Leica macht im Augenblick mehr durch Hiobsbotschaften (Verlustanzeigen) denn durch neue Produkte (das Digital-Modul-R verspätet sich) von sich reden. Wir haben Leica zu Gegenwart und Zukunft befragt:

Vorbemerkung: In den vergangenen Jahren hat die Leica Camera Gruppe keine besondere Fortune gezeigt. Bescheidenen Gewinnen von je gut 1 Mio Euro (so in den Geschäftsjahren 99/00 – 00/01 – 02/03) stehen erkleckliche Verluste in anderen Jahren gegenüber (97/98 -8,8 Mio und 98/99 -6,8 Mio Euro; sowie aktuell 03/04 mit -3,1 Mio Euro und 04/05 mit prognostizierten -12,8 Mio Euro).

Gero Furchheim, Pressesprecher der Leica Camera AG, war so freundlich, unsere Fragen zu beantworten.

photoscala: Die aktuellen Zahlen klingen recht bedrohlich; wir sind aber zugegebenermaßen keine Wirtschaftsfachleute und können das letztlich nicht einschätzen. Können Sie uns und unseren Lesern kurz erläutern, ob der Fortbestand Leicas durch die aktuellen Hiobsbotschaften gefährdet ist?

Gero Furchheim: Zugegebenermaßen gebe ich in Fotofachmagazinen auch lieber Interviews über die Faszination unserer Produkte als über wirtschaftliche Probleme. Die Leica Camera AG befindet sich durch die Verluste, die wir im Dezember letzten Jahres angekündigt haben, in einer gravierenden wirtschaftlichen Schieflage. Am bedrohlichsten war sicherlich in den letzten Wochen, dass die kreditgebenden Banken unsere Kreditlinien in Frage gestellt haben. Hier gab es tatsächlich Mangel an Liquidität.

Aber: Wir haben zu jedem Zeitpunkt alle unsere Rechnungen fristgerecht bezahlt und konnten mit den Banken und unseren Hauptaktionären mittlerweile eine Zwischenlösung vereinbaren. Sie sichert unseren Finanzbedarf bis auf weiteres ab. Nach der Hauptversammlung Ende Mai können dann die Kapitalmaßnahmen greifen, für die wir einen einstimmigen Beschluss des Aufsichtsrates erhalten haben. Diese Entscheidung sehen wir als richtungweisend.

Wir sind jetzt sehr optimistisch, dass wir nicht zuletzt durch unsere beiden Hauptaktionäre eine breite Mehrheit für die Refinanzierung unseres Unternehmens auf der Hauptversammlung erhalten. Der Vorschlag selbst besteht aus einer Kapitalherabsetzung, mit der die entstandenen Verluste in der Bilanz ausgeglichen werden. Anschließend werden neue Aktien herausgegeben. Wenn nichts Unerwartetes passiert, können wir uns schon bald wieder auf das normale Geschäft konzentrieren. Mit einer Turnaround-Strategie, die zurzeit unter der Leitung unseres neuen Vorstandsvorsitzenden Dr. Josef Spichtig überprüft und weiterentwickelt wird, wollen wir dann wieder in die Gewinnzone zurückkehren.

photoscala: Leica wird bisweilen vorgehalten, die Nutzerbasis sei überaltert, die Produkte nicht konkurrenzfähig, und im Wesentlichen interessierten sich nur einige Sammler für die Kameras aus Solms. Teilen Sie diese Einschätzung bzw. wie erklären Sie die erheblichen Verluste des letzten Jahrzehnts?

Gero Furchheim: Diese Einschätzung teile ich nun wirklich nicht. Natürlich wissen wir, dass wir keine hippe Jugendmarke sind. Werte wie Qualität, Präzision und Solidität haben ihren Reiz vor allem für Kunden, die etwas Dauerhaftes und Beständiges suchen. Die Sehnsucht nach solchen Produkten entsteht oft erst, wenn man eine Vielzahl von modischen Artikeln gekauft und dann wieder abgestoßen hat. Es ist die Natur unseres Produktes, die zu einem höheren Durchschnittsalter führt. Es gibt aber keine Überalterung.

