Walker Evans, das zeigt uns jetzt eine Ausstellung im Fotomuseum Winterthur, war mehr als der Fotograf der „großen Depression“ – wenngleich seine Bilder der ländlichen Armut seinen Ruhm und Ruf begründet haben:
Hungernde kubanische Familie, 1933; Silbergelatine-Abzug, Vintage-Print 13,8×22,7 cm; Privatsammlung.
© Walker Evans Archive, The Metropolitan Museum of Art, New York
Der 1903 in Saint Louis geborene und 1975 in New Haven verstorbene Walker Evans war der Chronist der verarmten Pächterfamilien in Hale County in Alabama, die er zwischen 1935 und 1938 im Rahmen des Projekts „Farm Security Administration“ fotografierte. Mit diesen Bildern wurde er weltbekannt. Schon 1938 zeigte das MoMA die Ausstellung „Walker Evans: American Photographs“: die erste Einzelausstellung, die dort einem Fotografen gewidmet wurde. In der Schau im Fotomuseum Winterthur sind nun 130 Arbeiten zu sehen, die zumeist aus einer Privatsammlung aus San Francisco stammen und Evans andere Arbeiten zeigen.
Farmpächter aus Alabama, 1936; Silbergelatine-Abzug, Vintage-Print 18×20,7 cm; Privatsammlung / Einwohner im Zentrum Havanas, 1933; Silbergelatine-Abzug. Späterer Abzug 23,1×12,5 cm; Privatsammlung.
© Walker Evans Archive, The Metropolitan Museum of Art, New York
Evans’ Schaffen beginnt in den zwanziger Jahren. Damals entstanden erste Straßenfotografien in der Tradition Atgets: Blicke auf das vermeintlich Nebensächliche, auf das Gewöhnliche, welche die Ausstellungsmacher als Zeugnisse bedingungsloser Modernität interpretieren: „Seine Modernität liegt vor allem darin, dass er schon in den 1920er bis 1930er Jahren seine Fotografie von allen Fragen der Kunst und des Stils befreite und den frontalen Zugang zur Wirklichkeit suchte.“ In diesem Sinne hatte Evans, so die Kuratoren, großen Einfluss auf nachkommende Künstlergenerationen auf die Pop Art, auf Ed Ruscha, Andy Warhol, Robert Frank oder Lee Friedlander.
Evans Blick auf die Gegenwart war hart und düster: seine 1933 angefertigten kubanischen Bilder von Hafenarbeitern und seine im Süden der USA entstandenen Fotografien zeigen die Wirklichkeit unverstellt und ungeschönt, doch wohnt ihnen stets der Glauben inne, mit Fotografie die Verhältnisse verbessern zu können. Diesen Glauben an die Macht der Fotografie hat Evans nie aufgegeben. 1941 erschien sein Buch „Let us now Praise Famous Men“, in dem er armen Farmerfamilien ein fotografisches Denkmal setzte. Eines der wichtigsten Bücher der Fotogeschichte.
Passagiere der New Yorker U-Bahn, 1938; Silbergelatine-Abzug, Vintage-Print 11,8×16,6 cm; Privatsammlung.
© Walker Evans Archive, The Metropolitan Museum of Art, New York
Verkehrszeichen, zwischen 1973-1974; Sofortbildabzug (Polaroid SX-70) 7,9×7,9 cm; Privatsammlung.
© Walker Evans Archive, The Metropolitan Museum of Art, New York
Doch es gibt auch einige Werkgruppen des Fotografen, die weniger bekannt sind, wie etwa seine mit einer Kleinbildkamera in der New Yorker U-Bahn entstandenen Aufnahmen oder seine späten Polaroids, mit denen er bereits vorher bearbeitete Themen die Welt der Schilder, Straßenmarkierungen und Plakate erneut aufgreift. Auch diese Bilder sind eine deutliche Absage an jede Romantik, jede Sentimentalität und Nostalgie: Der nüchterne Blick auf den Alltag, das blieb bis zum Ende seines Fotografen-Lebens der ureigene Blick von Walker Evans. Kaum ein anderer Fotograf, der einige platt gedrückte Bierdosen, der ein abgerissenes Filmplakat so hintersinnig und poetisch ins Bild zu bringen wusste.
(Marc Peschke)
Ausstellung:
Fotomuseum Winterthur: Walker Evans
30. Mai bis 23. August 2009
Grüzenstrasse 44 und 45
Winterthur
Telefon +41 52 234 10 60
Dienstag bis Sonntag 11-18 Uhr, Mittwoch 11-20 Uhr
Buch:
Fundación Mapfre (Hrsg.)
Walker Evans
Englische Ausgabe. Mit einem Vorwort von Jeff L. Rosenheim und Texten von Jordan Bear und Chema González sowie einem Interview von Jeff L. Rosenheim mit Vicente Todolí
Deutsche Übersetzung der Haupttexte in separatem Beiheft
Gebunden. 230 Seiten, 120 Abbildungen
CHF 65.-
Rechts: Schlafzimmer, Hütte der Familie Borroughs, Hale County, Alabama, 1936; Silbergelatine-Abzug. Späterer Abzug 24,2×19,6 cm Privatsammlung.
© Walker Evans Archive, The Metropolitan Museum of Art, New York