Enver Hirsch - Toaast HawaiiEnver Hirsch ist ein Fotograf, den alles andere als das Schöne interessiert. Das Schöne, das findet er langweilig:

Das konnte man schon beim Betrachten seines „Mops“-Buches sehen: Nun gut, Möpse sind keine hübschen Hunde, aber die Möpse, die der Hamburger hier fotografierte, die trieben Mops-Fans auf die Barrikaden. So schreibt etwa eine „Evelyn“ aus Düsseldorf in ihrer Bewertung des Buchs auf amazon.de: „Sucht bitte hübsche sportliche Möpse, denn heut zu Tage gibt es ja genug!“

Doch, auch wenn es sie geben mag, hübsche, sportliche Möpse sind nicht sein Ding. Hübsche, sportliche Menschen übrigens auch nicht, wie man in Hirschs neuem Buch sehen kann, dem er den vielsagenden Titel „Toast Hawaii“ gegeben hat. Die Historie des „Toast Hawaii“ ist relativ gut erforscht. Erfunden wurde das legendäre Mixtum Compositum des Wirtschaftswunders aus Toast, Käse, Schinken und Ananas von dem Fernsehkoch Clemens Wilmenrod – und zwar im Jahr 1955. In der DDR nannte man den Toast „Karlsbader Schnitte“, aber das braucht uns hier nicht zu interessieren. Warum also so ein Titel? Es mag das Absurde sein, das der Optik eines solchen Toast anhaftet. So ein Toast ist ein bisschen so wie die Bilder, die wir hier sehen: Skurriles, Alltägliches, Absurdes, ja Irrsinniges, das man nicht suchen kann: das man finden muss.

Die Hamburger Robert Morat Galerie hat gut daran getan, dieses Buch ihres Galeriekünstlers in der neuen „Robert Morat Edition“ zu veröffentlichen. Denn es stimmt genau, was Foto-Legende Elliott Erwitt über den Band schreibt: „Mr. Enver Hirsch has authored a very funny book! You should buy at least two. One for yourself and one for any impending birthday!“
 

Foto Enver Hirsch  Foto Enver Hirsch

 
„Früher habe ich nur Menschen fotografiert. Später habe ich begonnen, mich für ihre merkwürdigen Spuren zu interessieren“, sagt Enver Hirsch – und darum geht es auch in seiner Fotografie: um Spuren des Lebens, welche erst die Bilder ans Licht bringen. Grandios die Anordnung der Bildpärchen in diesem Band: Da zupft sich einer an der gelben Badehose, daneben sehen wir eine sonderbare Staubwolke mitten im Wald, da steht eine Ansammlung von Beinprothesen, rechts daneben sitzt ein Mann unter einer Sammlung präparierter Fische, mal sehen wir zwei zerrupfte Fregattvögel, daneben zwei schrill herausgeputzte Damen auf der blühenden Insel Mallorca. Fies sind diese Bilder manchmal, alles andere als schön, aber schlau und treffend – gerade in der Gegenüberstellung von zwei Arbeiten zu einem Bildpaar. Und vor allem: Sie sind teilweise wirklich sehr lustig.

Doch damit hört der Spaß auch bald auf. Denn es gibt noch eine andere Ebene. Eine, die sich nicht sofort erklärt, eine abgründige, ernste, traurige, ja erschreckende Seite des Humors. Im hinteren Teil des Buches gibt es eine Titelliste mit kurzen Beschreibungen dessen, was wir da eigentlich sehen. Hier lesen wir erstaunt, dass eine wundervolle Wolkenformation in Wirklichkeit nichts anderes ist als der Ausstoß des Kohlekraftwerks Weisweiler. Hier lesen wir, dass jener braungebrannte Golfer in Badehose in Wirklichkeit ein Giftgas-Verbrenner auf einem von US-Militär genutzten Südsee-Atoll ist. Sein kleiner Golfplatz: total kontaminiert. „Wer nun weiß“, schreibt Morat in seinem Vorwort, „dass wir einem Mann zusehen, der an einem Verbrennungsofen für Giftgas arbeitet und der verzweifelt versucht, in apokalyptischer Umgebung Normalität zu imitieren, dem wird das Lachen im Halse stecken bleiben.“
 

Foto Enver Hirsch  Foto Enver Hirsch

 
Was wir hier alles sehen: ein Scharfschütze, der sich als Busch verkleidet, ein Reh, das Präparatoren zu einem Tisch umgearbeitet haben, ein Bauzaun, der sich als Paradiesgarten schmückt. Der Rauch im Wald – das ist eine explodierende Übungsmine. Verrückte Welt? Grausame, böse Welt! Eine Rettung ist Humor, schreibt Robert Morat. Und es stimmt: Gäbe es Humor nicht – es wäre wirklich zum Verzweifeln.

Titelabbildung Enver Hirsch - Toaast Hawaii

(Marc Peschke)
 
 
Enver Hirsch
Toast Hawaii (bei amazon.de)
128 Seiten
Robert Morat Edition
Hamburg 2008
ISBN 978-3-941347-00-7
45 Euro