Peter Bialobrzeski stellt einen Satz Gary Winogrands an den Anfang seines Buches: „Ich fotografiere, um zu sehen, wie die Welt fotografiert aussieht.“
Vielleicht zunächst ein wenig zur Begriffsklärung. Der Begriff der „Transition“, der als Titel des Fotobuchs von Peter Bialobrzeski dient, meint in Politikwissenschaft, Pädagogik, Bevölkerungskunde, Informatik, Biologie oder auch Flugmechanik stets etwas Ähnliches: das Stadium eines Übergangs nämlich, eines zweifelsfrei prekären Moments Skater benutzen diesen Begriff auch, wenn sie den Moment des Übergangs vom Horizontalen in die Wand der Halfpipe beschreiben , eines Moments womöglich, in dem man verloren, also „lost“ gehen könnte.
Es geht in diesem Buch „Lost in Transition“ – eine Anspielung auf Sofia Coppolas Film „Lost in Translation“ – also um Veränderungen und Übergangszustände. Das muss nicht allzu sehr verwundern, denn der Hamburger Fotokünstler Bialobrzeski interessiert sich schon seit langem für solche Momente … manchmal aber auch für das genaue Gegenteil davon: So veröffentlichte er nach seinem international vielbeachteten und preisgekrönten „Neon Tigers“-Buch unter dem Titel „Heimat“ bei Hatje Cantz ein Werk mit ganz stillen und beschaulichen Arbeiten. Heimatbilder deutscher Landschaften, romantische Spätnachmittagsszenen am Badesee oder eisige Felsen. Feinsinnige, idyllische Farbfotografien Deutschlands, in ihrer Vielfalt und Alltäglichkeit bezaubernd schön, über die der Künstler selbst sagte: „Meine Bilder sind Projektionsflächen des post-post-modernen Menschen für die Sehnsucht nach der Natur.“
Der hier vorliegende Band des 1961 geborenen Hamburger Fotografen berichtet aber nicht von der Unveränderlichkeit des Naturschönen, sondern vom internationalen Wandel des Urbanen. Ehrlich gesagt, mag man den seit Jahrzehnten im Kunstbetrieb kursierenden Begriff gar nicht mehr in den Mund nehmen, dennoch, denn es gibt vielleicht keinen besseren: um „Un-Orte“ oder „Nicht-Orte“ geht es in diesem Buch. Um das, was Foucault aber nicht „Un-Ort“ sondern „Heterotopie“ nennt. Um Gegenräume, um Ausnahmen vom Alltäglichen.
Solche Orte findet Peter Bialobrzeski, seit 2002 Professor an der Hochschule für Künste in Bremen, an der Peripherie der Städte, aber auch in ihrem Kern selbst. Seine Bilder sind in 28 Städten in 14 Ländern auf vier Kontinenten entstanden, unter anderem in Hamburg, Dubai, New York, Singapur, Neu-Delhi und Kuala Lumpur. Was wir sehen, ist bekannt: Es sind die großen Stadtlandschaften des 21. Jahrhunderts, die Orte, die sich so wunderbar zum Fotografieren eignen: riesige Bauplätze, stillgelegte Industrieanlagen, alte Häfen und Wasserläufe, ehemaliges Ackerland. Orte, denen keine Ruhe gegönnt ist, denn sie befinden sich in einem Zwischenstadium: Überall werkeln Stadtplaner an einer Neubebauung und Neunutzung, wie etwa in dem Riesenprojekt der Hamburger Hafencity, wo stadtnah neue Luxus-Quartiere am Wasser entstehen.
Doch nicht nur neue Architektur oder solche, die im Werden ist, zeigt Bialobrzeski. Auch das Alte fotografiert er, wie etwa den protestantisch-nüchternen Hamburger Kaispeicher A, auf dem bald die architektonisch höchst umstrittene Elbphilharmonie entstehen wird. Oder ein Gebäude in der Speicherstadt, das eingerüstet und komplett verhängt ist. Es sind die Relikte der Industriearchitektur des 20. Jahrhunderts, die heute zur Disposition stehen. Die einer Neunutzung, eines Umbaus harren. Oder die bald abgerissen sein könnten: Architektur im Wandel. Architektur „in Transition“. Manchmal treibt jener Wandel besonders skurrile Blüten, wie bei „Transition 13“, wo eine klapprige Hüttenarchitektur, eine improvisierte Architektur der Dürftigkeit und Armut, inmitten neuer Hochhäuser zu einer Insel der Vergangenheit wurde. Diese Insel, das ist sicher, wird an dieser Stelle nicht mehr lange zu finden sein.
