Niklas Goldbach: Ten, 2010„Wir alle spielen Theater“ (Erving Goffman), um den gesellschaftlichen Normen und Erwartungen zu entsprechen und um unser „Selbst“ darzustellen. „Spielverderber“ werden marginalisiert, therapiert, werden aus- oder eingesperrt:

 
 
 
 
 

Foto Franz Hanfstaengl: Rubensfest München; Der Maler Heinrich von Pechmann mit seiner Frau als Peter Paul Rubens und Isabella Brant, um 1857

Franz Hanfstaengl: Rubensfest München; Der Maler Heinrich von Pechmann mit seiner Frau als Peter Paul Rubens und Isabella Brant, um 1857
Fotografie auf Karton montiert, 31,5 x 47,5 cm
Münchner Stadtmuseum, Sammlung Fotografie
 
 
Foto Robbie Cooper: Lee Taek Soo – Crammer aus der Serie „Alter Ego“, 2003 – 2006

Robbie Cooper: Lee Taek Soo – Crammer aus der Serie „Alter Ego“, 2003 – 2006
Location: Seoul, South Korea
Game: World of Warcraft
Courtesy of the artist

 
Medieninfo vom MdM Mönchsberg:

Rollenbilder – Rollenspiele

Ausstellung im MdM Mönchsberg 23. 7. – 30. 10. 2011

Rollen, Akteure, Bühnen, Skripte … ein Blick auf die Bildlichkeit dieser Begriffe offenbart uns die Gesellschaft als Theater. Wir alle sind Akteure unterschiedlicher kultureller, sozialer und biologischer Rollen. „Wir alle spielen Theater“ (Erving Goffman), um den gesellschaftlichen Normen und Erwartungen zu entsprechen und um unser „Selbst“ darzustellen. Während die Gesellschaft auf eine möglichst reibungslose Koordination von Akteuren und Rollen angewiesen ist und „Spielverderber“ marginalisiert, therapiert, ein- oder aussperrt, thematisiert die Kunst gerade die problematischen Reibungsflächen und Bruchstellen zwischen Rolle und Akteur. Sie reflektiert unser Bedürfnis, hinter die Maske zu schauen, wo wir „authentische“ Menschen zu erwarten scheinen.

 

Radierung Francisco de Goya + C-Print Yasumasa Morimura

Francisco de Goya: Schon gehen sie gerupft; aus dem Zyklus „Los Caprichos“ 1793-98
Radierung, 33,9 x 23,7 cm
Museum der Moderne Salzburg

Yasumasa Morimura: aus der Serie „Los Nuevos Caprichos: Gentlemen, Your Turn is Over“, 2004
C-Print, 70 x 60 cm
Courtesy Galerie Thaddaeus Ropac, Paris / Salzburg

 
Die Ausstellung gibt erstmals anhand von Fotografien, Grafiken, Videoarbeiten und Installationen einen Überblick über das Phänomen des Rollenspiels als Thema der Kunst von den paraphrasierenden Tableaux vivants des 19. Jh. bis zu den Rollenspielen in den sozialen Netzwerken des Internets. Identitätsprobleme und -entwürfe sind zentrale Themen zeitgenössischer Kunst der 1990er Jahre gewesen und wurden in verschiedenen Ausstellungen, die häufig die weibliche Rolle ins Zentrum stellten, aufgegriffen. Was ist seit der Debatte der 1990er Jahren passiert? Wie haben die Medien unser Rollenverständnis beeinflusst? 1998 konnte der Film „Die Trueman Show“ die totale Überwachung seines Protagonisten noch als dunkle Zukunftsvision inszenieren. Der Hauptdarsteller wird, ohne es zu wissen, von 5.000 Kameras 24 Stunden am Tag beobachtet, mit einem gigantischen Aufwand wird ihm „Alltag“ fortwährend vorgespielt. Mit der Realityshow „Big Brother“, die 2000 erstmals ausgestrahlt wurde, hat sich die Unterscheidung von privater und öffentlicher Rolle radikal geändert.

Nachdem der Aufruf der 68er, spontan und authentisch zu sein, als paradox durchschaut ist, lässt sich heute ein spielerischer Umgang mit Rollen und das mühelose Wechseln zwischen ihnen feststellen. Virtuelle Identitäten werden im „Second life“ und in Internet-Foren angenommen, im „wahren“ Leben werden sie als „Cosplayer“ (costume play) ausgelebt. Teenager kleiden sich in diesem aus Japan importierten Jugendkulturphänomen in die Identitäten fiktiver Charaktere, die sie genau nachstellen und im alltäglichen Leben spielen.

