Im Rahmen der 7. Wiesbadener Fototage, die unter dem Motto „Wagnis Fotografie“ stehen, zeigt der Nassauische Kunstverein mit „Trautes Heim, Glück allein“ ein breites Spektrum ganz unterschiedlicher, ganz privater Bilder:
Pressemitteilung des Nassauischen Kunstvereins:
Trautes Heim, Glück allein
Der NKV beteiligt sich 2011 an den 7. Wiesbadener Fototagen „Wagnis Fotografie“. Insgesamt 15 regionale, nationale und internationale Positionen gehen das Wagnis ein, die Grenze zwischen Privatem und Öffentlichem künstlerisch auszuloten. Unter dem Titel TRAUTES HEIM, GLÜCK ALLEIN knüpft die Ausstellung im NKV zum einen an Fotografien als Privatangelegenheit an, die für die Öffentlichkeit normalerweise unzugänglich sind. Zum anderen werden Bilder gezeigt, die private Momente und Beziehungen motivisch aufgreifen, inszenieren und reflektieren. Übergreifend verweist sie damit auf eine Grenzverschiebung innerhalb der Bereiche Privatheit und Öffentlichkeit in Zeiten von Social Media und Internet. Inwieweit spiegelt sich diese Entwicklung in zeitgenössischen Bildern und ihrer Rezeption wider? Haben wir einen anderen Blick auf Fotografien im Wissen um einen privaten Kontext?
Axel Beyer, Bebra 01 (2009)
Serie, Fotomontagen 65,5 x 43,6 cm
© Axel Beyer
Eine besondere Form von Räumen schafft Axel Beyer mit seiner Serie BEBRA CURIOSA. Die Aufnahmen aus der deutschen Kleinstadt sind Montagen aus Exterieurs und Interieurs, die einerseits allvertraut anmuten mit Häusern und Straßen wie man sie aus kleinstädtischen und ländlichen Gebieten kennt , die zugleich aber auch Sehgewohnheiten durch die irritierende Bildkombination durchbrechen. Beyer verdichtet in seinen Aufnahmen Aspekte des kleinstädtischen Lebens sowie deren Protagonisten und ihrer Privaträume, ohne die Menschen selbst zu zeigen.
Johannes Heinke, through the khimar (2011)
Fotoserie 45 x 30 cm
© Johannes Heinke
Um einen ganz anderen, körperlichen Privatraum geht es in der Serie THROUGH THE KHIMAR von Johannes Heinke, der dem Betrachter eine sonst verborgene Blickperspektive anbietet: Ausgehend von seinen Beobachtungen in Damaskus, wo selbst die Augen der verschleierten Frauen vom schwarzen Niqab verhüllt sind, fotografierte Heinke durch den Stoff dieses Kleidungsstückes.
Im Kontrast zum verhüllten Individuum, das sich dem direkten Blick der Öffentlichkeit entzieht, stehen die Fotos des Künstlerpaars UNITY ART Nabiha + Thom. Seit 1997 betreibt UNITY ein ausuferndes visuelles Tagebuch, welches das Leben der beiden Protagonisten in fotografischen Doppel-Selbstportraits festhält. Die Spannbreite des Projekts bewegt sich zwischen archivarischer Dokumentation und You-Tube-Ästhetik. Der NKV stellt zehn Ausgaben von GEO International 10/2010 aus, die in verschiedenen Ländern und Sprachen parallel mit einer Doppelseite zum Projekt erschienen und dieses in die publizistische Verbreitung überführten.
Arkadiusz Wojciechowski, Antyportrety
Fotoserie 50 x 70 cm
© Arkadiusz Wojciechowski
Dass die in der Ausstellung gezeigten Porträtbilder von Arkadiusz Wojciechowski ursprünglich keinesfalls für eine breite Öffentlichkeit angelegt waren, ist offensichtlich: Es handelt sich um misslungene Porträtaufnahmen, bei denen die Protagonisten im entscheidenden Augenblick die Kontrolle über Mimik und Gestik verlieren und die Aufnahme „misslingt“. Wojciechowski rückt somit Bilder in den Fokus des Interesses, die in der Regel entsorgt oder unter Verschluss gehalten werden und gibt ihnen damit eine neue Wertigkeit.
Marc Peschke, After This Darkness There is Another (2006 – 2011)
Fotoserie 30 x 20 cm / 40 x 30 cm
© Marc Peschke
Um private Fantasien kreisen die Fotografien Marc Peschkes, des Lichtaschtun-Kollectives als auch Paula Winklers: Während Erstere die Dunkelheit zum Anlass oder Motiv nehmen, um ein subjektives und fragmentarisches Tagebuch zu erschaffen und surrealistisch anmutende Traumwelten zu entwerfen, hält Paula Winkler eine ganz besondere und intime Beziehung zwischen Fotograf und Model fest, die private Grenzen dehnt und auslotet.
Joanna Nottebrock, Spuren menschlicher Abgründe
Fotoserie 40 x 30 cm
© Joanna Nottebrock
Grenzüberschreitungen kann man Joanna Nottebrock attestieren, die die Kripo Hannover bei ihrem Einsatz begleitete und deren Fotografien den Betrachter mit menschlichen Abgründen und dem Tod konfrontieren. Ihre Bilder geben einen Einblick in den Bereich der Spurensicherung und Tatortdokumentation, zu dem die Öffentlichkeit in der Regel keinen Zugang erhält. Die teilweise drastischen Sujets fordern den Betrachter heraus, der selbst entscheiden muss, inwieweit er sich auf diese visualisierten Spuren menschlicher Abgründe einlässt.
