Foto Abisag Tüllmann: Fronleichnamsprozession über den Eisernen Steg, Frankfurt am Main, 1964Die Bildjournalistin Abisag Tüllmann (1935-1996) beobachtete mit großem Engagement die politischen und sozialen Entwicklungen ihrer Zeit und war zugleich eine der bedeutendsten deutschen Theaterfotografinnen. Eine große posthume Werkschau und ein Buch stellen ihre Arbeiten erstmals umfassend vor:

 
 
 

Foto Abisag Tüllmann: Christine Schäfer und David Kuebler in „Lulu“ von Alban Berg

Abisag Tüllmann: Christine Schäfer und David Kuebler in „Lulu“ von Alban Berg im Kleinen Festspielhaus, Salzburg, 1995
© Deutsches Theatermuseum München, Archiv Abisag Tüllmann, München

Pressemitteilung historisches museum frankfurt:

ABISAG TÜLLMANN 1935–1996. Bildreportagen und Theaterfotografie

24. November 2010 bis 27. März 2011

Das historische museum frankfurt stellt mit der Präsentation „Abisag Tüllmann 1935–1996. Bildreportagen und Theaterfotografie“ anlässlich des 75. Geburtstages der Künstlerin erstmals posthum das vielschichtige Werk einer der bedeutendsten Fotokünstlerinnen Deutschlands der Öffentlichkeit vor. Neben dem umfangreichen, bildjournalistisch-künstlerischen Werk steht ein mehr als 200 Bühnenaufführungen umfassendes theaterfotografisches Œuvre – beide führen die Ausstellung und der begleitende Katalog erstmals zusammen. Aus vierzig Jahren freier bildjournalistischer Arbeit zeigt die Präsentation neben einer Auswahl von über 450 Schwarz-Weiß-Fotografien und Farbprojektionen Arbeiten, die im Zusammenhang mit Filmprojekten entstanden sind, sowie Beispiele für die umfangreiche Veröffentlichungspraxis in Zeitungen, Zeitschriften und Büchern.

 

Foto Abisag Tüllmann: Rassentrennung am Bahnhof in Kapstadt, Südafrika, 1971

Abisag Tüllmann: Rassentrennung am Bahnhof in Kapstadt, Südafrika, 1971
© bpk / Abisag Tüllmann, Berlin

 
Als grandioser Auftakt zu Abisag Tüllmanns vielseitigem Bildschaffen sind die Originalaufnahmen für das 1963 veröffentlichte Fotobuch „Großstadt“ zu sehen – eine Hommage an ihre Wahlheimat Frankfurt am Main. Fotografien von den Ereignissen und Akteuren der 68er-Bewegung wie Daniel Cohn-Bendit und Joschka Fischer, von der Künstler- und Theaterszene im In- und Ausland mit Bilder von Joseph Beuys und Bernhard Minetti, aber auch von Politikern und Wirtschaftsführern machen Abisag Tüllmann zu einer Chronistin der Zeitgeschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dies gilt auch für ihre Auslandsreportagen über die postkolonialen Entwicklungen in Algerien, Rhodesien / Simbabwe, Südafrika und über den Israel-Palästina Konflikt.

Ihr zweiter Arbeitsschwerpunkt ist die Theaterfotografie. Wichtige Sprech- und Musiktheaterbühnen waren ihre Auftraggeberinnen im In- und Ausland. Erste Aufnahmen entstanden bereits Anfang der 1960er-Jahre in Frankfurt. Im Mittelpunkt steht die fast dreißig Jahre währende künstlerische Zusammenarbeit mit Claus Peymann, dessen Inszenierungen sie fotografisch begleitete.
 

