Vom 28.2. – 24.4.2009 findet in Lüttich die 7. Internationale Biennale der Fotografie und visuellen Künste – kurz BIP2010 – statt. Das Thema lautet „(OUT OF) CONTROL“ und wie man sich denken kann, geht es um dabei verschiedene Formen von Kontrolle, aber auch um die Abwesenheit von Kontrolle:

Pressemitteilung:

7. Internationale Biennale der Fotografie und visuellen Künste – Lüttich
in Lüttich und in der Euregio Maas-Rhein
28. Februar – 25. April 2010
(Vernissage am Samstag, den 27. Februar)

Special Guest : BERLIN!

Einleitung
Die internationale Biennale der Fotografie und visuellen Künste wird seit 1997 vom Centre culturel de Liège – Les Chiroux in Liège organisiert. Die Veranstaltung wird alle zwei Jahre zu einem bestimmten Thema konzipiert und verbindet eine künstlerisches Programm von hoher Qualität mit einer größtmöglichen Zugänglichkeit (demokratischer Eintrittspreis, Dispositive zur künstlerischen Mediation, usw.). Die Biennale hat stets aufstrebende junge Künstler aus Belgien und aus dem Ausland unterstützt und gleichermaßen international anerkannte Künstler nach Liège eingeladen. Jede Biennale bietet die einzigartige Gelegenheit, das künstlerische Schaffen des Gastlands zu entdecken, das eingeladen wird, eine Auswahl an Künstlern in Liège zu präsentieren. Künstler der französischsprachigen Gemeinschaft Belgiens werden wiederum in einer kulturellen Einrichtung des Gastlandes ausgestellt und profitieren auf diese Weise von einem internationalen Schaufenster. Auf diesem Weg hat die Biennale bereits Kontakte mit Chile, Kanada, Brasilien und Portugal geknüpft. Letztendlich soll auf die umfangreiche pädagogische Arbeit mit den regionalen Vereinen und Schulen hingewiesen werden, die bereits ein Jahr vor der Biennale anfangen, sich in Workshops mit dem Thema der Biennale auseinanderzusetzen.

2010, ein neuer Name
Die 7. Internationale Biennale der Fotografie und visuellen Künste Liège wird in Zukunft den Namen BIP2010 tragen. Dieser neue Name beinhaltet einerseits das Vermächtnis der vorangegangenen Biennalen und bekräftigt andererseits den Aspekt des Neuen, der zahlreiche Facetten der zeitgenössischen Bildproduktion berücksichtigt. Die Abkürzung BIP bezieht sich auf die historische Identität des Ereignisses, d.h. die „Biennale internationale de la Photographie“ [Internationale Biennale der Fotografie], soll aber auch ein elektronisches Signal wiedergeben, was ein besonderes Interesse an den Neuen Medien vermittelt, das wir in Zukunft hervorzuheben wünschen. Die Hybridität der Ausdrucksformen, der Status, sowie die Formen und Konstellationen des Bildes werden in der Tat verstärkt hinterfragt. Die Erforschung dieser Mischformen ist unumgänglich, wenn man den Puls der aktuellen visuellen Kunst fühlen will. In diesem Zusammenhang werden Fotografie aber auch Videokunst und Mischformen der visuellen Künste auf der BIP2010 miteinander konfrontiert.

 

Foto Thorsten Brinkmann, Lady Glittersky, 2009

Thorsten Brinkmann, Lady Glittersky, 2009, C-Print, 120 x 92 cm © KUNSTAGENTEN, Berlin

 
Das Thema
Für 2010 lautet das Thema (OUT OF) CONTROL. Durch dieses Thema wollen wir die Spannung zwischen verschiedenen Formen von Kontrolle, die unser Leben regeln, und der Abwesenheit von Kontrolle – durch passiven und aktiven Widerstand gegen diese Kontrollformen – erforschen. Ein besonderer Platz soll neuen Ausdrucksformen eingeräumt werden, die diese Spannung aufzeigen. Im Sinne der Erkenntnisse von Michel Foucault und später Gilles Deleuze leben wir heute mehr als je zuvor in einer Kontrollgesellschaft. Der Sicherheitsdiskurs hat zur Folge, dass wir, oft ohne unser Wissen, von vielerlei Beobachtungs- und Überwachungsapparaturen erfasst werden, die von an der Straßenecke installierten Kameras bis zur Telefonabhörung reichen. Im Hinblick auf Rentabilität, Profit und Effektivität des Wirtschaftssystems sind außerdem eine ganze Reihe von Verfahren entstanden, wie zum Beispiel die Einkäufe archivierende elektronische Kundenkarte oder die Erfassung von Privatdaten durch die „Cookies“ der Informatik etc.. Diese Vorgehensweisen führen zu gigantischen Datenbanken, in denen unsere Lebensentschlüsse und -entscheidungen als Verbraucher „in unserem Interesse“ eingeordnet, aufbewahrt und ausgetauscht werden. Auch warnen uns der allgegenwärtige Hygienewahn gestützt von den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen mit hämmernden Losungen vor jeglichem Exzess und Missbrauch, den wir unserem Körper zufügen könnten („Rauchen Sie nicht“, „Trinken Sie nicht“, „Machen Sie Sport“, „Essen Sie gesund“, …). In ihrer Wiederholung und Systematik scheinen diese Slogans manchmal vielmehr einen freiheitsraubenden Diskurs zu verfolgen als den Wert des Lebens zu befürworten.