Katja Hammerle, live (2010)
Fotoserie 26 x 38 cm / 45 x 30 cm
© Katja Hammerle
Katja Hammerles als „Nervenbahnen“ konzipierten Fotografien ist eine ätherisch anmutende Ästhetik eigen. Im NKV schlagen sie eine Brücke zwischen der ersten und zweiten Etage, in der sich das Private mehr und mehr im öffentlichen Ausstellungsraum verdichtet.
Wolfgang Gemmer entwirft aus tausenden von Dias aus dem Nachlass einer verstorbenen Person eine Raumskulptur, durch die der Betrachter hindurchgehen kann. Festgehaltene Alltagsszenen und persönliche Momente wirken einerseits vertraut, da sie sich im Laufe der Jahre in wohl jedem Fotoalbum in dieser oder ähnlicher Art ansammeln, aber zugleich auch befremdlich, da die abgelichteten Personen Unbekannte bleiben, selbst wenn man private Stationen ihres Lebens abläuft.
Phillip Toledano, Days with my Father (2006 – 2009)
Fotoserie
© Phillip Toledano
Ganz persönliche Chroniken dokumentieren Craig F. Walker und Phillip Toledano. Walker begleitete 27 Monate lang den jungen Amerikaner Ian Fisher, der nach der Highschool mit siebzehn Jahren zur U.S. Army und in den Irak-Einsatz ging und anschließend in den zivilen Alltag zurückkehrte. Für die Serie IAN FISHER. AMERICAN SOLDIER, welche die persönliche Entwicklung eines Jugendlichen zum Erwachsenen eindringlich erfahrbar macht, erhielt Walker 2010 den Pulitzer Preis. Mit ähnlicher Intensität zeichnet Phillip Toledano in der Serie DAYS WITH MY FATHER das Zusammenleben mit seinem an Demenz erkrankten Vater nach. Toledanos tagebuchartig angelegte Fotos sind voller Mitgefühl und Liebe und laufen doch auf einen schmerzlichen Endpunkt zu, an dem der Abschied von einem geliebten Menschen unausweichlich ist.
Den privaten Moment als Kunstform inszeniert Hee-Seon Kim in ihrer multimedialen Installation. Durch ein Fernrohr kann der Betrachter in eine Vielzahl von Fenstern hineinschauen und Nachbarn beobachten. So ist er nicht mehr nur Voyeur in der Tradition kontemplativer Genreszenen, sondern im Zeitalter der Megacities als Ballungsräume menschlichen Miteinanders und facebook Teilnehmer an den Vorgängen in einer Vielzahl an Privaträumen.
Wie viel offizielle Daten von der Persönlichkeit eines Menschen preisgeben, erforscht Michael Göbel. Seine 1999 begonnene und fortlaufende Fotoskulptur MEIN ÖFFENTLICHES LEBEN besteht aus mehreren Regalbrettern voller Aktenordner, in den persönliche Dokumente, Rechnungen und Papiere seines Lebens abgeheftet sind.
Martina Hoogland Ivanow, Satellite (2010)
Fotoserie 30 x 40 cm
© Martina Hoogland Ivanow
Die Serie SATELLITE von Martina Hoogland Ivanow, die im NKV als Diaprojektion gezeigt wird, kann als eine Reihe von Kurzgeschichten gelesen werden, die um Außenseitertum kreist. Nicht nur Liebes- und Familienbeziehungen der porträtierten Personen werden untersucht und nachgezeichnet, sondern ebenso die Frage nach dem vermeintlich Äußerem und der Ausgrenzung, die sich direkt an den Betrachter wendet und zur persönlichen Selbstreflexion anhält.
Trautes Heim, Glück allein wird kuratiert von Dr. Elke Ullrich, Sara Stehr und Katharina Stockmann.
Ausstellung:
Trautes Heim, Glück allein
11. September bis 23. Oktober 2011
Nassauischer Kunstverein Wiesbaden
Wilhelmstraße 15
65185 Wiesbaden
Teilnehmende Künstler: Axel Beyer, Wolfgang Gemmer, Michael Göbel, Katja Hammerle, Johannes Heinke, Martina Hoogland Ivanow, Hee-Seon Kim, Lichtaschtun Kollective, Joanna Nottebrock, Marc Peschke, Phillip Toledano, Unity Art Nabiha + Thom, Craig F. Walker, Paula Winkler, Arkadiusz Wojciechowski
Im Rahmen der 7. Wiesbadener Fototage „Wagnis Fotografie“, an denen eine Vielzahl an Institutionen und Galerien beteiligt sind.
(thoMas)
Jetzt wirds interessant
Einmal etwas von Marc Peschke selbst.
Ist es richtig, dass es zwei Personen mit diesem Namen gibt, die journalistisch tätig sind?
Im Spiegel online berichtet ein Marc Pescke aus den USA. Who is who?
——————
Und damit von mir auch mal ein Kunstwerk erscheint:
.
Zwei Variationen zum Thema:
Suburb, Colors of the Night
.
.
Glückwunsch
hat alles, was Kunst haben soll. Du fragst dich, ob jemand beim Abendspaziergang versehentlich auf den Auslöser gekommen ist, dann später alzheimerisch dachte, das sei Absicht gewesen, schließlich überlegt, wie er die Panne kaschieren soll. Und schon ist es Kunschd. Oder, frei nach einem bekannten Liedermacher: “anspruchsvoll”.
pssst
Schönen Sonntag und gutes Misslingen! 😀
MfG
____________________________________
Wissen ist Macht.
[Francis Bacon, 1561 – 1626]
Man könnte
‘privat’ dahingehend deuten, es auch privat zu belassen … 😎