Foto Abisag Tüllmann: Fronleichnamsprozession über den Eisernen Steg, Frankfurt am Main, 1964

Abisag Tüllmann: Fronleichnamsprozession über den Eisernen Steg, Frankfurt am Main, 1964
© bpk / Abisag Tüllmann, Berlin
 
 
Foto Abisag Tüllmann: Szene in der Certosa di Pavia, Italien, 1982

Abisag Tüllmann: Szene in der Certosa di Pavia, Italien, 1982
© bpk / Abisag Tüllmann, Berlin

 
Seit 1958 prägten Abisag Tüllmanns in Zeitungen, Magazinen und Büchern publizierte Fotografien das kollektive Bildgedächtnis der deutschen und internationalen Öffentlichkeit. Als Bildjournalistin und Theaterfotografin richtete sie ihren Blick auf die politischen, gesellschaftlichen und künstlerischen Umbrüche ihrer Zeit. Mit hintergründigem Humor beobachtete sie den Alltag und die Bedingungen menschlichen Zusammenlebens in der Welt. Themen wie Ausgrenzung, Unbehaustheit und die Verletzbarkeit menschlicher Existenz standen immer im Zentrum ihres engagierten fotografischen Handelns.

Die Ausstellung entstand in Kooperation mit dem Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin, dem Deutschen Theatermuseum, München und der Abisag Tüllmann Stiftung, Frankfurt, die den überwiegend unveröffentlichten fotografischen und schriftlichen Nachlass bewahren.

Kunst und Szene
1957 zog Abisag Tüllmann von Wuppertal nach Frankfurt am Main und bewegte sich bald in der jungen Kunst- und Kulturszene. Zu ihren Freunden gehörten Schriftsteller, Künstler und Grafiker. Sie fotografierte die „documenta“ in Kassel ebenso wie die Biennale in Venedig oder das bunte Treiben der Pop-Kultur in London. Zahlreiche ihrer Porträts zeigen uns die Akteure neuer und experimenteller Kunstrichtungen: Joseph Beuys und Nam June Paik ebenso wie die Avantgarde der bundesdeutschen Literatur wie Hans Magnus Enzensberger oder Marie Luise Kaschnitz. Ausdrucksstarke Fotografien der Musikwelt, wie Aufnahmen der „Internationalen Ferienkurse für Neue Musik“ in Darmstadt oder von Protagonisten der Jazz- und Rockszene wie Albert Mangelsdorff, John Coltrane und Frank Zappa belegen Tüllmanns Aufgeschlossenheit gegenüber den künstlerischen Strömungen ihrer Zeit.

 

Foto Petra Welzel: Abisag Tüllmann in ihrer Wohnung, 1996

Petra Welzel: Abisag Tüllmann in ihrer Wohnung, 1996
© Petra Welzel, Frankfurt / M.
 
 
Foto Abisag Tüllmann: Im „Terrassencafé“, Frankfurt / M., 1968

Abisag Tüllmann: Im „Terrassencafé“, Frankfurt / M., 1968
© bpk / Abisag Tüllmann, Berlin

 
Stadt und Gesellschaft
Mit ihrem fulminanten Debüt, dem Fotobuch „Großstadt“, entwarf Tüllmann schon 1963 ein eindringliches Porträt ihrer Wahlheimat Frankfurt. Die in den darauf folgenden Jahren entstandenen Ansichten dieser widersprüchlichsten Stadtlandschaft der frühen BRD und der politischen Bewegungen um Universität, Häuserkampf im Westend und Startbahn West, bilden den Ausgangspunkt ihres umfassenden Werks. Ihre Fotografien von den Akteuren der 68er-Bewegung wie Daniel Cohn-Bendit, Rudi Dutschke und Joschka Fischer, den Philosophen der Frankfurter Schule, von der Frauen- und Schwulenbewegung und neuen Formen der Erziehung wie freie Schule und Kinderkollektive auf der einen und den Trägern der politischen und wirtschaftlichen Macht auf der anderen Seite, machen sie zu einer Dokumentaristin der Zeitgeschichte.

Unverwechselbar ist auch der Blick der Fotografin auf die Bedingungen menschlichen Zusammenlebens. Tüllmann vermittelt Einblicke in den Alltag unterschiedlichster sozialer Gruppen wie Immigranten, Hausbesetzer, Bankiers, Hausfrauen und Obdachlose. Sie untersucht die vielfältigen Formen der Ausgrenzung und der Unbehaustheit. Die Verletzbarkeit der menschlichen Existenz steht dabei im Zentrum ihrer Arbeit. Ihre Bilder leben von der Spannung des beiläufigen dokumentarischen oder analysierenden Zeigens und ihrer Haltung als einfühlende Beobachterin.

