„Architektonische Nachhut. Hinterlassenschaften des Nationalsozialismus“ ist der Titel einer Stuttgarter Ausstellung mit Arbeiten Ralf Meyers. Doch nicht das nationalsozialistische Bauen in seiner Zeit ist sein Thema, sondern die spätere Umnutzung der Architektur in der Demokratie:
Vom 30. April bis zum 5. Juli 2009 zeigt die vhs-photogalerie in Stuttgart unter dem Titel „Architektonische Nachhut. Hinterlassenschaften des Nationalsozialismus“ Arbeiten des 1966 in Bremen geborenen, an der Kieler Muthesius Kunsthochschule ausgebildeten und heute in Hamburg lebenden Fotografen Ralf Meyer; im Kerber Verlag ist letztes Jahr ein Bildband zum Thema erschienen.
Ralf Meyer: Laboe, Marine-Ehrenmal
In vielen Fällen scheinen sich die gezeigten Orte wie etwa das Finanzministerium Berlin, die „Ordensburg“ Sonthofen, das „Gauforum“ Weimar (welches heute vom thüringischen Landesverwaltungsamt und einem Einkaufszentrum genutzt wird), der Flughafen Tempelhof, die Zeppelin-Tribüne in Nürnberg, das Haus der Kunst in München, die Münchner Hochschule für Musik, ehemals „Führerbau“ des Forums der NSDAP oder der U-Boot-Bunker in Bremen ganz ihrer Vergangenheit entledigt zu haben.
„Es gibt kein unkontrolliertes Bauen: jedes dieser Gebäude ist aus einer spezifischen Intention, einem Auftrag heraus errichtet worden. Diese implizierte Botschaft verliert das Gebäude jedoch nicht allein durch den Wandel der es umgebenden gesellschaftlichen Ordnung“, sagt Ralf Meyer und folgt in seiner Arbeit entschieden der Frage, wie sich das heutige Leben in der faschistischen Architektur entfalten kann.
Ralf Meyer: Weimar, Gauforum
Da gibt es etwa eine Aufnahme des Weimarer „Gauforums“. Ein düsterer Bau, vor dem der Elektronik-Riese „Saturn“ mit Pfeilen auf sein Dasein hinweist. Da gibt es Bilder von Ausstellungsbesuchern im Münchner Haus der Kunst, andere von einem Hamburger Hochbunker in der Nähe der Speicherstadt, in dem das „Restaurant Galego“ heute portugiesische Spezialitäten anbietet. Vor der Jugendherberge Ravensbrück hat Meyer Jugendliche fotografiert, vor der martialischen Bauplastik eines Adlers auf dem Flughafen Tempelhof parkt ein rosaroter Bus, der auf ein Revuetheater hinweist.
Bundeswehrsoldaten sind in die Generaloberst-Beck-Kaserne in Sonthofen eingezogen, machen hier Liegestützen oder lauschen den Ausführungen ihres Vorgesetzten. Einer von diesen sitzt hinter einem riesigen Eichentisch aus brauner Vorzeit – vor ihm, orange, Kunststoffkästchen für Schreibutensilien. Vor der E.ON-Firmenzentrale in Bayreuth, leicht modernisiert mit einem neuen Dach, wehen Europa-Fahnen und über der Zeppelin-Tribüne in Nürnberg schließlich wünscht „Schöller“ auf großen Plakaten eine „Fröhliche Eiszeit“.
