Die unter den Namen Sinar Hy6, Rolleiflex Hy6 und Leaf AFi angebotene Mittelformatkamera könnte mit der Insolvenz der Franke & Heidecke GmbH vor dem endgültigen Aus stehen. Und das unbeschadet der Tatsache, dass das zugrunde liegende Kamerakonzept zu den modernsten des Marktes zählt. Ist doch nach aktuellem (rechtlichen) Stand der Dinge die Sachlage äußerst verzwickt; selbst wenn einer wollte – er könnte die Hy6 nicht mal so eben fertigen:

Die Gemengelage um die Reste des Braunschweiger Herstellers Franke & Heidecke ist schon sehr komplex. Bei der letzten in Braunschweig entwickelten Mittelformatkamera Hy6, die unter drei verschiedenen Namen auf den Markt gebracht wurde, ist die rechtliche Situation derzeit kaum zu entwirren.
 

Die Hy6 wollten viele

photokina 2006

 
Die Entwicklung der Hy6 erfolgte wohl auf Basis einer schon zu jenen Zeiten angedachten Mittelformatkamera im Format 4,5×6, als in Braunschweig noch die Rollei Fototechnik GmbH aktiv war. Da die elektronischen Komponenten der bis zur Rolleiflex 6008 reichenden 6000er Serie nur noch in begrenzter Stückzahl verfügbar und bei den Herstellern offensichtlich abgekündigt waren, bestand die Notwendigkeit, ein Nachfolgemodell mit aktuellen elektronischen Komponenten zu entwickeln.

Allein, das Unternehmen Franke & Heidecke, das in den angestammten Räumen in der Salzdahlumer Straße aus der Rollei Produktion GmbH hervorgegangen war, hatte nicht die finanziellen Mittel, diese Entwicklung zu bezahlen. Die angesprochenen Banken zeigten sich offensichtlich auch vor der Finanzkrise sehr zurückhaltend. Da traf es sich, dass der Jenaer Technologiekonzern Jenoptik sich für seine Digitalrückteile, welche an die schweizerische Sinar AG geliefert wurden, ein Kamerasystem wünschte, das mit Hasselblad und Mamiya zumindest mithalten sollte. In der Folge finanzierte der Jenoptik-Konzern die weitere Entwicklung zum serienreifen Produkt und unterstützte das Projekt zudem auch durch Zuarbeit, u.a. im Bereich der Softwareentwicklung. In der Folge lagen die Rechte an Kameraentwicklung und -vertrieb bei Jenoptik: Franke & Heidecke musste Kameras, die in Absprache mit dem Markenlizenzinhaber Rollei GmbH unter dem Namen „Rolleiflex“ verkauft werden sollten, von Jenoptik erwerben.

Die knappen finanziellen Ressourcen von Franke & Heidecke führten wohl auch dazu, dass benötigte Maschinen nicht gekauft, sondern geleast wurden, wobei der Leasinggeber Teilen der Geschäftsführung nahe stand. Ein Teil der Werkzeuge, die für die Fertigung der Hy6 benötigt wurden, stammte noch aus der Fertigung der 6000er Reihe, andere wurden von Jenoptik bezahlt; und Jenoptik hat darauf auch heute noch Anspruch. Die Räume der gesamten Fertigungsanlagen in Braunschweig waren von der Franke & Heidecke GmbH ebenfalls nur gemietet und befinden sich im Besitz der Rollei Immobilien GmbH & Co. KG. Da der Vermieter der Immobilie von seinem insolventen Mieter keine Mieteinnahmen erzielen kann, besteht von Vermieterseite ein deutliches Interesse an einer baldigen Klärung der Situation, so dass ein Mietnachfolger gefunden werden kann.

