Foto Frieda Riess, Ausschnitt aus Selbstporträt, 19221925 hatte Frieda Riess ihre erste, gefeierte Einzelschau – einige Jahre danach war sie vergessen. Jetzt zeigt die Berlinische Galerie eine große Retrospektive:

Wurde man von ihr zum Tee eingeladen, dann hatte man es geschafft: Der Salon der 1890 im polnischen Carnkov geborenen Fotografin Frieda Riess, die einer wohlhabenden jüdischen Kaufmanns-Familie entstammte, war der place to be im Berlin der zwanziger Jahre. Doch sie war nicht nur eine Salon-Löwin, sondern vor allem eine gestandene Fotografin: Das 1918 eröffnete Atelier Riess am Kurfürstendamm war in den zwanziger Jahren eines der renommiertesten in Berlin – die Fotografin arbeitete zudem für populäre Zeitungen und Magazine.
 

Foto Frieda Riess, Claire Goll, um 1926Frieda Riess, Gottfried Benn, um 1924

Frieda Riess: Claire Goll, um 1926 – Gottfried Benn, um 1924; beide: Deutsches Literaturarchiv Marbach

 
Schauspieler und Schriftsteller, Künstler, Tänzer, Sportler, Bankiers und Politiker, die Malerin Xenia Boguslawskaja, der Maler Max Liebermann, der Boxer Erich Brandl, die Schriftsteller Gottfried Benn und Gerhart Hauptmann, der Kunsthändler Alfred Flechtheim, Claire Goll, Emil Jannings, Leni und Ernst Lubitsch, Marc Chagall und Asta Nielsen – sie alle ließen sich von Frieda Riess porträtieren, deren Karriere jedoch kurz war: 1932 emigrierte sie nach Paris, wo Riess vermutlich Mitte der fünfziger Jahre vollkommen verarmt und vergessen starb.

Jetzt zeigt eine Ausstellung in der Berlinischen Galerie eine große – von einem Katalog begleitete – Retrospektive: 300 wiederentdeckte Abzüge sind zu sehen, zigtausende gelten heute als verschollen – Beispiele eines dezenten Expressionismus, einer dynamischen Porträtkunst, die Wirklichkeitsnähe mit Tiefgründigkeit verbindet. So schrieb etwa der Dichter Max Hermann-Neiße über sein von Frieda Riess angefertigtes Porträt: „Wer dies Bild sah, wird mich erkennen. Und so voll Erkenntnis sind fast alle Porträtphotos der Riess.“
 

Foto Frieda Riess, Die Malerin Xenia Boguslawskaja, 1922Foto Frieda Riess, Selbstporträt, 1922

Frieda Riess: Die Malerin Xenia Boguslawskaja, 1922 – Selbstporträt, 1922; beide © ullstein bild

 
1925 hatte Frieda Riess ihre erste, gefeierte Einzelschau in der Galerie des Kunsthändlers Alfred Flechtheim – einige Jahre danach war sie vergessen. Ein kurzer Triumph einer eigenwilligen Frau. Man betrachte das Buchcover: 32 Jahre alt ist sie auf dem Selbstporträt mit Papagei. Der Vogel sitzt auf ihrer rechten Schulter, in leichter Bewegungsunschärfe, blickt in die Kamera. Und die Fotografin? Schaut nach rechts auf das Tier, konzentriert, liebevoll, ihm ganz zugetan. Eine surreale, sonderbare Fotografie. Eine echte Wiederentdeckung.

(Marc Peschke)
 
 
Ausstellung:
Das Verborgene Museum in der Berlinischen Galerie
Alte Jakobstraße 124-128
10969 Berlin-Kreuzberg
Bis 20. Oktober 2008
Mittwoch bis Montag 10 bis 18 Uhr
 
 

Titelabbildung Die Riess. Fotografisches Atelier und Salon in Berlin 1918-1932
 

Buch:
Marion Beckers und Elisabeth Moortgat (Hrsg.)
Die Riess. Fotografisches Atelier und Salon in Berlin 1918-1932 (bei amazon.de)
Deutsch und Englisch
Gebunden. 256 Seiten
Wasmuth Verlag 2008
ISBN 3803033268
EUR 39,80
 

 
Nachtrag (14.7.2008): Bild- bzw. Urheberrechtsnachweis bei den Bildunterschriften ergänzt.