Thomas Schirmböck, Leiter von Zephyr / Raum für Fotografie, über die Rezeption der Fotografie als Wellenphänomen, über schräge Blicke auf Prozesse und über die Qualität, das Besondere, in der Fotografie:
photoscala: Lieber Thomas Schirmböck, der Zephyr, das ist eine Figur aus der griechischen Mythologie, eine Gottheit, die den Westwind darstellt. Ein ungewöhnlicher Name für einen „Raum für Fotografie“. Warum haben Sie ihn ausgewählt?
Thomas Schirmböck: Mannheim ist ja, was seine Straßenbezeichnungen in der Innenstadt angeht, nicht so ganz einfach. Als ideale Stadtplanung aus dem 18 Jahrhundert ist die Innenstadt in Quadrate eingeteilt und die werden, nach einem nicht ganz einfachen System, von A 1 bis U 8 durchgezählt. Zephyr ist der Gleichklang zu C 4, dem Quadrat, in dem wir angesiedelt sind und zudem ist Zephyr als Gott des Windes eine interessante mythische Gestalt, die ziemlich viel bewegt hat.
photoscala: Wie kam es zu Ihrer Berufung zum Leiter des Zephyr? Wie war Ihr bisheriger beruflicher Werdegang?
Thomas Schirmböck: Nach dem Kunstgeschichtsstudium, in dem ich mich früh auf Fotografie spezialisiert hatte, habe ich erst Industrie- und Dokumentarfilme gemacht und war dann ab 1996 Gründungsleiter der „Fotogalerie Alte Feuerwache“. Das ging dann 2004 zu Ende und der Direktor der Reiss-Engelhorn-Museen, Prof. Wieczorek, schnürte mit der Stadt und der Curt-Engelhorn-Stiftung ein Paket, das mir 2005 einen Neuanfang mit besseren Räumlichkeiten und einer besseren Finanzausstattung ermöglichte. Wir sind den Reiss-Engelhorn-Museen assoziiert, was bedeutet, dass wir eine eigene Organisationseinheit sind und den Bereich der zeitgenössischen Fotografie abdecken.
photoscala: Sie weisen in der Selbstdarstellung des Zephyr explizit darauf hin, „vernachlässigte Tendenzen“ des Mediums Fotografie vorstellen zu wollen. Wo sehen Sie denn Nachholbedarf?
Thomas Schirmböck: Ich nehme die Rezeption der aktuellen Fotografie in Deutschland als ein Wellenphänomen wahr. Die zumeist Gezeigten sind immer die, die gerade kommerziell sehr erfolgreich waren oder sind und das hat nicht notwendig auch etwas mit ihrer herausragenden Qualität zu tun. Als finanziell unabhängige Institution können wir uns immer wieder schräge Blicke auf Prozesse leisten, die uns spannend erscheinen.
photoscala: Getragen wird Zephyr von den Reiss-Engelhorn-Museen, dem Kulturamt der Stadt Mannheim und der Curt-Engelhorn-Stiftung. Gibt es darüber hinaus auch weitere private Sponsoren?
Thomas Schirmböck: Ja, zum Glück! So veranstalten wir alle zwei Jahre auch die Solo-Ausstellung des Gewinners beim Welde-Kunstpreis Fotografie, das waren zuletzt Svein Fannar Johannsson und Frank Rothe. Wir werden projektbezogen auch von lokalen, regionalen und nationalen Förderern unterstützt. Das ist wunderbar und ermöglicht es uns, unsere großen Projekte zu realisieren, die dann in den Reiss-Engelhorn-Museen stattfinden. Ohne diese Förderer wäre vieles nicht möglich gewesen.
Andrea Diefenbach: Sergej in der Poliklinik; aus der Serie „AIDS in Odessa“
photoscala: Nach der Ausstellung von Andrea Diefenbach, „AIDS in Odessa“, haben Sie Sascha Weidners Schau „Am Wasser gebaut“ gezeigt überaus märchenhafte Bilder. Das Surreale, Rätselhafte ist in der zeitgenössischen Fotokunst kein allzu prominentes Thema, oder?
