Foto Fritz Eschen: Brandenburger TorDer Band „Berlin unterm Notdach. Fotografien 1945-1955“ stellt einige der besten Bilder von Fritz Eschen vor; zeigt ganz ohne Pathos das vertraute Miteinander der kleinen Leute:

Ganz am Anfang des vergangenen Jahrhunderts, am 19. Januar 1900, wurde Fritz Eschen in Berlin geboren. Berlin, das war auch stets die Stadt, der sich Eschen fotografisch widmete; sein hauptsächliches Werk als Fotograf begann in der „Stunde Null“. Mit der Befreiung Deutschlands konnte er – als jüdischer Lichtbildner, der als Mann einer „Arierin“ in einer „privilegierten Mischehe“ die Nazizeit mit viel Glück überlebte – endlich wieder arbeiten. Als freier Bildjournalist hatte er zwar schon Ende der zwanziger Jahre für Fotoagenturen gewirkt, doch das Berufsverbot hatte ein kontinuierliches Wachsen eines Werkes unmöglich gemacht.

Nun, im Jahr 1945, fängt Eschen neu an – im Land der Täter. Er beginnt, für Berliner Zeitungen und Zeitschriften zu fotografieren, arbeitet als Bildredakteur, bringt Bücher heraus. Sein Band „Berlin unterm Notdach. Fotografien 1945-1955“ zeigt: Stets ist es der Mensch, der im Zentrum seiner Bilder steht.
 

Foto Fritz Eschen: Zonengrenze

Fritz Eschen: Zonengrenze
 
 
Foto Fritz Eschen: Brandenburger Tor

Fritz Eschen: Brandenburger Tor

 
Not, Armut, aber auch Hoffnung: Berlin liegt in Trümmern im Jahr 1945. Was zählt, ist es, zu überleben. Wie die Menschen ihren Alltag meistern, das zeigt Fritz Eschen in seinen prägnanten Schwarzweißfotografien: Die Sorge um Lebensmittelkarten, um etwas Holz zum Heizen, die Knappheit, die Not, aber auch die Kunst der Improvisation.

Man darf sich darüber wundern, wie es Eschen möglich war, schon in den ersten Tagen nach dem Zusammenbruch ein so positives Bild Berlins zu zeichnen. Es gibt auch Elend auf diesen Bildern zu sehen, eine Zettelwand inmitten von Trümmern etwa, doch vor allem regiert Zuversicht: Langsam erwacht auch wieder das kulturelle Leben, die ersten Kinos eröffnen, erste Sportveranstaltungen finden statt. Der Wiederaufbau macht Fortschritte, die Rosinenbomber fliegen. Eschens Bildern sind Dokumente eines leisen Optimismus.

Berlin zeigte Überlebenswillen. Dass der fotografische Blick eines Holocaust-Überlebenden (der während der Nazizeit nicht einmal einen Fotoapparat besitzen durfte) diesen Willen in so alltägliche Bilder gießen konnte, mag verwundern, an der Qualität ändert das freilich nichts: Eschen ist in Deutschland einer der wichtigsten Bildautoren jenes humanistischen Blicks, für den vor allem die französische Fotografie bekannt geworden ist.

Das vertraute Miteinander der kleinen Leute, ganz ohne Pathos, das war auch das Terrain, auf dem sich Weltfotografen wie Willy Ronis, Henri Cartier-Bresson oder Robert Doisneau bewegten. Ihre „Photographie humaniste“, ihr liebevoller, melancholischer, bewegender Blick auf den schlichten Alltag der Menschen – das Miteinander eines Pärchens in einem Restaurant, das selbstvergessene Kinderspiel etwa – wiederholt sich im Werk des 1964 verstorbenen Fotografen Fritz Eschen auf feinsinnige Art und Weise.

(Marc Peschke)
 

Foto Fritz Eschen: Zirkus

 
Mathias Bertram und Jens Bove (Hrsg.)
Fritz Eschen: Berlin unterm Notdach. Fotografien 1945-1955 (bei amazon.de)
176 Seiten
Lehmstedt Verlag, März 2010
ISBN-13: 978-3-937146-78-2
€ 24,90