Ralf Meyer: Bayreuth / München, Musikhochschule
Doch es ist nicht der ironische Kontrast, den Meyer bevorzugt sucht er zeigt die Bauten des Nationalsozialismus auch nicht ausschließlich in der Geistlosigkeit und monumentalen Gleichförmigkeit jenes „vergröberten Klassizismus“, wie Werner Durth in seinem Buch-Beitrag „Stumme Boten“ schreibt, sondern bisweilen auch das Nüchterne und Moderne nationalsozialistischer Zweckbauten, die zumindest teilweise von den Architekten des Neuen Bauens geplant worden waren. Werner Durth: „Auf der Ebene unterhalb der monumentalen Repräsentationsbauten … eröffnete sich das weite Feld profaner Zweckbauten für Industrie und Verkehr, in dem nach 1933 zahlreiche Architekten Arbeit fanden, die zuvor in Büros tätig gewesen waren, in denen das Neue Bauen der Weimarer Republik erfolgreich erprobt worden war.“
Ralf Meyer: Nürnberg, Zeppelintribüne
Meyers Bilder – im Buchanhang finden sich zudem genaue Informationen über die gezeigten Bauten und ihre spätere Nutzung – sind ein eindringliches Plädoyer dafür, die Relikte nationalsozialistischer Architektur, die „architektonische Nachhut“, einer Aneignung durch die Demokratie zu unterziehen. Denn die Verbindung verschiedener Zeitschichten, die neue Nutzung, so schließt Werner Durth seinen Buchbeitrag, kann „deren Dämonisierung ebenso wie deren Verklärung vermeiden helfen.“
Wer die zwischen 2001 und 2006 entstandenen Arbeiten im Original sehen möchte, der kann die Schau „Architektonische Nachhut. Hinterlassenschaften des Nationalsozialismus“ bis zum 5. Juli 2009 in der vhs-photogalerie in Stuttgart in Augenschein nehmen. 2002 wurde die Serie mit dem „Otto-Steinert-Preis“ der Deutschen Gesellschaft für Photographie und dem „Reinhard-Wolf-Preis“ des Bundesverbandes Freischaffender Foto-Designer ausgezeichnet.
(Marc Peschke)
Ausstellung:
Ralf Meyer: Architektonische Nachhut. Hinterlassenschaften des Nationalsozialismus
30.4. – 5.7.2009
vhs-photogalerie
Rotebühlplatz 28
70173 Stuttgart
Telefon 0711-1873790
Öffnungszeiten: Mo-Sa 8-23 Uhr, So 9-18 Uhr
Buch:
Ralf Meyer
Architektonische Nachhut. Hinterlassenschaften des Nationalsozialismus (bei amazon.de)
Textbeiträge von Günter Kunert und Prof. Werner Durth
Hardcover, 168 Seiten, 107 Farbabbildungen, 24 x 30 cm
Kerber Verlag 2007
ISBN 978-3866780521
38 Euro
Tunnelblick
Wie sagt noch Eva Hermann: Autobahn….
Dieser Tunnelblick auf 12 Jahre Diktatur und Unrechtsstaat nervt nur noch. Es ist im Grunde genommen zwangsneurotisch. Die Gegenwart soll nur aus dieser Perspektive heraus definiert werden. Ein idiotisches Weltbild und eine perfide Ideologie steckt dahinter. Als ob es nicht in der Gegenwart genug Probleme gäbe und man nicht aktiv konstruktive Sichtweisen für die Zukunft brauchen würde.
Ja, Tunnelblick.
[quote=Gast]Dieser Tunnelblick auf 12 Jahre Diktatur und Unrechtsstaat nervt nur noch. [/quote]
Die Ausstellung blickt doch wohl auf die heutige Nutzung.
[quote=Gast]Die Gegenwart soll nur aus dieser Perspektive heraus definiert werden. [/quote]
Was ist denn diese Perspektive? Die des Nationalsozialismus? Oder die der Gutmenschen?
[quote=Gast]Ein idiotisches Weltbild und eine perfide Ideologie steckt dahinter. [/quote]
Paranoia?
[quote=Gast]aktiv konstruktive Sichtweisen für die Zukunft [/quote]
Nein, doch keine Paranoia. Hirnerweichung.
Tippfehler Loboe
Es heißt Laboe und nicht Loboe
Stimmt
Danke, korrigiert.
(thoMas)