Thomas Schirmböck: Nein, nicht unbedingt prominent, da haben Sie Recht, aber es war eigentlich immer anwesend. Ich gehe eigentlich immer von der Qualität und Relevanz der Bilder aus. Welche Stilmittel die Künstler und Künstlerinnen benutzen ist dabei unerheblich. Sascha Weidner gelingt es, einen Zauber in der Welt zu sehen und in seine Bilder zu transponieren, der aus ihnen etwas ganz Besonderes macht. Dieses Auratische gelingt nur wenigen, aber die sind dann besonders gut.
Selbsttötung, Mannheim. SW-Fotografie; Mitte 1950er Jahre. Foto Arnold Odermatt; © Polizeipräsidium Mannheim
photoscala: Eine der spektakulärsten Schauen, die Sie in Mannheim gezeigt haben, war „Spurensuche“: eine Ausstellung Mannheimer Polizeifotografien der 40er bis 70er Jahre. Das war die erste Ausstellung in Deutschland, die sich mit historischer Polizeifotografie beschäftigt hat …
Thomas Schirmböck: Das war in der Vorbereitung meine langwierigste Ausstellung, denn es hat neun Jahre von Beginn bis zur Ausstellung gedauert. Das hatte damit zu tun, dass die Polizei bereit sein musste, dass es mir gelang, die Relevanz dieses großartigen Materials zu erklären und schließlich musste die Finanzierung stimmen. Diese Ausstellung und ihre Bilder zeigen mit wunderbarer Gelassenheit die dunklen Seiten des Lebens und außerdem sind sie ein ganz wichtiges Stück Sozialgeschichte. Das rührt daher, dass eigentlich jeder Fotograf, egal ob Laie oder Profi, sein Bild in einer ihm genehmen Weise komponiert. Und das an einem Ort, an dem er sein darf. Die Polizeifotografen kamen immer dann zum Einsatz, wenn ein Kapitalverbrechen geschehen war. Das Ereignis war für das Opfer unerwartet wie ein Blitzschlag eingetreten. Der Ort dieses Geschehens wurde nun von den Polizeifotografen umfassend dokumentiert und zwar so genau wie möglich. Die kompositorischen Grundregeln traten hierbei zurück. Und so entstand in seiner Formensprache etwas ganz Neues, das in die übrigen Spielarten der Fotografie erst 20 Jahre später Einzug hielt: Die Bedeutung des Ephemeren.
photoscala: Blickt man auf die Chronologie der Ausstellungen seit der Zephyr-Gründung im Jahr 2005, fällt die Unterschiedlichkeit der ausgestellten Künstler und Künstlerinnen ins Auge. Trotz aller Unterschiede: Was verbindet Bildautoren wie Paolo Pellegrin, Gerhard Vormwald, Pepa Hristova, Frank Rothe, Stefanie Schneider, Andreas Thein oder F. C. Gundlach?
Sascha Weidner: Matraze II, 2005, Diasec, 100×100 cm; © Sascha Weidner, Berlin
Thomas Schirmböck: Die Qualität, das Besondere, ein Momentum, das Atmosphäre Bild werden lässt und über das Bild hinaus wirkt.
photoscala: 2010 wird Zephyr ins „Museum Bassermann-Haus für Musik und Kunst“ umziehen. Was wird sich ändern? Und auf welche Projekte und Ausstellungen darf man sich freuen?
