Ausschnitt aus Schöna, Sächsische Schweiz, 2006 - Foto Eva LeitolfÜber einen Zeitraum von 16 Jahren – zwischen 1992 und 2008 – hat die 1966 geborene Münchner Fotografin Eva Leitolf an ihrem Werkkomplex „Deutsche Bilder – eine Spurensuche“ gearbeitet. Ihr Thema: rechte Gewalt

Anfangs fotografierte sie an Tatorten von fremdenfeindlichen Anschlägen in Rostock-Lichtenhagen, in Thale, Bielefeld und Solingen, zeigte auch das Umfeld der Gewalttäter und ihrer Sympathisanten. Im Jahr 2006 nimmt die Fotografin die Arbeit an ihrer Serie wieder auf – doch hat sich nun der Duktus der neuen Arbeiten verändert: Sie gibt ihren Fotografien heute Texte bei, die den Tathergang, aber auch das was folgt, Prozesse, mediale Aufmerksamkeit und Urteil, sehr genau reflektieren.

Die Bilder selbst tragen keine Zeichen der Gewalt in sich. Zumindest keine offensichtlichen. Doch Arbeiten wie „Haltestelle, Potsdam 2006“ (hier wurde ein schwarzer Deutscher von zwei Unbekannten schwer verletzt), „Am Dorfteich, Pömmelte 2007“ (hier wurde der Sohn eines Äthiopiers und einer Deutschen bespuckt, geschlagen und getreten) oder „Schweriner See bei Berlin 2006“ (hier wurde eine Gruppe französischer und italienischer Jugendlicher, die hier zelteten, von einem einheimischen Jugendlichen mit Flaschen beworfen) scheint die Gewalt, das Unheil auf sonderbare Weise eingeschrieben zu sein.
 

Haltestelle, Potsdam 2006 - Foto Eva Leitolf

Haltestelle, Potsdam 2006

Am frühen Morgen des Ostersonntags 2006 wird ein schwarzer Deutscher in Potsdam von zwei Unbekannten so schwer verletzt, dass ihn die Ärzte wegen seines Schädelbruchs für mehrere Wochen in ein künstliches Koma versetzen müssen. Erste Ermittlungen lassen einen rassistischen Hintergrund des Überfalls vermuten: kurz vor der Tat schneidet die Handy- Mailbox der vom Opfer angerufenen Ehefrau „dreckiger Nigger“ mit. Der Generalbundesanwalt zieht die Ermittlungen mit der Begründung an sich, dass das mögliche rassistische Motiv geeignet sei „die innere Sicherheit der Bundesrepublik zu beeinflussen“. Einem der beiden festgenommenen Tatverdächtigen wird gefährliche Körperverletzung, dem zweiten unterlassene Hilfeleistung vorgeworfen. Die Polizei entdeckt im Auto der Tatverdächtigen rechtsradikale Musik. Beide Angeklagten bestreiten, zum Zeitpunkt der Tat am Tatort gewesen zu sein. Zwei Gutachten können die Stimme des Hauptbeschuldigten auf der Mailbox nicht zweifelsfrei identifizieren. Da sich die Anklage im Wesentlichen auf diesen Mitschnitt stützt, werden am 23. Mai die Haftbefehle wieder aufgehoben. Drei Tage später gibt auch der Generalbundesanwalt die Ermittlungen wieder an die Potsdamer Staatsanwaltschaft ab, da die rassistischen Äußerungen der mutmaßlichen Täter in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der Tat stünden. Die Nebenklage plädiert, wie alle Prozessparteien, auf Freispruch, zeigt sich aber dennoch überzeugt davon, dass es sich um eine rassistisch motivierte Tat handelte. Die Angeklagten werden freigesprochen.
 
 
Schöna, Sächsische Schweiz, 2006 - Foto Eva Leitolf

Schöna, Sächsische Schweiz, 2006

In der Gemeinde Reinhardtsdorf-Schöna erhält die NPD bei der Landtagswahl 2004 23,1% der Stimmen. Sie pflegt laut Presseberichten enge Verbindungen zur verbotenen SSS (Skinheads Sächsische Schweiz), einer Gruppe, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Gegend „ausländerfrei“ zu machen.

 
Eva Leitolfs fein komponiertes Werk zieht seine Kraft aus ihrem Sinn für kleine und kleinste Details. Alles, was wir auf diesen so schrecklich stillen Bildern sehen, so macht sie uns glauben, hat eine bedrohliche Bedeutung – ganz gleich, wie unspektakulär das Gezeigte ist. In der Kraft, im Alltäglichen das Grauenvolle, das Drama der Gewalt zu erkennen, liegt die Stärke ihrer blassen, menschenleeren Orte.

„Ihre Bilder bieten die Möglichkeit der Reflexion und Auseinandersetzung, drängen sich aber nicht auf. Und gerade dadurch sind Eva Leitolfs Fotografien von so nachhaltiger Wirkung“, hat Dr. Inka Graeve Ingelmann, Konservatorin für Fotografie und Neue Medien an der Pinakothek der Moderne in München, einmal geschrieben. Bis zum 11. November ist dort die Ausstellung „Deutsche Bilder – eine Spurensuche“ zu sehen, die von einem Katalogbuch begleitet wird.

(Marc Peschke)
 
 
Ausstellung:

Eva Leitolf: Deutsche Bilder – eine Spurensuche. 1992-2008
Bis 16.11.2008
Täglich außer Montag 10 bis 17 Uhr, Donnerstag, Freitag 10 bis 20 Uhr
Pinakothek der Moderne, Barer Strasse 40, 80333 München
Telefon 089-23805-360

Buch:

Eva Leitolf
Deutsche Bilder – eine Spurensuche
Hartpappband. 88 Seiten. 44 Abbildungen
Snoeck Verlag. Köln 2008
ISBN 978-3-936859-90-4
24 Euro