Andreas Gefeller, der zu den bedeutendsten deutschen Fotokünstlern gehört, über die wirkliche und die virtuelle Welt, über das Notprogramm des Auges, über unsere Form der Wahrnehmung, die nur eine von vielen möglichen ist über seine Arbeiten, mithin:
Ohne Titel (Schwimmbad), Düsseldorf, 2008, 170 x 226 cm
photoscala: Herr Gefeller, Sie haben bisher drei große Serien geschaffen, „Halbwertszeiten“, „Soma“ und die seit dem Jahr 2002 entstehenden „Supervisions“. Warum arbeiten Sie so streng in Serien?
Andreas Gefeller: Das kommt mir gar nicht so streng vor. Es sind Arbeiten, die zueinander Bezug nehmen, und die auch innerhalb der Serie einer gewissen Entwicklung unterworfen sind die jeweiligen Arbeiten betrachte ich eher als Einzelbilder, die auch für sich alleine stehen können. „Serienbildern“ haftet immer irgendwie an, sie wären auf die anderen Arbeiten angewiesen, um Bestand haben zu können. Andererseits ist es mir wichtig, konzentriert an einem Thema zu arbeiten, zu schauen, was funktioniert, und was funktioniert nicht, um zu guten Ergebnissen zu kommen. Parallel an verschiedenen Dingen zu arbeiten, liegt mir nicht wahrscheinlich bin ich dafür zu wenig multi-tasking-tauglich.
photoscala: „Halbwertszeiten“ dokumentierte auf eindringliche Weise das Leben in der näheren Umgebung von Tschernobyl 10 Jahre nach der Katastrophe.
Andreas Gefeller: „Halbwertszeiten“ ist noch eine Studentenarbeit, die sich vordergründig sehr von meinen jüngeren Arbeiten unterscheidet. Ich habe versucht, Radioaktivität im übertragenen Sinne sichtbar zu machen. Ob mir das gelungen ist, mag dahingestellt sein, jedenfalls ist es eine Arbeit, zu der ich nach wie vor stehe und die wichtig für meine Entwicklung war. Letztlich stellt dies auch die Verbindung zu „Soma“ und „Supervisions“ dar: der Versuch, Verborgenes sichtbar zu machen.
photoscala: „Soma“ ist eine Serie von düsteren, kalt anmutenden, nächtlichen Langzeitbelichtungen, die in touristischen Ballungszentren auf Gran Canaria entstanden sind. Sie wirken artifiziell, unheimlich, surreal, ja bedrohlich, sind aber „echt“ in diesem Sinn, dass sie nicht digital bearbeitet sind. Sie irritieren die Wahrnehmung. Doch was ist eigentlich „echt“? Sie haben einmal beschrieben, dass es nur das menschliche Auge ist, welches Nachts keine Farben erkennen kann. Diese Farben aber sind dennoch da!
Soma 004, 2000, 112 x 139 cm (Ed. II)
Andreas Gefeller: Korrekt. Die Evolution hat unsere Augen sinnvollerweise auf das Tageslicht geeicht. Bei Dunkelheit läuft nur eine Art Notprogramm, das uns ermöglicht, wenigstens schemenhaft zu sehen, aber eben nicht mehr in Farbe. Wenn ich mittels der Fotografie die natürlich nach wie vor vorhandenen Farben sichtbar mache, erscheinen uns die Bilder fremd, also „verfremdet“ ein Wort, das gerne mit „manipulieren“ gleichgesetzt wird. Dabei ist es nicht die Kamera, die uns ein falsches Bild der Welt vermittelt, sondern es sind unsere Augen!
photoscala: Ein Rezensent entdeckte in diesen menschenleeren nächtlichen Paradiesen des Tourismus das Schöne im Schrecklichen. Steckt im Schrecklichen immer auch Schönheit?
Andreas Gefeller: Ich denke nicht. Ich kenne genügend schreckliche Dinge oder Fotos, an denen ich nichts Schönes finden kann. Aber das eine schließt das andere nicht aus. Menschenleere Orte, die eigentlich für Menschenmassen bestimmt sind, und lebensverneinende Architektur können unter gewissen Gesichtspunkten durchaus auch schön sein. Indem meine Bilder aus „Soma“ auch ästhetisch sind, erleichtern sie den Zugang durch den Betrachter. Wenn einem ein Schauer über den Rücken läuft und man gleichzeitig von der Schönheit fasziniert ist (ich denke beispielsweise an die hunderte aufgereihte blauen Sonnenstühle), ist das durchaus beabsichtigt.
photoscala: Der Begriff „Soma“ stammt aus der „Schönen neuen Welt“ von Aldous Huxley. „Soma“ ist eine Droge. Mit welcher Wirkung?
