„Trautes Heim – Glück allein“, hieß es früher. Dass es auch Zuhause bisweilen unheimlich sein kann, das zeigt nun eine Ausstellung in Bonn, die „Unsichere Räume in der Kunst der Gegenwart“ zum Thema hat. Genauer haben wir uns die Ausstellung von Thomas Florschuetz in Wiesbaden angesehen, dessen Architekturfotografien dort auf perfekte Art präsentiert werden. Doch nicht nur Architekturfotografie stellen wir Ihnen in dieser Ausgabe von Foto-Frisch vor. Aber lesen – und schauen – Sie selbst!

Reynold Reynolds und Patrick Jolley, Burn, 2002

Reynold Reynolds und Patrick Jolley, Burn, 2002
Videoinstallation, übertragen von 16mm, 10 min

 
Im Kölner Wienand Verlag ist jetzt der Band „HEIMsuchung“ erschienen. Um „Unsichere Räume in der Kunst der Gegenwart“ geht es hier – und die Fotokunst nimmt großen Raum ein. Auf 320 Seiten illuminieren die Herausgeber Volker Adolphs und Stephan Berg das Phänomen: Immer häufiger verstehen Künstler das „Heim“ nicht als Ort des Wohlbehagens, des Rückzugs – sondern als unheimlichen, klaustrophobischen Ort. Es finden sich hier unter anderem Arbeiten von Gregory Crewdson, Thomas Demand und Hans Op de Beeck. Werke, die staunen lassen. Das Kunstmuseum Bonn zeigt bis zum 25. August 2013 die Ausstellung.

Nicht weit von Bonn, im Museum Wiesbaden, zeigt uns Thomas Florschuetz derzeit ganz andere Räume. Es ist das subtile Wechselspiel der Flächen und Linien, der Blickachsen, Architekturöffnungen und Perspektiven, das gleich für diese Bilder einnimmt. Ihre Leuchtkraft auch. Die Perfektion der Präsentation.
 

Foto Thomas Florschuetz, Ohne Titel (Palast) 33, 2006/08

Thomas Florschuetz, Ohne Titel (Palast) 33, 2006/08
© Courtesy Galerie m, Bochum

 
Fotografiert hat Florschuetz die Regierungsbauten von Le Corbusier im indischen Chandigarh, die Bauten Oscar Niemeyers in Brasilia sowie Bauten von Louis Kahn wie das Salk Institute in La Jolla und das Indian Institute of Management in Ahmedebad, doch jede soziologische Betrachtung der Orte ist ihm fremd. Was etwa Ernst Scheidegger in seinem Buch „Chandigarh 1956“ im Sinn hatte, einen tiefen, luziden Blick auf das Leben, die Lebensumstände der Menschen in Chandigarh zu werfen, das ist nicht die Idee von Florschuetz. Er fotografiert die Realität gewordene Plan-Stadt, ein Schachbrett aus 60 Rechtecken, ein graues, heute brüchiges Denkmal der Architektur-Moderne, mit auf paradoxe Art liebevoller Nüchternheit.

Und so sieht er auch den Palast der Republik in Berlin während des Abrisses oder das von David Chipperfield restaurierte Neue Museum auf der Museumsinsel kurz vor der Fertigstellung: als Ort von Wandflächen und Strukturen, von Schichtungen und Staffelungen. Arbeiten wie „Enclosure (NM) 25“, entstanden 2009 bis 2010, wollen nichts erzählen. Keine Geschichte steckt hinter den Motiven. Sie sind Zeugnisse einer vorsichtigen, gefühlvollen Abstraktion, auch wenn sie ihren Dienst als Architekturfotografien dennoch tun: Sie dokumentieren die Bauten mit Zuneigung und Sensibilität.
 

Foto Thomas Florschuetz, Enclosure (NM) 25, 2009/10

Thomas Florschuetz, Enclosure (NM) 25, 2009/10
© Courtesy Galerie m, Bochum

 
Der 1957 in Zwickau geborene Florschuetz ist sehr bedacht darauf, aus seinen Bildern alles Erzählerische zu verbannen. Nichts erfahren wir darüber, wie die Bauten etwa in Chandigarh heute genutzt werden. Das macht diese Bilder nicht weniger faszinierend – vor allem in der Ausstellung. Denn Florschuetz geht es weniger um das Einzelbild, sondern um eine Gesamtkomposition, ein Zusammenfügen, in der es viele Interaktionen und Verbindungen gibt. Die Schau nimmt gefangen, weil beinahe jedes Bild am richtigen Platz zu hängen scheint. Mehrere kleine Arbeiten von Rückenansichten von Menschen, die „Individuals“, sind schließlich wie eine humorvolle Gegenrede, eine kleine Irritation, die der Ausstellung noch eine weitere, überraschende Wendung gibt. Zur Ausstellung ist ein Buch bei Hatje Cantz erschienen.
 

