Foto: Institut für Neurowissenschaften der TU MünchenForschern der TU München ist es erstmals gelungen, mit einer neuen Mikroskopie-Methode Nervenschaltungen (Synapsen) im Gehirn darzustellen und einer Maus beim Sehen zuzusehen:

Pressemitteilung der Technischen Universität München:

Sehen mit den grauen Zellen: Neue Mikroskopie-Methode macht Nervenschaltungen im Gehirn sichtbar

Wenn sich ein Gegenstand vor unserem Auge bewegt, feuern bestimmte Nervenzellen in unserem Hinterkopf elektrische Signale – je nach Bewegungsrichtung sind andere Zellen aktiv. Wissenschaftler der Technischen Universität München (TUM) können jetzt im Gehirn beobachten, wie einzelne dieser Nervenzellen solche Bewegungssignale empfangen und verarbeiten: Erstmals kann eine neue Mikroskopie-Methode einzelne, ein Tausendstel Millimeter kleine Nervenverschaltungen (Synapsen) darstellen. In Zukunft könnte die Methode verstehen helfen, wie Lernen auf der Ebene einer Nervenzelle funktioniert. Die Forschungsergebnisse wurden jetzt in der Zeitschrift Nature veröffentlicht.

Licht, das auf die Netzhaut des menschlichen Auges fällt, trifft dort auf 126 Millionen Sinneszellen, die es in elektrische Signale umwandeln. Bereits die kleinste Einheit des Lichts, ein Photon, kann eine der Sinneszellen stimulieren. Die Folge: Ungeheure Datenmengen müssen verarbeitet werden, damit wir sehen können. Die Datenverarbeitung beginnt bereits in der Netzhaut, aber das fertige Bild entsteht erst im Gehirn, genauer: in der Sehrinde im hinteren Teil des Großhirns.

Die Wissenschaftler um den TUM-Neurophysiologen Prof. Arthur Konnerth interessieren sich für eine bestimmte Sorte von Nervenzellen in der Sehrinde, die auf Bewegungen reagiert. Ob vor dem Auge ein Balken von unten nach oben wandert oder von rechts nach links: Stets reagieren andere Nervenzellen der Sehrinde. Wie die gesendeten Impulse dieser „Richtungs“-Neuronen aussehen, ist gut bekannt – doch wie sieht das Eingangssignal aus? Das ist nicht leicht zu beantworten, denn jede der Nervenzellen besitzt einen ganzen Baum winziger, verästelter Antennen, an die hunderte anderer Nervenzellen mit ihren Synapsen andocken.
 

Foto: Institut für Neurowissenschaften der TU München

Fortsätze oder Dendriten einer Nervenzelle (hell, im Zentrum) im Gehirn einer Maus. Mithilfe der Dendriten empfängt die Nervenzelle Signale von anderen Nervenzellen. Links in die Betrachtungsebene hineinragend: Patch-Clamp-Pipette, mit der fluoreszierende Moleküle in die Zelle eingebracht werden. Das Foto entstand im Rahmen der Arbeiten zur Nature-Publikation „Dendritic organization of sensory input to cortical neurons in vivo“, erschienen am 29.4.2010, im Institut für Neurowissenschaften der TU München. Direktor: Prof. Dr. Arthur Konnerth.

 
Um mehr über das Eingangssignal herauszufinden, schauten Konnerth und seine Mitarbeiter einer Maus beim Sehen zu. Dazu verfeinerten sie eine Mikroskopie-Methode, mit der sich bis zu einem halben Millimeter in das Hirngewebe hineinblicken und eine einzelne Zelle beobachten lässt, die sogenannte 2-Photonen-Fluoreszenz-Mikroskopie. Gleichzeitig leiteten sie mit haarfeinen Pipetten elektrische Signale an einzelnen Baum-Fortsätzen derselben Nervenzelle ab (Patch-Clamp-Technik). Konnerth: „Ähnliche Versuche wurden bisher nur in Kulturschalen mit gezüchteten Nervenzellen gemacht, lebendes Gewebe ist viel komplexer. Da es sich immer ein bisschen bewegt, war es sehr schwierig, alle Verästelungen eines Neurons im Bild so hoch aufzulösen, dass wir einzelne Synapsen darstellen konnten.“

Der Lohn der Anstrengungen: Konnerth und seine Kollegen entdeckten, dass ein „Richtungs“-Neuron bei mehreren, unterschiedlichen Bewegungen des Balkens vor dem Auge Signale von den mit ihm vernetzten Nervenzellen empfängt. „Hier wird es richtig spannend“, meint Konnerth. Denn die „Richtungs“-Nervenzelle versendet nur ein Ausgangssignal wie zum Beispiel „bewegt sich von unten nach oben“. Offenbar verrechnet sie also die unterschiedlichen Eingangssignale miteinander und reduziert damit die Fülle eintreffender Einzeldaten auf wesentliche Informationen, die für das klare Sehen einer Bewegung wichtig sind.

In Zukunft will Konnerth mit seinem Forschungsansatz auch den Prozess des Lernens an einer einzelnen Nervenzelle beobachten. Viele Nervenenden senden praktisch nie Signale an den Antennen-Baum eines „Richtungs“-Neurons. Wenn das Auge etwa andere Arten von Bewegungen wahrnimmt, könnten solche stummen Nervenenden aktiv werden. Das würde den Verrechnungsmechanismus der „Richtungs“-Nervenzelle so verändern, dass sie ihre bevorzugte Richtung ändert: Die Maus würde lernen, bestimmte Bewegungen vielleicht besser oder schneller zu sehen. „Da wir mit unserer Methode gleichzeitig die Verschaltung und das Verhalten ein und derselben Nervenzelle im Gehirn beobachten können, werden wir einen wichtigen Beitrag zum Verständnis von Lernen leisten können“, ist Konnerth überzeugt. „Hier an der TU München arbeiten wir eng mit Physikern und Ingenieuren zusammen. So haben wir beste Chancen, die räumliche und zeitliche Auflösung der Bilder weiter zu verbessern.“

Nature-Artikel:
Dendritic organization of sensory input to cortical neurons in vivo
Hongbo Jia, Nathalie L. Rochefort, Xiaowei Chen, Arthur Konnerth
DOI: 10.1038/nature08947

Die Arbeit wurde unterstützt durch Mittel der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und der Friedrich-Schiedel-Stiftung.
 
 
Siehe auch: Technische Universität München
 

(thoMas)