Wir gewinnen nach wie vor auch junge, passionierte Fotografen. Sie schätzen die Konzentration auf das Wesentliche. In der engen Auseinandersetzung mit den fotografischen Parametern Blende, Zeit und Schärfeebene kann aus unserer Sicht mehr Kreativität gefördert werden als in der Auswahl von so genannten Kreativprogrammen.

Die Leica-Stärken wie beste Optiken und Beständigkeit lassen sich jetzt auch in der digitalen Fotografie besser umsetzen. Die reine Pixeljagd, in der unsere Stärken vorübergehend weniger Bedeutung hatten, ist weitgehend zu Ende. Anspruchsvolle Kunden suchen nicht nur Megapixel, sondern ein echtes fotografisches Erlebnis mit Qualität von der Optik über die Mechanik bis zum fertigen Bildergebnis – und können dies bei uns finden.

Ein erheblicher Grund für die Verluste war, dass wir in den vergangenen Jahren in der schnellen Wandlung des Marktes einfach als kleiner Player Schwierigkeiten hatten, die Digitaltechnik wirtschaftlich sinnvoll und markenadäquat zu nutzen. Das wird uns in Zukunft besser gelingen, weil sich die Rahmenbedingungen verbessern.

photoscala: Hat Leica die rasante Entwicklung von analog hin zu digital schlicht unterschätzt?

Gero Furchheim: Die Geschwindigkeit des Wandels hat kein Unternehmen genau vorhersagen können, wir machen dort keine Ausnahme. Uns war aber seit Beginn der 90iger Jahre bewusst, dass wir nach sinnvollen Leica-Lösungen in der Digitaltechnik suchen müssen. Erste Lösungen hatten wir schon Mitte der Neunziger mit der digitalen Studiokamera LEICA S1. Wir haben jetzt gute Partnerschaften aufgebaut und leben diese.

Wir hatten und haben aber nicht die Möglichkeit, kurzlebige Innovationen über einen massenhaften Vertrieb zu finanzieren. Unser Traum waren schon seit langem Produkte wie das Leica Digital-Modul-R, die unseren Kunden die Nutzung über Jahrzehnte angeschaffter Produkte auch in der digitalen Welt ermöglicht, und dies auf dem höchsten Qualitätsniveau.

photoscala: Wie will Leica dem analogen Abwärtstrend und dem offensichtlichen Trend des Verbrauchers hin zu digital begegnen (im Jahr 2004 waren laut Photoindustrie-Verband 80% aller in Deutschland verkauften Kameras digital)?

Gero Furchheim: Es besteht gar keine Frage, dass der Fotomarkt zu einem sehr hohen Prozentsatz digital wird. An diesem digitalen Markt wollen wir mit eigenen Lösungen partizipieren. Wenn aber nur ein kleines Segment für die hochwertige analoge Fotografie übrig bleibt, kann dies für einen Nischenanbieter wie Leica durchaus langfristig interessant sein.

Wir können sinnvoll im Industrievergleich kleine Stückzahlen produzieren und bieten mit unserer Optik und Mechanik so etwas wie die Essenz der Analogfotografie. Welchen Anteil ‚analog’ in der Zukunft ausmachen wird, kann niemand genau vorhersagen. Dass der Markt aber für uns interessant bleiben wird, erscheint uns als gesichert.

photoscala: Digitale Modelle machen bei Leica mittlerweile den Löwenanteil bei den Kompaktkameraverkäufen aus. Ist damit zu rechnen, dass sich Leica verstärkt der Entwicklung und Produktion von kompakten Digitalkameras zuwendet?

Gero Furchheim: Der Anteil unserer digitalen Lösungen wird sicherlich zunehmen. Und dies sowohl bei den Kompakten wie im Systemgeschäft mit digitalen Ergänzungen. Wir haben auch darüber hinausgehende Ideen, die wir zur gegebenen Zeit vorstellen werden. Man darf aber auch nicht vergessen, dass wir mit unseren Ferngläsern, Spektiven und Entfernungsmessgeräten der Sportoptik auch einen weiteren innovativen und wachsenden Markt bedienen.

photoscala: Werden Sie im digitalen Bereich intensiver mit Panasonic zusammenarbeiten oder sich nach einem neuen Partner umsehen?