Andreas Gefeller: In der „Schönen neuen Welt“ wird „Soma“ verabreicht, um die Bevölkerung ruhig zu stellen und um sie darüber hinwegzutäuschen, dass alles, was sie machen, kontrolliert wird und in Bahnen gelenkt stattfindet. Das geschieht auch in der realen Welt eigentlich überall und immer, aber eben besonders in den sogenannten Urlaubsparadiesen, wo sich der Tourist allzu gerne, und völlig unkritisch, Illusionen hingibt, nur um dem „Alltag“ zu entfliehen.
photoscala: In Ihrer Serie „Supervisions“ scannen Sie die Oberflächen von Stadt-Strukturen ab. Sie zeigen die Grundrisse von Plattenbauten, einen Golf-Rasen, ein Parkdeck oder auch die Tribüne einer Rennbahn. Dabei montieren Sie hunderte digitaler Kleinbildaufnahmen gemacht aus einer Höhe von etwa zwei Metern zu einem neuen Bild. Was wir sehen, gibt es also in der Wirklichkeit gar nicht.
Andreas Gefeller: Das stimmt nicht ganz, trifft aber den Kern der Arbeit sehr gut: Was wir auf den Bildern sehen, gibt es selbstverständlich und auch genau in der dargestellten Anordnung. Ich füge den Bildern nichts hinzu und nehme nichts weg. Was es aber nicht gibt, ist die konstruierte Perspektive. Dies macht deutlich, wie schmal der Grad ist, auf dem sich „Supervisions“ zwischen Dokumentation und Fiktion bewegt.
photoscala: Betrachtet man das abstrakt-elegante All-over der „Supervisions“ genauer und man muss sie sehr genau betrachten , so geben sie immer neue Rätsel auf. Wir sehen Spuren des Menschen aus der Vogelperspektive es fehlen aber jedwede Schatten. Geht es Ihnen um Irritation? Sie sagten einmal, unsere Art der Wahrnehmung leuchte nur einen kleinen Teil der Welt aus …
Ohne Titel (Raumdecke 3, Düsseldorf), Düsseldorf, 2007, 148 x 282 cm
Andreas Gefeller: Ja, mir geht es auch um Irritation. Aber nicht ausschließlich um der Irritation wegen, sondern um damit deutlich zu machen, dass unsere Form der Wahrnehmung nur eine von vielen möglichen ist: Beispielsweise hört die Strahlung nicht jenseits des sichtbaren Lichts abrupt auf wir haben lediglich keine Sinnesorgane, um diese wahrzunehmen. Aber dieser Aspekt bezieht sich eher noch auf „Soma“. Bei „Supervisions“ verhält es sich ein wenig anders: Indem ich die Technik der Kartografie mit der Fotografie verbinde, kann ich Zusammenhänge zeigen, die vorher nicht erkennbar waren.
photoscala: Stets entdeckt man in Ihrem Werk neue Blickwinkel, verblüffende Perspektiven. Geht es auch darum, anders sehen zu lernen? Um eine neue Wahrnehmung?
Andreas Gefeller: Anders sehen zu lernen, ist vielleicht zu weit gegriffen wie sollten wir jemals ohne technische Hilfe auf die Welt schauen können, wie wir es mit den „Supervisions“-Bildern tun können? Es geht aber darum, aufmerksamer durch die Gegend zu laufen, und um die Möglichkeit, Spannendes auch in vermeintlich langweiligen Spuren finden zu können eine moderne Kurzzeitarchäologie sozusagen. Außerdem hinterfrage ich Begriffe wie „Wahrnehmung“, „Wirklichkeit“, „Verfremdung“ oder „Manipulation“. Diese werden gerne zusammen in einen Topf geworfen, ohne dass darüber nachgedacht wurde, was sie eigentlich bedeuten, oder ursprünglich mal bedeutet haben. Die Grenze zwischen der wirklichen und der virtuellen Welt verwischt mehr und mehr und die Prioritäten verlagern sich. Es fällt schwer, „Supervisions“ in herkömmliche Kategorien zu fassen und die bekannten Begriffe sind nur schwer oder auf den ersten Blick nur widersprüchlich anzuwenden das gefällt mir.
photoscala: Im Titel „Supervisions“ klingt die Gefahr der „Überwachung“ an. Ein wichtiges Thema der zeitgenössischen Kunst …
Andreas Gefeller: Ja, aber in Bezug auf meine Arbeiten ist das nicht wörtlich und nicht zu politisch zu nehmen. Ich thematisiere nicht den Überwachungsstaat; vielmehr geht es darum, das unangenehme Gefühl, man werde beobachtet, alles ist für einen vorgeplant und man hat nur wenig eigenen Spielraum sein Leben selbst zu gestalten, mit dem Titel „Supervisions“ zu unterstreichen. Manchmal habe ich das Gefühl, die ganze Welt sei eine riesige Versuchsanordnung, um das Verhalten des Menschen zu studieren.
Ohne Titel (Plattenbau 5), Berlin, 2004, 110 x 131 cm
photoscala: Immer wieder wird Ihr Werk als eines der ganz wenigen beschrieben, das digitale Fototechnik auf schlüssige und innovative Art und Weise künstlerisch einsetzt. Warum tut sich die „digitale Fotokunst“ so schwer?
