© 2008 Peter Fischli / David Weiss… an Lichttischen fällt der Blick auf ultrafeines Korn, dessen Leuchtkraft den Ehrfurcht gebietenden Glanz gotischer Kirchenfenster in Ausstellungshäuser trägt … – Peter Fischli & David Weiss: Fragen & Blumen in den Hamburger Deichtorhallen

Schwerkraft, Hebel und Chemie

Lauf der Dinge heißt das Video, das eine virtuell unendliche Verkettung von Bewegungen vor dem Auge des Betrachters ablaufen lässt, die durch Schwerkraft, Hebelwirkung und chemische Reaktionen in Gang gehalten werden. 1986/7 produziert und auf der documenta 8 gezeigt, fasziniert es Betrachter überall auf der Welt. Wie zahlreiche auf Internetplattformen kursierende Videos beweisen, ist der Aufbau ähnlicher Abläufe in Büros, Werkstätten und Wohnungen von globaler Beliebtheit und belegt die Unerschöpflichkeit einer vom Pulitzer-Preisträger Rube Goldberg (1883 – 1970) angestoßenen humorvollen Ursache-Wirkung-Kette, die den Dingen und Verrichtungen des Alltags ungeahnte Unterhaltungspotentiale abgewinnt. (Vorsicht Zeitverluste beim Durchsehen von etlichen Videos unter „erweiterte Suche“: „Rube Goldberg“!).

Dank der Automatisierung wird die von Ingenieuren stillgelegte Phantasie von Technologienutzern in neue Bahnen gelenkt und fördert die Neigung, sich dem Absurden hinzugeben und „einfache Aufgaben umständlich zu lösen.“ Nicht nur diese Haltung durchzieht das gesamte Werk von Peter Fischli (*1952) und David Weiss (*1946); denn beide Künstler lassen ihr Publikum auch an ihrer Suche nach Antworten und einer Vereinfachung der Lebenspraxis teilhaben. Unzählige Fragen und 10 Gebote zum neuen Wirtschaften How to Work Better (1992 – 2006) öffnen die Vorstellungskraft und wecken die Bereitschaft zur Gelassenheit.
 

© 2008 Peter Fischli / David Weiss

Natürliche Grazie (Aus der Serie: Equilibre), 1984 Fotografie © 2008 Peter Fischli / David Weiss

 
High and Low in der Bilderproduktion

In dem von beiden Künstlern entworfenen Ausstellungsparcours begegnet man neben Objekten, Installationen, Videos und Fotografien überraschenderweise auch kindlich anmutenden Tonfiguren. Selbst wer die 1981 entstandene Serie Plötzlich diese Übersicht schon gesehen hat, ist jedes Mal ob des Bruchs mit der Wahrnehmung überrascht, der sich nach dem Betrachten der Flachware einstellt. Obwohl diese emblematischen Kleinplastiken von Redensarten, Puns, Gegenständen und Verrichtungen aus Alltag und Arbeitswelt den Charme von Schülerarbeiten haben, erheischen sie trotz ihrer primitiven Erscheinungsweise durch ihre enzyklopädische Anhäufung eine große Anziehungskraft.
 

© 2008 Peter Fischli / David Weiss

Mick Jagger und Brian Jones befriedigt auf dem Heimweg, nachdem sie ‘I Can’t Get No Satisfaction’ komponiert haben, aus der Serie «Plötzlich diese Übersicht», 1981 Ungebrannter Ton © 2008 Peter Fischli / David Weiss

 
Immer und überall arbeiten

In den Filmen Der geringste Widerstand (1980/81) und Der rechte Weg (1982/83) begegnen sich Wurstigkeit und Poesie. In volkstümlich karnevalesker Maskerade als Ratte und Bär sind die beiden Protagonisten in unwirtlichen Stadt- und Naturlandschaften der USA unterwegs. Abseits sozialer Zusammenhänge nehmen sich Verkleidung, Reden und Verhaltensweisen bodenlos aus. Sie reden noch das Ödeste schön wie in einer lebensgefährlichen Situation halluzinierende Expeditionsteilnehmer die rettungslos gestrandet sind. Ihrem Nomadendasein entspringt auch die seit 1987 über 20 Jahre fortgesetzte Fotofolge der Airports. Blicke aus den Sammelräumen für Passagiere auf das Vorfeld von internationalen Flughäfen werden dort ausgebreitet. Aber Halt! Ausstellungen lullen ihre Besucher oft ein und man fällt infolge der Überreizung der Sinne in einen tranceartigen Zustand. Dabei sollte man sich vergegenwärtigen, dass die Arbeit mit einer Mittelformatkamera kein Knipsen ist und man als Betrachter zum Zeugen einer Arbeitshaltung wird, die noch das Warten bis zum Einsteigen zur Arbeitszeit macht, also die nomadische Situation auf Schritt und Tritt der Kunstproduktion unterwirft. Dazu passt eine ihrer hundertfach gestellten Fragen, die als Diaprojektion, Notizen oder in eine große Vase in der Ausstellung verteilt zu lesen sind: „IST DAS SCHÖNE AN DER ARBEIT, DASS MAN KEINE ZEIT MEHR HAT?“
 