Thomas Schirmböck: Ab 2010 haben wir kontinuierlich 600 m2 Ausstellungsfläche und ein verbessertes Ausstellungsbudget. Wir werden mit einer Los-Angeles-Reihe anfangen und drei große Ausstellungen zeigen. Wir beginnen mit einer Ausstellung, die Fotografie und Video miteinander verbindet, wie keine vorher. Das klingt zwar großkotzig, stimmt aber. Dann kommt Julius Shulman, zu dessen 100. Geburtstag wir für den Herbst 2010 gerade eine Ausstellung erarbeiten. Ihm verdanken wir die Bilder der amerikanischen Variante des International Style. Damit und mit seiner Auffassung der Architekturfotografie hat er Meilensteine gesetzt. Und Julius Shulman arbeitet ja noch und hat mit seinem Partner Jürgen Nogai in den letzten zehn Jahren die aktuelle Architektur in Kalifornien aufgenommen. Eine Ausstellung über dieses Spätwerk und die Ikonen der 40er bis 60er Jahre wird unser Geburtstagsgeschenk für ihn.
Das Interview führte Marc Peschke.
Informationen:
Zephyr / Raum für Fotografie
C4.9b
68159 Mannheim
Telefon 0621-2932120
Öffnungszeiten täglich außer Montag 11 bis 18 Uhr
Das paßt wohl eher zu dem was
Max Rheub in den definitiv schönen Motiven von Jussi Puikkonen http://photoscala.de/Artikel/Wenn-das-Leben-festfriert zu sehen vermöchte und sich in das Buch “Der wunderbare Massenselbstmord” von Aarto Paasilinna dem “Meister des skurillen Humors” hineinversetzt fühlte, va. seitens der Stimmung.
Ich sehe in den Motiven von Jussi Puikkonen eher, den Unterschied zwischen Mensch und Natur. Dort wo Natur periodisch Aktion macht und sich periodisch zurückzieht entsteht neues Grün auf neuem nährstoffreichen Boden. Beispiel “Vulkan”. Beim Menschen der Heuschrecke ist es eher so, dass er Grau in Grau hinterläßt und man würde es auf den ersten Blick erkennen würde er seine Welt nicht bunt anmalen http://1.1.1.2/bmi/www.photoscala.de/grafik/2009/Puikkonen-02.jpg und mit Werbung dekorieren http://1.1.1.1/bmi/www.photoscala.de/grafik/2009/Puikkonen-01.jpg müssen.
…
mit skurrillen Humor verbinde ich die Motive natürlich nicht. Ich finde sowas sehr, sehr traurig.
Danke, daß jemand mal wieder über Bilder schreibt.
Jetzt reden wir natürlich über das falsche Thema, aber wenn Sie und ich und Marc Peschke bei Puikkonen unterschiedlichste Empfindungen haben – Teilnahmslosigkeit hat niemand geäußert! – dann zeigt das m.E., daß das einfach gute Bilder sind (zugegeben: Mehr als die abgebildeten Beispiele kenne ich noch nicht). Und das will was heißen – jemand, der ganz unaufgeregt und unspektakulär einfach nur das “IST” so abbildet wie es nun einmal ist, und dann so aussagekräftige Ausschnitte aus dem “IST” präsentiert – der kann einfach was. Punkt.
Und wenn er Gefühle beim Betrachter weckt, die ein Stück unter die Haut gehen, dann kann er sogar verdammt viel.
Und solche Bilder kann ich mit ehrlicher und schon fast ehrfürchtiger Bewunderung bestaunen.
Da spielt das “wie” (das war zB mein erster Gedanke bei dem Beispiel von Weidner) und “mit welchem Apparat” keine Rolle mehr, wenn man solche tollen Bilder sieht.
Diese Bilder stehen mit ihrem Tiefgang ganz im Gegensatz zu einigen der Buchvorstellungen der letzten Monate, wo es m.E. teilweise mehr auf kurzfristige und oberflächlichere Effekte ankam.