Internationales Zeitgeschehen
Abisag Tüllmann legte ihr Augenmerk auf Politik, Gesellschaft und Kultur der Bundesrepublik, aber auch auf die Analyse des internationalen Zeitgeschehens. Im Dezember 1969 porträtierte die Fotografin auf der „Al Fatah-Konferenz“ in Algier den Palästinenserführer Jassir Arafat und kam in Kontakt mit den afrikanischen Befreiungsbewegungen. In den 1970er-Jahren verfolgte sie intensiv die postkolonialen Konflikte und die damit einhergehenden politischen und gesellschaftlichen Veränderungen in Algerien, Rhodesien / Simbabwe, Sambia, Namibia und Südafrika.

In den 1980er-Jahren reiste sie regelmäßig für große Bildreportagen nach Israel, in die besetzten Palästinensergebiete und in den Libanon. Sie beobachtet kritisch den Israel-Palästina-Konflikt und dokumentierte 1982 den Libanonkrieg. Dabei versteht es die Fotografin, die Konflikte bildlich zu analysieren und den Dialog oder Disput der Kontrahenten ins Auge zu fassen.
 

Foto Abisag Tüllmann: Evelyn Faber, Urs Hefti et al

Abisag Tüllmann: Evelyn Faber, Urs Hefti, Rolf Idler, Gerd Kunath und Matthias Redlhammer in „Leonce und Lena“ von Georg Büchner im Schauspielhaus, Bochum, 1985
© Deutsches Theatermuseum München, Archiv Abisag Tüllmann, München

 
Theaterfotografie
Abisag Tüllmanns Rolle in der Geschichte der Theaterfotografie ist nicht hoch genug einzuschätzen. Erste Aufnahmen entstanden bereits 1962 in Frankfurt für das Studententheater „neue bühne“. Die Berichterstattung über das Frankfurter Theaterfestival „Experimenta“ wurde in den Jahren 1967, 1969 und 1971 maßgeblich durch ihre Bilder geprägt. Fast 30 Jahre lang währte ihre künstlerische Zusammenarbeit mit Claus Peymann, dessen Inszenierungen sie vor allem in Stuttgart, Bochum und Wien fotografisch begleitete. Darüber hinaus arbeitete sie für zahlreiche weitere Regisseure und Regisseurinnen, darunter Ruth Berghaus, Luc Bondy, Andrea Breth, Einar Schleef, Peter Stein, George Tabori und Robert Wilson. Wichtige Sprech- und Musiktheaterbühnen im In- und Ausland waren ihre Auftraggeber, so die Berliner Schaubühne, das Frankfurter Schauspiel, das Théâtre Royale de la Monnaie in Brüssel, das Théâtre Vidy in Lausanne, das Burgtheater in Wien und die Salzburger Festspiele.

 
 
Ausstellung:
Abisag Tüllmann 1935–1996. Bildreportagen und Theaterfotografie
24. November 2010 bis 27. März 2011
historisches museum frankfurt

Titel Abisag Tüllmann 1936-1996

Saalgasse 19
D-60311 Frankfurt / M.

Öffnungszeiten:
Dienstag – Sonntag 10–18 Uhr, Mittwoch 10–21 Uhr; Montag geschlossen. An folgenden Feiertagen geöffnet: 25./26.12. 2010 (1. und 2. Weihnachtsfeiertag), 31.12.2010 (Silvester) 10–16 Uhr, 1.1.2011 (Neujahr) 14–18 Uhr.

Begleitbuch:
Abisag Tüllmann 1936-1996. Bildreportagen und Theaterfotografie (bei amazon.de)
Mit Texten von Martha Caspers, Monika Haas, Barbara Lauterbach, Kristina Lowis, Ulrike May, Katharina Sykora, hrsg. von Martha Caspers
Erschienen als Bd. 30 der Schriften des historischen museums frankfurt, hrsg. von Jan Gerchow
304 Seiten, 298 Abb. davon 35 farbig, 263 in Duplex
Hatje Cantz Verlag
ISBN 978-3-7757-2708-2
Preis 29,80 €
 

(thoMas)