© 2008 Peter Fischli / David Weiss

Airports, 1987-2006 C-Print © 2008 Peter Fischli / David Weiss

 
Durch Technologieentwicklung verworfen: Analoge idyllische Reisebilder

Die Blicke auf die abzufertigenden Passagierjets gehören zu einer Sammlung von Blicken auf Sehenswürdigkeiten der Welt. Sichtbare Welt umfasst dreitausend mittelformatige Dias aus 14 Jahren von 1987 bis 2000, und man fragt sich, welche Künstler sich außerdem trauen würden, eine Sammlung von Fernweh verbreitenden Sonnenuntergängen, Tempeln, Palmen, Stränden und Plätzen auf einer internationalen Bühne auszustellen. Im schwarzen Raster gerahmt auf 15 hintereinanderstehenden Lichttischen angeboten, werden Ausstellungsbesucher in die Lage von Kunden versetzt, die Fotos aussuchen. Globetrotter entdecken dabei nichts Neues; aber vielleicht wird ein in Reiseprospekten und Reisebeilagen am Wochenende blätternder Ausstellungsbesucher bemerken, wie sehr sein Auge dort mit schlechten Druckerzeugnissen geplagt wird. An diesen Lichttischen fällt der Blick auf ultrafeines Korn, dessen Leuchtkraft in der Epoche, in der sich die digitale Fotografie durchsetzt, den Ehrfurcht gebietenden Glanz gotischer Kirchenfenster in Ausstellungshäuser trägt. Aus bildredaktioneller Sicht zeigt die vorgelegte Fülle des Materials jedoch einen Haufen Abfall aus der zu Ende gehenden Ära der analogen Fotografie. An der Schwelle einer neuen Zirkulationsweise der Bilder hat dieses Artefakt, zu dem Fischli & Weiss ihren Bilderschatz gemacht haben, aber die Chance als Kunst vom Müllhaufen der Geschichte gerettet zu werden und in den Schubladen von Archiven und in Sammlerdepots die Zeit zu überdauern.
 

© 2008 Peter Fischli / David Weiss

Ohne Titel (Blume), 1997 Fotografie © 2008 Peter Fischli / David Weiss

 
Das Abseitige adeln

Vor 4 Jahren begannen Fischli & Weiss mit ihrer Bilderfolge Fotografias dem Abseitigen zu huldigen. Sie verwandeln Bildtafeln, mit denen Jahrmarktsattraktionen grell bunt geschmückt werden, in mit weißem Karton kaschierte postkartengroße Schwarz-Weiß-Abzüge, welche die Kuratoren der Ausstellung im Beiheft der Züricher Ausstellung als „postapokalyptische Grisaille“ verstehen. Sie verbinden diese mit gotischen Altartafeln, die oft kleinformatigen Motive (Predelle) flankieren, die Malern Gelegenheit boten, auf abseitige Geschichten zurückzugreifen. Folgt man dem Stichwort, stellt sich die Frage nach dem Hauptmotiv, als das ich die großformatigen C-prints von Blumen und Pilze ansehen möchte. Im Zuge der Konjunktur von Idyllen bieten sich diese Bildtafeln als zeitgenössische Meditationstafeln für private Kontemplation und Cocooning an. In dieser Welt buddhistischen Revivals finden schließlich auch die 10 Gebote (How to Work Better) ihren Widerhall.
 

© 2008 Peter Fischli / David Weiss

How to work better, 1991, Wandbild in Entstehung, Zürich-Oerlikon © 2008 Peter Fischli / David Weiss

 
Letzte Gelegenheit nicht verpassen!

Für alle, die nicht schon letztes Jahr die von Bice Curiger vom Kunsthaus Zürich und Vicente Todoli von der Tate Modern in London zusammengestellte Ausstellung gesehen haben, bietet sich in den Hamburger Deichtorhallen die letzte Gelegenheit, sich an dieser große Teile des bisherigen Werks des Schweizer Künstlerpaars umfassenden Retrospektive zu erfreuen. Die großflächige Nordhalle bietet obendrein mehr Ausstellungsobjekte und erweiterte Werkgruppen als in den Ausstellungen zuvor gezeigt wurden.
 

© 2008 Peter Fischli / David Weiss

Filmstill aus «Der geringste Widerstand», 1980/81 Kamera: Jürg V. Walther © 2008 Peter Fischli / David Weiss

 
Die Ausstellung in der Deichtorstraße 1-2 in 20095 Hamburg Deichtorhallen ist bis zum 31. August jeweils Dienstags bis Sonntags von 11 bis 18 Uhr geöffnet.
Eintritt: 7 € ermäßigt 5 €.

Ein Katalogbuch, das die Künstler und Bice Curiger herausgegeben haben und das mit 31 Aufsätzen von ebenso vielen Autorinnen zu den Werkgruppen auf 352 Seiten einen Überblick über das vielseitige Werk gibt, ist zum Preis von 29 € erhältlich.

Tipp: Einen trefflichen Einblick in die Denkweise von Fischli & Weiss gibt der Text von Stefan Zweifel SUMMSUMM – DUMMDUMM (Katalog, S. 187-165), der den Stumpfsinn, der einen etwa im Halbschlaf befällt, als Quelle einer erweiterten Wahrnehmung benennt. Gedanken aus diesem Essay in einer anderen Fassung: Die Besten: Fischi Weiss

(Johannes Lothar Schröder)