Andreas Gefeller: Ich glaube, viele zäumen das Pferd von hinten auf. Sie finden eine interessante Technik oder einen Filter im Photoshop und überlegen anschließend, was man damit machen könnte. Die Idee sollte aber immer im Vordergrund stehen, erst dann kann man sich Gedanken über die Umsetzung machen und sich informieren, welche technische Möglichkeiten es gibt. Die digitale Technik ist dabei Fluch und Segen zugleich. Sie macht alles möglich, aber die Verlockung, alles Mögliche mal auszuprobieren, ist für viele zu groß. Als Fotokünstler muss man lernen, damit umzugehen.
photoscala: Sie haben an der Universität Essen im Studiengang Kommunikationsdesign bei Professor Bernhard Prinz studiert. Was zeichnete seine Lehre aus?
Andreas Gefeller: Bernhard Prinz ist sehr engagiert und er baut ein sehr freundschaftliches Verhältnis zu seinen Studenten auf. Ich fand das manchmal sehr anstrengend und ich hätte mir oft etwas mehr Distanz gewünscht. Andererseits hat gerade das es erst möglich gemacht, mit ihm und anderen Studenten, die kurz vor dem Diplom standen, sich übers Wochenende in ein Ferienhaus einzuschließen und über unsere Konzepte zu diskutieren, bis die Fetzen flogen. Das war dermaßen anstrengend und für viele ganz bestimmt nicht toll, aber es war auch sehr ehrlich und produktiv.
photoscala: Lassen Sie uns über Ihr aktuelles Buch „Photographs“ sprechen. Die neuen Bilder sind eine Weiterentwicklung der „Supervisions“, bei denen die optische Illusion zwischen Zwei- und Drei-Dimensionalität noch einmal gesteigert wurde. Was haben Sie verändert?
Ohne Titel (Baumschule), Neuss, 2005, 125 x 258 cm /
Andreas Gefeller: Der rein malerische Aspekt ist in vielen Motiven zurückgetreten. Weniger öffentliche Plätze mit ästhetisch-verwitterten Oberflächen, dafür mehr Motive, die man in ihrer Abstraktion auch metaphorisch deuten könnte; so wirkt beispielsweise das Bild der Baumschule wie ein genetischer Code und verweist so darauf, wie sich der Mensch die Natur nach seinen Vorstellungen umzüchtet. In einigen Bildern tritt der Aspekt der Zeit deutlich auf: Im Bild o.T. (Parkplatz), 2007, wirken die Baumschatten wie Sonnenuhren und der wegen des niedrigen Sonnenstands zum oberen Bildrand hin dunkler werdende Boden schafft eine zusätzliche räumliche Irritation. Außerdem habe ich bei einigen Bildern den Blick um 180 Grad, also senkrecht nach oben, gedreht eine Sicht, die für uns Betrachter nicht nachvollziehbar ist und abstrakt wirkt.
photoscala: Was sind ihre nächsten Pläne?
Andreas Gefeller: Das Buch „Photographs“ entstand anlässlich der jetzigen Ausstellungstour. Die erste Station war im Frühsommer 2009 die Stadtgalerie Saarbrücken, gefolgt von Linz im Februar 2010 und einer kleineren Präsentation im Fotomuseum München. Die Kunsthalle Erfurt bildet 2011 die letzte Station.
Das Interview führte Marc Peschke.
Ohne Titel (Parkplatz), Düsseldorf, 2007, 170 x 223 cm
Künstler:
Andreas Gefeller, 1970 geboren in Düsseldorf, studierte 1992 bis 2000 an der Universität Essen bei Prof. Bernhard Prinz. Er gehört heute zu den bedeutendsten deutschen Fotokünstlern und wurde mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet. 2002 erschien sein Fotobuch „Soma“, im Jahr 2005 „Supervisions“ und im vergangenen Jahr der Band „Photographs“ – alle im Verlag Hatje Cantz.
Buch:
Ernest W. Uthemann (Hrsg.)
Andreas Gefeller: Photographs (bei amazon.de)
Texte von Martin Hochleitner, Roland Nachtigäller, Ernest W. Uthemann
Deutsch, Englisch
Gebunden. 130 Seiten
Verlag Hatje Cantz 2009
ISBN 978-3-7757-2446-3
€ 39,80 / CHF 69
Aktuelle Ausstellungen:
„Landschaft ohne Horizont“
Museum Schloss Moyland
bis 15.8.2010
Gruppenausstellung unter anderem mit Boris Becker, Miklos Gaal, Naoya Hatakeyama, Walter Niedermayer, Thomas Struth
„European Eyes on Japan Vol. 12“
Antrepo N5, Istanbul
Eröffnung am 23.7.2010
gemeinsam mit Silva Bingaz, Arion Kudasz
„Andreas Gefeller“
Thomas Rehbein Galerie, Köln
Oktober 2010
Einzelausstellung
„Andreas Gefeller“
Kunsthalle Erfurt
Januar 2011
Einzelausstellung gemeinsam mit Frank Darius
Galerievertretung:
Thomas Rehbein Galerie
Aachener Straße 5
50674 Köln
Telefon 0221-310 1000