Die Wiederholung und Verdopplung sind für das Rollenspiel zentral, dies betonen auch Judith Butler in „Gender Trouble“ oder Erving Goffman in „Wir alle spielen Theater“. In der Kunst folgt daraus aber eine besondere Pointe, denn in der Wiederholung einer ikonografischen Vorlage oder eines bestimmten Kunstwerks, wie sie im Tableaux vivant oder den Cosplayern zu beobachten ist, lässt sich die Rolle als solche erkennen. Die Selbstdarstellung entpuppt sich als Reinszenierung. Damit trifft man auf ein zentrales Thema der zeitgenössischen Kunst: Das Nachstellen von Kunstwerken greift Arbeitsweisen der Appropriation Art auf, und mit dem Sampling und dem Arbeiten mit Bilder von Bildern ist das Phänomen des Karaoke zur Methode geworden.

Die Ausstellung gliedert sich in folgende thematische Felder: Historische Kapitel, religiöse Rollenspiele, Bildparaphrasen, Ich ist ein anderer, Künstlerrolle/Künstler als Kunstwerk, Geschlechterrollen, Travestie, Theatralität, Multiplikation und Wiederholung, Ethnische Identität, Soziale Rolle/Klasse/Beruf, Ernste Spiele, Reenactment und Fiction.

Kuratoren: Toni Stooss, Esther Ruelfs, Tina Teufel, Veit Ziegelmaier

Zur Ausstellung erscheint im Hirmer Verlag München der Katalog „Rollenbilder – Rollenspiele“, Hrsg. von Toni Stooss und Esther Ruelfs, mit Texten von Mark Butler, Susanne Holschbach, Birgit Jooss, Sabine Kampmann, Thomas Meinecke, Vanessa Joan Müller, Esther Ruelfs, Toni Stooss und Veit Ziegelmaier, ca. 352 Seiten und ca. 350 Abbildungen überwiegend in Farbe, gebunden, um € 39,90 in den MdM Museumsshops erhältlich.
 

Irene Andessner: I. M. Dietrich #2, 2001/2010

Irene Andessner: I. M. Dietrich #2, 2001/2010
Duratrans-Leuchtkasten, 160 x 125 cm
Sammlung Angerlehner
 
 
Foto Urs Lüthi: Selbstporträt (mit Federboa), 1970

Urs Lüthi: Selbstporträt (mit Federboa), 1970
SW-Fotografie, 90 x 60 cm
Sammlung Verbund, Wien

 
Die Ausstellung zeigt unter anderem Positionen von folgenden KünstlerInnen:

Marina Abramovic, Irene Andessner, Eleanor Antin, Hippolyte Bayard, Tina Barney, Christa Biedermann, Christian Boltanski, Candice Breitz, Claude Cahun, Julia Margaret Cameron, Robbie Cooper, Martin Dammann, Christoph Draeger, Marcel Duchamp, Yan Duyvendak, Slawomir Elsner, Eva & Adele, Harun Farocki, Cao Fei, Gilbert & George, Niklas Goldbach, Douglas Gordon, Francisco de Goya, Rodney Graham, G.R.A.M., Aneta Grzeszykowska, Fred Holland Day, Christian Jankowski, Glenn Kaino, Martin Kippenberger, Jürgen Klauke, David LaChapelle, An-My Lê, Ulrike Lienbacher, Urs Lüthi, Christopher Makos, Madame Yevonde, Man Ray, Anja Manfredi, Manon, Dieter Meier, Yasumasa Morimura, Adi Nes, Suzanne Opton, Ferhat Özgür, Jack Pierson, Sascha Pohle, Benjamin Rinner, Dirk Rose, Ugo Rondinone, Julika Rudelius, August Sander, Erik Schmidt, Elfie Semotan, Cindy Sherman, Taryn Simon, Elaine Sturtevant, Timm Ulrichs, Andy Warhol, Gillian Wearing, William Wegman, Hannah Wilke, Ming Wong, David Wojnarowicz u.a.m.
 

Foto Tina Barney: The Granddaughter, 2004

Tina Barney: The Granddaughter, 2004
C-Print 120 x 152
Janet Borden Gallery, New York

 
Ausstellung:
Rollenbilder – Rollenspiele
23.7.2011 – 30.10.2011

MdM Mönchsberg
Mönchsberg 32
5020 Salzburg

Öffnungszeiten: Dienstag – Sonntag 10:00 – 18:00 Uhr; Mittwoch 10:00 – 20:00 Uhr; Montag geschlossen
 

(thoMas)
 

Niklas Goldbach: Ten, 2010

Niklas Goldbach: Ten, 2010
Video Still
Courtesy Galerie Anita Beckers/Frankfurt, © Niklas Goldbach