Bialobrzeskis Bilder sind in der Abenddämmerung fotografiert, zu einer Tageszeit also, die mehr verschleiert als offenbart. Oder ist es umgekehrt? Zeigt sich die an diesen Orten neu entstehende Architektur illuminiert wie ein Star auf der Bühne nicht gerade so viel effektiver? In dem Licht, das ihr gebührt? Nüchternheit ist Bialobrzeskis fotografischem Stil fremd. Seine Bilder sind verführerisch, opulent, glitzernd, strahlend, dennoch sehr präzise. Werfen helle Schlaglichter auf den internationalen Bauboom dieser Tage, dessen Symbole riesige Baukräne sind.
Baukräne gibt es zu bestaunen auf einigen dieser Bilder es werden täglich immer mehr. Unnötig zu betonen, dass das, was von internationalen Architektenbüros überall auf der Welt gebaut wird, oft an Gleichförmigkeit nicht mehr zu überbieten ist. Menschen sind keine zu sehen. Wenn, dann huschen sie verschwommen vorbei. Warum auch? Der Mensch scheint nicht der Adressat dieser leuchtenden Architektur zu sein. Diese baut sich gleichsam von selbst, erschafft sich selbst, erfüllt ihren Sinn nur darin: immer weiter zu wachsen.
Unwichtig zu wissen, wo diese Bilder entstanden sind. Dubai? Kuala Lumpur? Ganz gleich. Dem Fotografen geht es nicht darum, Veränderungen zu dokumentieren, nicht darum zu sagen: So war es vorher und so ist es jetzt. Deshalb macht es auch Sinn, dass Bialobrzeski einen Satz Gary Winogrands an den Anfang seines Buches stellt: „Ich fotografiere, um zu sehen, wie die Welt fotografiert aussieht.“
Ist diese Kunst kritisch? Womöglich nicht: Sie ist nicht gemacht, um die überall auf der Welt, gerade in den Schwellenländern, entstehende Großarchitektur in ihrer planerischen Ödnis zu hinterfragen, dafür verschweigt sie zu viel, benennt keine stadtplanerischen, architektonischen Fehler, schon gar nicht kümmert sie sich um die Arbeitsbedingungen jener, die solche Bauten errichten dürfen. Bialobrzeski geht es darum, ganz Winogrand, zu wissen, „wie die Welt fotografiert aussieht.“
Bialobrzeski zeigt die Bauten als aseptische, beinahe fiktional anmutende Traumpaläste, als leuchtende Utopien eines neuen Wohnens. Utopien, wie sie die Avantgarde des frühen 20. Jahrhundert noch hatte. In diesen Fotografien steckt viel von diesem Fortschrittsglauben. Es steckt eine Künstlichkeit, Märchenhaftigkeit und Schönheit in ihnen, die gespeist wird von Hoffnung Hoffnung auf eine schöne neue Welt.
Die Fotografien werden denen nicht gefallen, die schon heute wissen, dass das schöne Leben vor morgen ein hohles Versprechen ist. Kritiker werden sagen: Bialobrzeski, der selbst Politik und Soziologie studierte und seine Arbeiten als „kulturelle Übung“ bezeichnet, betreibt eine Verharmlosung eines Faktums: Diese keiner Regionalkultur mehr gehorchenden architektonischen Großprojekte, dieser Wildwuchs aus Bürokomplexen, Shopping Malls und grauenvoller Event-Architektur wird das menschliche Lebens kaum positiv verändern. Diese Gebäude simulieren Wohlstand und Glanz, doch sie disziplinieren und reglementieren das Subjekt, das in ihnen so klein ist wie eine Ameise.
Eine andere Interpretation: Der nachmoderne Fotograf desavouiert eine besorgniserregende Entwicklung, überträgt die planerischen Strategien aktueller Ereignis-Architektur in sein künstlerisches Schaffen, inszeniert konzentrierte Bilder glitzernder Oberflächlichkeit, um den unsinnigen Gigantismus, die Fremdheit und unsere Verlorenheit in dieser schönen neuen Welt nur um so deutlich auszustellen. Rette sich wer kann! In solchen Häusern, in solchen Fotografien, da kann der Rezensent verloren gehen.
(Marc Peschke)
Buch:
Peter Bialobrzeski: Lost in Transition (bei amazon.de)
Text von Michael Glasmeier
Deutsch/Englisch
Hatje Cantz Verlag 2007
128 Seiten, 53 farbige Abb.
30,90 x 24,60 cm. Gebunden mit Schutzumschlag
ISBN 978-3-7757-2049-6
€ 39,80 / CHF 69
Ausstellung:
Peter Bialobrzeski: Lost in Transition
5. September bis 1. November 2008
L.A. Galerie Lothar Albrecht
Domstrasse 6
60311 Frankfurt
Telefon: 069-288687
Nur damits keiner behauptet:
Das sind echte Fotografien – keine, wie heißt das, ADR? nachbehandelte Digifotos.
Dieser Mann -einer meiner absoluten Favoriten!- arbeitet mit Großbildkameras – sehr klassisch.
Schon bestellt (über den Link, gern geschehen)!