Detail eines Fotos von Loïc Bréard

Loïc Bréards Fotografien über die Wallfahrt von El Rocío zeigen zeitlose Beispiele einer klassischen Fotoreportage, in der alles steckt: Glaube, Hoffnung, Liebe:

El Rocío – am Nationalpark Coto de Doñana gelegen – ist ein kleiner, recht beschaulicher Ort in der andalusischen Provinz Huelva. Das ganze Jahr über tut sich hier gar nichts. Fuchs und Hase sagen leise Gute Nacht. Nur einmal im Jahr passiert hier etwas – und dann gewaltig: Denn stets zu Pfingsten wird aus der Dorfidylle El Rocío der bekannteste spanische Wallfahrtsort. Gehuldigt wird hier einer Statur der Heiligen Jungfrau, welche die Pilger „Blanca Paloma“ nennen. Die weiße Taube.

Foto von Loïc Bréard


Eine Million Pilger, Romeros wimmeln durch einen Ort, der nur 800 Einwohner hat. Etwa hundert Bruderschaften wie die „Hermandad del Rocío de Jaén“, die „Triana“ aus Sevilla oder die „Hermandad de Ronda“ reisen auf uralten Pilgerwegen an. Alles hat seine festgefügte Chronologie, die Versammlung der Gläubigen in der Ermitá, das gemeinsame Gebet, die nächtliche „Entführung“ und Zurschaustellung der Statur, die Danksagungen und Fürbitten, die gemeinsame Abreise in die Heimatorte.

Foto von Loïc Bréard

 
 

Foto von Loïc Bréard


Doch das ist es nicht, was den in Nantes geborenen und in Hamburg lebenden Fotografen Loïc Bréard an der Wallfahrt interessiert. Eher ist er fasziniert von dem, was am Rande liegt, was dem religiösen Brauch individuelle Note gibt. Der Eifer etwa, mit dem die Pilger versuchen, die Statur der Jungfrau zu berühren. Die Ernsthaftigkeit der Trommler, Flötenspieler und Standartenträger. Und wohl reizt ihn auch der visuelle Reichtum der Szenerie: die andalusischen Trachten, die mit Kerzen und Blumen geschmückten Kutschen.

Foto von Loïc Bréard


Bréards Schwarzweißfotografie dringt bis zum Kern des Festes vor, spiegelt die besondere Ambivalenz, welche die Wallfahrt auszeichnet. Denn sie ist beides: sakraler Ritus und fröhliches Volksfest, bei dem getrunken und „Sevillana“ getanzt wird. Es ist ein Fest für jung und alt, bei dem Musik zu hören ist, sich Klagelieder und Lobgesänge mischen, wo Alltag und Religion eine Durchdringung erfahren. „Muss ein Pilger nüchtern sein“, fragt Jakob Strobel y Serra in seinem Buchbeitrag – und die Fotografien geben die Antwort: Nein, muss er nicht.

Foto von Loïc Bréard


Die fotografische Bestandsaufnahme dieses Freudenfestes ist gelungen. Es sind Bilder darunter, die nicht aus dieser Zeit zu sein scheinen. Eine Pilgergruppe auf einem staubigen Weg, irgendwo in Andalusien: Das Bild könnte aus biblischer Vorzeit stammen. So eine Reise ist ein Atavismus in unserer Welt – und das macht die Faszination aus. Da gibt es etwa die sogenannten „Raketenmänner“, die Feuerwerkskörper in die Luft jagen, die geschmückten Ochsenkarren, die als rollende Altäre dienen, Flamenco-Kleider, Halstücher, Strohhüte und Bolero-Jacken – ein ganzes Volk ist zu Fuß, zu Pferd oder in Planwagen unterwegs, die Madonna zu ehren. Von Achsbrüchen lassen sie sich nicht aufhalten. Askese? Keine Spur. Eher Völlerei und Wahnsinn. Aber auch: innige Ergriffenheit.

Foto von Loïc Bréard
 
 
Foto von Loïc Bréard


Vor allem viele der nächtlichen Motive überzeugen. Tanzende Frauen unter dem Licht der Straßenlaternen, die illuminierte Kirche, die beleuchteten Planwagen und Wurstbratereien, das nächtliche Gewimmel, Blicke hinter die Kulissen, auf Details, auf Personen, die sich der Fotograf aus dem Durcheinander herauspickt: Sie alle sind gut komponierte, mal amüsante, manchmal strenge, stets aber zeitlose Bespiele einer klassischen Fotoreportage, deren Thema gut gewählt ist, weil in ihr alles steckt: Glaube, Hoffnung, Liebe. Das ganze Leben eben.

(Marc Peschke)

Titelabbildung Loïc Bréard

Buch:
Corinna Weidner (Hrsg.)
Loïc Bréard: El Rocío (bei amazon.de)
Deutsch / Spanisch / Englisch
23,5 x 31,5 cm, 240 Seiten mit 184 Duplex-Abbildungen
Hardcover in Leinen gebunden mit Schutzumschlag
Kerber Verlag
ISBN 978-3-86678-105-4
EUR 48 / SFR 79

Ausstellung:
Die Hamburger Galerie Hilaneh von Kories präsentiert vom 14. März bis zum 15. Mai 2008 im Rahmen der “4. Triennale der Photographie” die Ausstellung “El Rocío – eine spanische Wallfahrt” mit Bildern des Fotografen Loïc Bréard.
Di. – Fr. 14:00 – 19:00 u.n.V.
Galerie Hilaneh von Kories
Stresemannstr. 384a im Hof
22761 Hamburg-Altona
040/4232010
www.galeriehilanehvonkories.de