Während der Zeit der argentinischen Militärdiktatur verschwanden etwa 30.000 Menschen unter bis heute oft ungeklärten Umständen. Sie wurden ermordet und ihr Verschwinden riss Löcher in die betroffenen Familien. Ein jetzt erschienenes Fotobuch „Verschwunden“ von Gustavo Germano zeigt das Grauen, die Gewalt, auf ungesehene Weise:
In nur sieben Jahren, von 1976 bis 1983, in der Zeit der Militärdiktatur, verschwanden in Argentinien etwa 30.000 Menschen. Sie wurden gefoltert, dann ermordet und später für immer entsorgt. Noch heute sind die Wunden dieser Morde nicht verheilt, wie ein Fotobuch des 1964 geborenen Künstlers Gustavo Germano zeigt, das kürzlich erschienen ist.
Germano ist selbst ein Opfer: Sein ältester Bruder verschwand spurlos und erst heute findet Germano einen Weg, mit dem Verlust umzugehen: die Kunst. Es ist ein einfaches, starkes Konzept hinter diesen bedrückenden Aufnahmen: Alten Familienbildern glücklicher Pärchen, Geschwister oder ganzer Familien stellt Germano seine inszenierten Bilder entgegen: Diese wiederholen die alten Aufnahmen, doch die Verschwundenen fehlen auf den Bildern.

Omar Darío Amestoy und Mario Alfredo Amestoy
Mario Alfredo Amestoy
Das im Münchner Frühling Verlag erschienene Buch versammelt die Bilderserie Germanos mit Texten argentinischer Autoren wie Jorge Luis Borges, Julio Cortázar, Juan Gelman, Rodolfo Walsh oder Horacio Verbitsky, der schreibt: „Deutlicher als die gerichtlichen Verfahren, die journalistischen Recherchen oder die philosophischen Essays gibt die Kunst Auskunft über die unerklärliche Abwesenheit und die qualvolle Leere, die sie verursacht. Die Fotografien von Gustavo Germano beschwören dieses Gründungstrauma der gegenwärtigen argentinischen Identität, und sie versenken uns, mit der stummen Gewalt einer eingefrorenen Geste, in das Mysterium der Zeit.“
Die Leere auf den Bildern ist keine leise, sondern eine laute, schreiende. Sie visualisiert den Terror eines Staates, der auf schrecklichste Weise ins Leben seiner Bürger greift, Menschen von ihren Familien trennt, die Zurückgebliebenen in Ungewissheit lässt. Mal fehlt eine Schwester, dann die Mutter, dann der Vater, dann das Kind. Die Militärdiktatur in Argentinien hat Löcher ins Leben der Menschen gerissen und das künstlerische Konzept Germanos ausgehend von authentischem Material zu arbeiten scheint ein probates Mittel, die Gewalt, die Leere, fühlbar zu machen.

Links: Fernando Fettolini, Aurora Yturbide, Martín Amestoy Yturbide, Maria del Carmen Fettolini, Maria Eugenia Amestoy Fettolini
Rechts: Aurora Yturbide, Martín Amestoy Yturbide
Beim Betrachten der Fotografien, der alten wie auch der neu inszenierten, denkt man an jene, die nicht da sind, doch nicht nur: Man denkt auch an die Überlebenden, die sich an die Verschwundenen erinnern und noch von ihnen berichten können. Und das Buch nennt Namen, zeigt die lächelnde junge Frau Maria Irma Ferreira, den springenden Omar Darío Amestoy. Auch Roberto Ismael Sorba ist tot. Einst saß er neben Jorge Cresta auf einem Hocker, jetzt bleibt der Platz leer. Oder die verschwundenen Eltern von Laura Cecilia Méndez Oliva. Auf dem Familienbild war sie noch ein Baby, zwischen Vater und Mutter. Die erwachsene Laura blickt den Betrachter auf eine Art an, die schwer zu entschlüsseln ist: Es ist die Brutalität des Faktischen, die den Leser und Beschauer hier wie ein Schlag ins Gesicht trifft.
(Marc Peschke)
Ausstellung:
„Ausencias“ von Gustavo Germano
26. August bis zum 26. September 2010
Instituto Cervantes Frankfurt
Staufenstraße 1
60323 Frankfurt
Buch:
Gustavo Germano
Verschwunden: das Fotoprojekt ausencias von Gustavo Germano (bei amazon.de)
Mit Texten zur Diktatur in Argentinien 19761983
128 Seiten, 22 x 27,5 cm, Klappenbroschur
Frühling Verlag, August 2010
ISBN-13: 978-3-940233-43-1
€ 28,90
Sehr beeindruckend!
„I love my job, it’s the work, I hate.“
nein
>…zeigt das Grauen, die Gewalt, auf ungesehene Weise< Nein, das tut es gerade nicht.
Es zeigt „bloß“ die konkreten Folgen …
… und diese „leisen“ Fotos finde ich in dem Fall mindestens so eindrucksvoll wie martialische Bilder direkter Unterdrückung, die schnell „weit weg“ und abstrakt wirken.
„I love my job, it’s the work, I hate.“
Sollten wir…
…uns immer vor Augen halten, wenn wir in all zu lässiger Art dazu neigen, totalitäre Regime zu relativieren; seien sie politsch, religiös oder sonstwie motiviert.
LG
XfuernU
Gute Idee
kein kommentar
für mich sehr bewegend
weil die Bilder auf so einfache unspektakuläre Weise zeigen was es bedeutet einen menschen zu verlieren der einem nahe steht einen Bruder, einen Freund oder Menschen aus der eigenen Familie und sie dabei nicht oberflächlich politisch daher kommen.
Ausserdem zeigen sie dem Täter wie es sich anfühlt und was er den Menschen angetan hat. Die Opfer sind nicht eine anonyme graue Masse sondern bekommen ein Gesicht und einen Namen. Ich weis nicht warum, aber ich beschleicht ein flaues Magengefühl und ich kann mich irgendwie mit den Menschen identifizieren.
ein wunderbares Beispiel was Fotografie leisten kann und wie wichtig sie ist.
ungemein wichtiges ….
und gut gemachtes Buch! Eine Gratualtion auch an photoscala, dass man sich nicht nur um die Technik sondern auch um die Vorstellung Kunstschaffender, Bildbände und Publikationen kritischen Inhalts kümmert. Bei diesem Band sieht man, wie wichtig und bereichernd auch dieser Aspekt ist.