Eine besondere Rolle spielt bei diesen Kontrollprozessen und -diskursen der (Über-)blick. Nach dem Modell des „Sehens ohne gesehen zu werden“ wurden verschiedene Methoden und Einrichtungen entwickelt, um besser, mehr oder weiter zu sehen… Vom Panoptikum – dem architektonischen Dispositiv, das von dem Engländer Bentham erfunden wurde und erlaubte, Gefangene ohne deren Wissen zu beobachten – bis zu urbanen Überwachungskameras: Diese visuellen Methoden sind fragwürdig. Mit den ethischen Fragen nach dem Gebrauch, den man von diesen Bildern macht („Sehen, ohne gesehen zu werden“ definiert gleichermaßen Voyeurismus und Überwachung) stellt sich auch die Frage nach den neuen Formen der Sichtweise und Repräsentation, zu deren Entstehung diese Einrichtungen führen. All diese Kontrolldispositive, und es könnten weitere Beispiele genannt werden, werfen über uns ein unsichtbares Netz, das die scheinbare Freiheit jedes Individuums, über die Zeit, den Raum und seine Existenz eigenständig zu verfügen, überwacht. Natürlich sind nicht alle Formen von Kontrolle negativ. Jedes der obengenannten Beispiele könnte einzeln betrachtet auch als Fortschritt angesehen werden. Nichtsdestoweniger vermittelt die Allgegenwart dieser weitgreifenden Überwachung, dieser immer größeren Prävention gegen unvorhergesehene Entwicklungen des Lebens und dieser Diskurse, die uns ohne Unterlass dazu anleiten, dem Guten zu entsprechen, den diffusen Eindruck des Eingesperrtseins. Dieser Eindruck steht im Gegensatz zu dem Gefühl der Emanzipation, das wir anderweitig auf anderen Ebenen kennen können. Welchen Platz soll man also in dieser immerwährenden Arbitrage der Gefahr kleinen und großen Funktionsstörungen einräumen, die in unserem Alltag vorkommen? Den täglichen Unfällen – ob gerngesehen oder unglücklich? Der Abweichung unter all ihren Formen? Dem Zufall und anderen Imponderabilien? Dem leichten oder wütenden Wahnsinn? Der Zügellosigkeit, die man sich trotz der Vernunft zugesteht? Dem Chaos und der Unordnung? Als Kontrapunkt zu den Kontrollinstanzen, die uns umgeben, wollten wir auch diesen zufälligen oder gewollten unkontrollierten Momenten einen Platz geben. Aber auch, grundsätzlicher gesehen, als Beweis einer unaufhörlichen Atmung, die unser Leben durch die Maschen des Kontrollnetzes hindurch von der Berechenbarkeit befreit, mit der man es gerne ausstaffieren würde. Diese Momente geben der notwendigen Vielfältigkeit des Lebens ihren Platz zurück und drücken Verschiebungen aus, die uns zum Lächeln oder Andersdenken bringen.

Special Guest : Berlin
OUT OF CONTROL – BERLIN im Museum Grand Curtius
Kuratoren : Matthias Harder (Helmut Newton Stiftung) und Felix Hoffmann (C/O Berlin) im Rahmen des Austauschs mit Berlin und Deutschland, Gastland der BIP2010.
Thorsten Brinkmann, Victoria Binschtok, Ulrich Gebert, Ricarda Roggan, Sebastian Stumpf, Frank Thiel, Tobias Zielony
Diese Gruppe von jungen Künstlern verweist auf den unterschiedlichen Einsatz des Mediums Fotografie in der zeitgenössischen Kunst. Mittels bildgewaltiger Strategien versuchen sie auf unterschiedliche Art und Weise Kontrolle und deren Verlust zu thematisieren. Eine Verschränkung von statischem und bewegtem Bild verdeutlicht, wie intensiv sich eine junge Generation mit medialen Fragestellungen auseinandersetzt, und deren Übergänge fassbar werden lässt. Themen wie Mensch/ Raum/ Architektur/ Körper/ Medium werden so untersucht.

BIP2010 wird vom Centre culturel de Liège – Les Chiroux organisiert.
 
 
Siehe auch: BIP2010

(thoMas)