Was die Situation weiter erschwert, ist die Tatsache, dass die Rechte an der Hy6 in der Folge einer juristischen Auseinandersetzung zwischen Jenoptik und Eastman Kodak in den Einflussbereich der Eastman Kodak übergingen (Kodaks israelische Tochter Leaf führte die Kamera als Leaf AFi im Sortiment und war mit der Erfüllung der zwischen Jenoptik und Kodak/Leaf geschlossenen Verträge nicht zufrieden). Dies geschah in engem zeitlichem Zusammenhang mit der Übertragung von Vermögenswerten der israelischen Kodak-Tochter Leaf auf Leaf Photography, wobei das zu Phase One zählende Unternehmen auch das Recht erhielt, Rückteile für die AFi anzubieten, was Phase One zuvor mangels Lizenzierung nicht erlaubt war. (Jenoptik wiederum trennte sich in dieser Zeit „von einer defizitären Randaktivität“; nämlich der Hy6-Angelegenheit.) Ob mit diesem Vorgang auch Rechte an der Kamera übertragen wurden, war ebensowenig in Erfahrung zu bringen wie die Ziele und Absichten, die Kodak mit den Rechten verfolgt. Ob sie als Sicherheit hinterlegt oder von Kodak nochmals aktiviert werden, ist derzeit nicht zu ermitteln. Der Service und die Gewährleistung für die Sinar Hy6 und die Leaf AFi erfolgt derzeit in der wirtschaftlichen Verantwortung eines Unternehmens des Jenoptik-Konzerns.
 

Grafik: thoMas

Versuch einer groben Strukturierung von Hy6-Geschichte und -Verhältnissen. Unten farblich angelegt sind die nach unserem Kenntnisstand derzeitigen wichtigsten Rechte- und Vermögensinhaber an den Hy6-Überbleibseln. Wollte man in den alten Räumlichkeiten weiter produzieren, käme noch die Rollei Immobilien GmbH & Co. KG als Verhandlungspartner hinzu.

 
Phase One hat an einer Fortführung der Hy6 jedenfalls derzeit kein Interesse bekundet, da man mit der Verbindung zu Mamiya eine Kamerabasis für seine Rückteile hat. Nachdem Phase One erst kürzlich in größerem Umfange in Mamiya investiert hat, dürfte Phase One derzeit nur geringes Interesse haben, ein zweites, nicht kompatibles, Kamerasystem im eigenen Hause zu haben.

Da die Kinderkrankheiten des Systems heute zumindest bekannt und wohl inzwischen auch weitgehend behoben sind, findet sich das System Hy6 zumindest von der technischen Seite her in einem interessanten Bereich. Nur die von Leica für die S2 angekündigten Objektive verfügen zumindest teilweise über einen Zentralverschluss, wie sie alle Objektive zur Hy6 besaßen.

Die Objektive für die 6000er Serie wurden ursprünglich von Carl Zeiss zugeliefert oder von Rollei / F&H in Lizenz produziert. Zuletzt beschränkte sich die Zusammenarbeit hierbei auf die Lizenzfertigung von Zeiss-Rechnungen durch F&H. Die Autofokus-Objektive, die erstmals bei der 6008 AF und dann bei der Hy6 zum Einsatz kamen, basierten auf Rechnungen von Schneider-Kreuznach, deren Gesellschafter Heinrich Mandermann zeitweise Eigentümer der damaligen Rollei Fototechnik GmbH & Co. KG war. Teilweise wurden diese Objektive in Bad Kreuznach produziert und teilweise wurden sie von F&H gefertigt. Schneider-Kreuznach hatte zuletzt etwa 1 Mio. Euro Umsatz pro Jahr mit Franke & Heidecke gemacht und sollte daher durchaus Interesse an einem Weiterleben der Hy6 als Kamerasystem haben.

Für eine Neuauflage einer Hy6 müsste ein interessierter Investor sowohl mit dem Inhaber der Rechte für die Kamera (Eastman Kodak / den Hausbanken von Kodak), dem Insolvenzverwalter von F&H (Christoph Kirchberg in Braunschweig) wegen der Werkzeuge, deren Wert derzeit noch im mittleren 6-stelligen Eurobereich liegen dürfte (eine Neuanfertigung würde einen gut 7-stelligen Eurobetrag verschlingen), und dem Vermieter der Immobile handelseinig werden. Mit hoher Wahrscheinlichkeit liegen weitere Rechte, wie die am Rollei-Zentralverschluss, auch noch bei der Rollei GmbH, welche neben den Namensrechten auch die Patente seit der Zeit der alten Rollei-Werke hält.

Der derzeit am schwierigsten zu erreichende Partner, der für eine Wiederaufnahme der Hy6-Fertigung benötigt wird, ist die amerikanische Eastman Kodak, die jedoch an einer Neuauflage einer Hy6-Fertigung durchaus Interesse haben sollte, da dies auch die Absatzmöglichkeiten für die Kodak-Sensoren im Mittelformat fördern dürfte.

(CJ)