Happening, Performance, Installationen und Fotografie – so ganz konnte und wollte sich die Schweizer Künstlerin Manon nie entscheiden: „Ich wollte nicht Kunst machen, ich wollte mein eigenes Kunstwerk sein“
Manon. Aus dem unveröffentlichten Künstlerbuch Manonomanie, 1975. © 2008, ProLitteris, Zürich
Im Jahr 1974, nach dem Besuch der Kunstgewerbeschule in St. Gallen, trat die 1946 als Rosmarie Küng in Bern geborene erstmals als Künstlerin in Erscheinung – mit einem veritablen Spektakel: Damals installierte sie ihr legendäres „Lachsfarbenes Boudoir“ in der Galerie Li Tobler in Zürich, eine phantasievoll-dekadente, sexuell aufgeladene Rauminstallation, eine Klause weiblicher Wollust – eine Art Selbstdarstellung in räumlicher Form, wie sie das Werk selbst beschrieben hat. Und eine Vorlage für Nachfolger wie die Engländerin Tracy Emin, die 1999 das eigene zerwühlte Bett zur Kunst erklärte – und damit für den hochdotierter „Turner Prize“ nominiert wurde. Manon fand 25 Jahre früher (auf phantasiereichere Weise) zu ihrem Thema: Identität, Sexualität, Geschlechterrollen – das ist bis heute das Feld geblieben, in dem sie sich künstlerisch bewegt.
Manon. Aus der Serie Elektrokardiogramm 304/303, 1978. Fotografie. © 2008, ProLitteris, Zürich
Parallel zu einer Ausstellung im Zürcher Helmhaus (die im nächsten Jahr im Swiss Institute New York zu sehen ist), ist jetzt im Verlag Scheidegger & Spiess ein Katalogbuch erschienen: die erste umfassende Monografie, welche Manons Gesamtwerk in Gänze vorstellt. Die Kunst der Zürcherin ist von ihrem Leben nicht zu trennen: Ihr Werk und Leben ist ewige Maskerade, Konstruktion von Identität und deren Dekonstruktion – verführerisch, sinnlich, androgyn, lustvoll, bedrohlich und glamourös.
In ihren fotografischen Selbstinszenierungen der Siebziger, in Schwarzweiß-Serien wie „La Dame Au Crâne Rasé“, „Elektrokardiogramm 304/303“ oder „Ball der Einsamkeiten“, zeigt sie sich als eine schillernd-androgyne Kunstfigur, als vielschichtige Vorgängerin von jüngeren Künstlerinnen wie etwa Pipilotti Rist, die sozial determinierte Bilder von Weiblichkeit, die Rolle der Frau als soziales Konstrukt, auf subversive Art und Weise zu hinterfragen weiß.
Manon. Das Ende der Lola Montez, Performance/Installation, 1975. © 2008, ProLitteris, Zürich
Gemeinsam mit zeitgleich arbeitenden Künstlerinnen wie Cindy Sherman, Katharina Sieverding oder Valie Export machte auch Manon den eigenen Körper zum Thema und Inhalt ihrer Kunst, schlüpfte in immer neue Rollen – und überwand in der Tradition von surrealistischen Foto-Performern wie Claude Cahun oder Pierre Molinier die Geschlechtergrenzen. Sie trug Catsuit und Augenmaske, ließ sich bei einer Performance wie ein gefährliches Raubtier in einen Käfig sperren – auch, um damit die Stimme zu erheben: Man darf daran erinnern, dass in der Schweiz das Frauenwahlrecht erst im Jahr 1971 eingeführt wurde.
Manon. Aus der Serie Borderline, 2007. C-Print. © 2008, ProLitteris, Zürich
Auch die neueren Arbeiten aus den neunziger Jahren und der Gegenwart – wie etwa die Farbserie „Borderline“ – bekennen sich zu der eigenen Bild-Tradition, auch wenn sie nicht mehr ganz die authentische Originalität früherer Arbeiten erreichen. Das gilt auch für Manons „Diaries“, eine große Bilderserie, ein fotografisches Tagebuch, ein Bilderstrom, den stärker zu filtern gelohnt hätte. Auch für Manons fotografisches Werk gilt – wie für die Arbeiten so vieler Künstler, die bereits in den sechziger und siebziger Jahren arbeiteten: Mit den Jahren hat es rebellische Dringlichkeit verloren.
Trotzdem ist die Schweizerin bis heute eine auf spannende Weise kaum fassbare Pionierin weiblicher Selbstinszenierung und Selbstbestimmung: eine Ansammlung unzähliger Alter Egos, multipler Identitäten, austauschbarer Geschlechterrollen – mit den Erwartungen des Publikums spielend, lockend und sich verweigernd im gleichen Moment. Texte von Simon Maurer, Thomas Kramer, Brigitte Ulmer, Jean-Christoph Ammann, Jörg Heiser, Amelia Jones und Gianni Jetzer stellen Zusammenhänge her – und ordnen das Werk Manons ein. Eine schöne Idee ist es, im Buch auch alte Zeitungsartikel zu reproduzieren: Sie geben eine Ahnung von den Skandalen, mit denen Manon das sittenstrenge Zürich der Siebziger erschütterte. „Ich wollte nicht Kunst machen, ich wollte mein eigenes Kunstwerk sein“, so fasste Manon ihre überaus sinnliche Kunst-Strategie einmal zusammen.
(Marc Peschke)
Buch:
Helmhaus Zürich (Hrsg.)
Manon – Eine Person (bei amazon.de)
Broschiert. 19,5 cm x 27,5 cm
Texte von Jean-Christophe Ammann, Jörg Heiser, Amelia Jones, Brigitte Ulmer und Gianni Jetzer
278 Seiten. Deutsch
134 farbige und 137 Schwarzweiß-Abbildungen
Verlag Scheidegger & Spiess. Zürich 2008
ISBN 978-3-85881-205-6
CHF 78 / € 50
Ausstellung:
Swiss Institute New York
28. April bis 13. Juni 2009
Mehr zur Künstlerin:
Manon (Webseite der Künstlerin)
Privat bin ich eine Schlampe. Da will ich nicht wahrgenommen werden (Interview der schweizer SonntagsZeitung mit Manon)
Nachtrag (2.5.2008): Bildlegenden komplettiert.