Gero Furchheim: Die Partnerschaft mit Panasonic ist erfolgreich und soll fortgeführt werden. Schon jetzt haben wir darüber hinausgehende Partnerschaften, wie bei der Entwicklung des Digitalmoduls. Die Möglichkeiten zu solchen ergänzenden Partnerschaften bleiben auch in der Zukunft bestehen.

photoscala: Thema Digital-Modul-R: Wie sieht hier der aktuelle Zeitplan aus? Wann wird das Digital-Modul-R kommen?

Gero Furchheim: Wir hatten bedauerliche Verspätungen, die viele Kunden verärgert hatten. Ich sehe aber auch den positiven Aspekt, dass wir trotz eines hohen wirtschaftlichen Druckes keine Kompromisse wie halbfertige Produkte hingenommen haben. Eine schnelle Auslieferung mit nachfolgender Rückrufaktion ist schlimmer als die jetzige Verzögerung.

Wir sind mit der Qualität der aktuellen Testmodelle sehr zufrieden. Die Bildqualität übertrifft unsere eigenen Erwartungen. Das Digitalmodul wird ein faszinierendes Produkt. Die Lieferung wird in den nächsten Wochen beginnen. Wann dies genau sein wird, werden wir Ende Mai veröffentlichen, wenn absolute Klarheit über die Beseitigung der letzten Problemstellungen besteht.

photoscala: Ist die Basis an verkauften R-Kameras (in Frage kommen ja nur die R8 und R9) groß genug, um das Digital-Modul-R zu einem Erfolg zu machen bzw. Leicas wirtschaftliche Situation signifikant zu verbessern?

Gero Furchheim: Ja, die Basis reicht für den Erfolg des Moduls aus, sonst hätten wir das Projekt nicht gestartet.

photoscala: Leica hat eine digitale „M“ in Aussicht gestellt. Wäre so eine Kamera angesichts der aktuellen Zahlen (dramatischer Einbruch im analogen Bereich) nicht überfällig? Ist aber deren Entwicklung – auch angesichts der aktuellen Zahlen – überhaupt noch finanzierbar? Und wenn sie denn kommt – wann kommt sie?

Gero Furchheim: Die Leica M digital ist ein wichtiger Bestandteil unserer Zukunftsausrichtung. Sie wird kommen und sie wird sensationell gut werden. Die aktuellen Finanzprobleme hatten in keiner Form eine Auswirkung auf unsere strategischen Innovationsprojekte. Details werden wir aber erst dann veröffentlichen, wenn das Produkt verkaufsfertig auf dem Lager liegt.

photoscala: Können Sie schon erste Angaben zu einer möglichen Turnaround-Strategie machen, mit der Leica den Umsatzeinbrüchen und den Verlusten der letzten Jahre begegnen will? Wird sich Leica neu positionieren?

Gero Furchheim: Ich kann nur andeuten, dass die Kernfragen die Themen Innovation, Distribution und Kommunikation sind. Wir werden erhalten was gut ist und uns dort verbessern, wo wir noch nicht gut genug sind. Details wird es erst zur Hauptversammlung geben.

Mein persönlicher Eindruck ist, dass wir in Solms eine bis in die Zehenspitzen motivierte Mannschaft haben, die gerne Leica-Produkte entwickelt und fertigt und die Chancen für einen erfolgreichen Neuanfang mit beiden Händen packt. Viele Kunden haben uns in den letzten Wochen gesagt, was ihnen die Leica bedeutet. Das motiviert und spornt an.

photoscala: Auf welche Produkte wird Leica seine Zukunft ausrichten?

Gero Furchheim: Wir werden auf System- und Kompaktkameras, analog wie digital setzen. Wir werden die Sportoptik weiterentwickeln. Und wir wollen vielleicht auch ab und zu einmal positiv überraschen.

(thoMas)