PS: Gerade den “wunderbaren Massenselbstmord” empfand ich im Gegensatz zu anderen Werken des Autor nicht “skurril komisch” sondern sogar die ausgedrückten Gefühle zum Nordwinter sehr realistisch. Ich habe den Nordwinter erlebt und er ist -wenn man ihn nicht gerade als Urlaub gestaltet- nicht unbedingt romantisch, dafür sehr lang. Wenn man die Sonne eine Weile gar nicht mehr sieht und beobachten kann, wie einem die Kälte und Dunkel- bzw. Trübheit immmer mehr gefangennimmt, ändert sich tief im Inneren einiges … Jeder hat eben seine Empfindungen aufgrund seiner Erfahrungen und Erlebnisse. Und die kommen dann beim Anblick solcher Bilder wieder nach oben.
Als ich…
…den 2-ten Artikel sah und überflog nachdem ich den ersten bereits hinter mir hatte kam mir als Überschrift für beide
Atmosphäre und Stimmungsbetont ohne viel Schnick-Schnack.
Die Stimmungen sind untersch. aber es finden sich Parallelen. Betrachten wir es wie ein Gericht aus untersch. Küchen (Fotograf). Die Aufmache bzgl. der Attraktivität ob nun überladen oder entleert ist die Parallele. Diese Anziehung läßt im ersten Schritt noch keine Gefühlsregung in einem aufkommen außer Neugierde, weil das Gericht den Eindruck macht, dass es anstatt Schnick-Schnack mit Werten überzeugen will.
Steigt man ins Bild quasi hinein trennen sich die Wege.
Bei Jussi Puikkonen fühlt ich mich mit temporär ungenutzen Netzwerk-Bestandteilen der modernen Zivilisation konfrontiert. Weil es leer ist führt das zumindest bei mir dazu, dass ich versuche mich im Bild und damit in dieser Welt aufzuhängen im Sinne wo man aufgehängt ist. Was bin ich? Eine Heuschrecke oder der Bauer der den Boden bearbeitet (letzteres im übertragenen Sinne)?
Beim Thomas Schirmböck-Artikel mit Motiven versch. Fotografen geht es mir wie folgt.
1. Bild: klar um was es hier geht wenn man die Bildunterschrift liest. Ich persönlich hätte Probleme, die wohl einige als Berührungsängste auslegen, als Fotograf. Was ist das Ziel was man mit diesem Foto erreichen will? Ergibt sich beim erreichen des Zieles etwas Positives für die abgebildete Person? Normalerweise erlebt diese Person Ablehung und Isolation. In dieser Situation erlebt die Person Interesse aufgrund dessen warum andere Menschen Ihm ablehnend begegnen. Wie sieht diese Isolation sowie das Aufbrechen der Isolation atmosphärisch aus? So! Was sehen wir nicht? Und genau das was eine versteckte Kamera zeigen würde könnte ggf. das sein was diese Person erstmal nicht zeigen möchte.
2. Bild: Selbst wenn die Person bereits tod ist geht es mir ähnlich wie bei Bild 1. Lange Zeit war Selbstmord ja eine Sünde und Grund dafür, dass die Zeremonie der kirchlichen Bestattung abgelehnt wurde.
3. Bild: Vielleicht übersehe ich etwas aber die Frage ist klar: Wie kommt die Matraze dorthin? Es ist jedoch interessant, dass gerade die Matraze die Grundlage für die Atmosphäre bildet. Ohne Matraze würde man sich fragen: Was soll’n das? Ein verrostetes altes Fahrrad oder Bettgestell würde wohl zur selben Frage führen.
Was mir jedoch wesentlich besser gefällt ist, wenn man im sog. “aussagekräftige Ausschnitt aus dem ‘IST'” die Stimmung auch jenseits des Momentes überliefert bekommt und damit die Fotografin oder der Fotograf spontan auf den Auslöser gedrückt hat um genau diese Geschichte, die länger dauert als nur einen Augenblick, zu erzählen. Es gibt natürlich Motive und Themen die man sich sparen kann wie zB. schlimme Sportunfälle.