Foto Otto Skowranek, Olga Desmond - Schwertertanz, 1908

Otto Skowranek, Olga Desmond – Schwertertanz, 1908, Silbergelatinepapier
© Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek

 
 
Foto Wilhelm von Gloeden, Sizilianische Knaben bei Taormina, 1896, Albuminpapier

Wilhelm von Gloeden, Sizilianische Knaben bei Taormina, 1896, Albuminpapier
© Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte

 
 
Foto Albert Londe, 15 Chronofotografien von Charcot fils / Charcot spielt Fußball, um 1890

Albert Londe, 15 Chronofotografien von Charcot fils / Charcot spielt Fußball, um 1890, Silbergelatinepapier
© École nationale supérieure des beaux-arts, Paris; Reprofoto: Jean-Michel Lapelerie

 
Von der Architektur zum Körper – und nach Berlin. Im Nicolai Verlag ist das Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung im Berliner Museum für Fotografie erschienen, die sich bis Ende August der Aktfotografie um 1900 widmet. „Die nackte Wahrheit und anderes“ stellt etwa 100 Fotografien vor, die zeigen, dass zwischen Erotik, Pornografie und Körperkult auch schon damals die Grenzen fließend waren. Wir sehen Schamloses und Schamhaftes – unter anderem von Edward Steichen, Alfred Stieglitz, Wilhelm von Gloeden, Louis Jean Baptiste Igout und Robert Demachy.
 

Titel Petra Wittmar, Medebach
 
 
Aus: Petra Wittmar, Medebach

Aus: Petra Wittmar, Medebach

 
Petra Wittmars Buch „Medebach“ versammelt Fotografien, die zwischen 2009 und 2011 entstanden sind. Ihr jetzt bei Hatje Cantz veröffentlichtes Buch versteht sich als „Dokumentation deutscher Wirklichkeit“, zeigt Mehrfamilienhäuser, Garagen, Bauernhöfe und kleine Industriebauten – inklusive gefegter Gehsteige, gemähter Vorgärten und korrekt beschnittener Hecken. Die Tristesse eines Ortes einzufangen ist der Absolventin der Folkwangschule Essen wohl geglückt, dennoch darf man anmerken, dass dieser distanzierte Blick seit Dekaden eine bekannte Strategie gerade in der deutschen Fotokunst ist. Man sieht die sattsam bekannten Bilder – und Langweile macht sich breit.
 

Foto
 
 
Foto Jürgen Vollmer, Madonna im Taxi

Jürgen Vollmer, Madonna im Taxi
Copyright: Jürgen Vollmer

 
Spannender sind da schon die Lebenserinnerungen von Jürgen Vollmer, dessen bei Edel erschienenes Buch „Wie ich John Lennon die Haare schnitt, vor Romy Schneider davonlief und Catherine Deneuve zum Lachen brachte“ heißt. In diesem Buch erzählt der Hamburger Fotograf und Pilzkopf-Erfinder aus seinem Leben. Und Sie werden staunen, wie unterhaltsam er berichten kann!
 

Titel Wols Photograph - Der gerettete Blick

 
Mit einem großen Buch über Wols ehrt der Verlag Hatje Cantz jetzt einen Künstler, der zu den Klassikern der Fotografie gerechnet werden kann. „Wols Photograph. Der gerettete Blick“ führt anlässlich des 100. Geburtstag in das fotografische Werk eines Mannes ein, der nach seinem frühen Tod schnell vergessen wurde, doch heute wiederentdeckt wird. In Dresden ist in den Staatlichen Kunstsammlungen bis Ende August 2013 eine große Ausstellung zu sehen, die später in den Martin-Gropius-Bau nach Berlin und danach in das Musée d’Art moderne de la Ville de Paris wandert.
 

Sophia Pompérys
 
 
Sophia Pompéry

Aus: Sophia Pompéry, ATÖLYE

 
Sophia Pompérys kleiner Katalog „ATÖLYE“ stellt das Werk einer jungen Berliner Künstlerin vor, die vor kurzem im Nassauischen Kunstverein in Wiesbaden präsentiert worden ist. Es ist ein geheimnisvoller Kosmos, der hier aufscheint. Phantasie-Entzünder, Poesie-Erreger: Vielgestaltig, vieldeutig ist diese Kunst, die Videos, Fotografien, Objekte und Installation umfasst. Ein Text von Sara Stehr führt in das Werk ein.

Am Ende von Foto-Frisch steht wie immer eine Empfehlung, Fotokunst käuflich zu erwerben. Man kann in Onlinegalerien fündig werden, bei Fotokunst-Galerien, auf Kunstmessen, in Auktionshäusern, bei Kunsthändlern – oder auch in den Ateliers der Künstler selbst. Wir möchten Ihnen Arbeiten vorstellen, die wir für sammlungswürdig halten – angeboten von seriösen Galerien, Verlagen oder Händlern.
 

Foto Sophia Pompéry, Originalkopie III, 2013

Sophia Pompéry, Originalkopie III, 2013
30 + 6 EA, jeweils 20 x 30 cm

 
Diesmal empfehlen wir eine Edition des Nassauischen Kunstvereins in Wiesbaden, nämlich die Arbeiten „Originalkopie“ Sophia Pompéry aus dem Jahr 2013; zur Wahl stehen drei Motive, erschienen jeweils in einer Auflage von 30 + 6 EA, signiert, nummeriert und datiert, Maße jeweils 20×30 cm, ab 90 Euro pro Motiv. Genauere Infos: Sophia Pompéry: Originalkopie (PDF-Datei).

(Marc Peschke)