie der Künste zeigt bis zum 10. August ihr Werk.
Am Ende von Foto-Frisch steht wie immer eine Empfehlung, Fotokunst käuflich zu erwerben. Man kann in Onlinegalerien fündig werden, bei Fotokunst-Galerien, auf Kunstmessen, in Auktionshäusern, bei Kunsthändlern – oder auch in den Ateliers der Künstler selbst. Wir möchten Ihnen Arbeiten vorstellen, die wir für sammlungswürdig halten – angeboten von seriösen Galerien, Verlagen oder Händlern.
H. Lee, Fog
Diesmal empfehlen wir die „Collector’s Edition“ des Buchs „Grassland“. Zwei Motive stehen zur Wahl, Buch im Hanf-Schuber, Foto 8×10″, Auflage 100 Exemplare, Preis 165 Euro.
Über Mails freue ich mich: info@marcpeschke.de
(Marc Peschke)
Eine interessante Mischung
die wieder mal gut vor Augen führt, dass sich die Qualität und Wertigkeit von Bildern allein aus dem Kontext ergibt, dem sie ihre Existenz verdanken.