Es geht um Protest, Auseinandersetzung und Kampf, ganz klar. Gegen das Kapital, den Kapitalismus, das Establishment, die Staatsgewalt, vielleicht auch gegen alles… – Anmerkungen zu Fotografien von Julian Röder:
Der neue David
Zu einigen Fotografien von Julian Röder.
Julian Röders Fotografien sind durchweg sehr ästhetische Bilder. Wenn auch im klassischen Sinne nicht inszeniert, wirken sie doch sehr wohl arrangiert und ungeheuer attraktiv. Das mag weniger an ihren Sujets als an ihren Kompositionsprinzipen liegen, also an Röders stilistischem Umgang mit seinem künstlerischen Medium über das Motiv hinaus.
Diesen könnte man mit Walker Evans vielleicht als documentary style bezeichnen, wobei Röder weniger das gewöhnliche als das besondere Alltägliche interessiert. Er betreibt eine Art konzeptuelle Reportagefotografie, für die er weit reist. Seine stets „vorgefundenen“ Motive und Sujets setzt er jedoch weniger bildjournalistisch in Szene.
Röder präsentiert seine Aufnahmen als mittel- bis großformatige Prints und vereinzelt in Leuchtkästen. In seinen Fotografien lassen sich solch alte Bildformeln wie Goldener Schnitt, Zentralperspektive, Vorder-, Mittel- und Hintergrund, meisterlich beherrschte Lichtführung und Farbverhältnisse, Einsatz von Rückenfiguren, aber auch das Ornament der Masse erkennen. Diese scheinen heute zunächst aus der Werbung geläufig, sind jedoch grundlegender aus Film und Malerei bekannt. Und sie funktionieren, denn sie gefallen dem Betrachterauge und verführen es bisweilen noch immer.
Julian Röder, Greek border police patrol is monitoring the European external border of Greece, Evros region, 2012, aus der Serie „Mission and Task“
Archival pigment print, 152 x 109 cm
© der Künstler und Ostkreuz
So verwundert es nicht, dass Röders Serie „The Summits“ wiederholt mit historischen Schlachtenmalereien verglichen wurde. Doch gerade weil seine Fotografien sich eben nicht in der Anwendung gleichermaßen traditioneller wie erprobter Gestaltungsprinzipien auf gegenwärtige Ereignisse (als Sujets) erschöpfen, faszinieren sie. Mehr noch, diese Bilder prägen sich ein. Julian Röder beherrscht nicht nur die ästhetische Formen- und Proportionslehre und seine Kamera. Er lässt darüber hinaus seinen Motiven eine subtile Uneindeutigkeit. Und da ihn so (bild-)besetzte Themen wie Gewalt, Kampf und Konflikt als Begleiterscheinungen globaler Transformationsprozesse interessieren und seine Fotografie durchaus politisch ist, tut er gut daran. Röder unterläuft somit das Dilemma der Ästhetik im Angesicht des Grauens und jede eindeutige Wertung. Auch verhindert er, dass diese Themen als vordergründige Bildspektakel den Blick abfangen und nur an der Oberfläche hin- und herschicken.
Die Summits sind über einen Zeitraum von fast zehn Jahren entstanden. Dabei wirken die frühen Aufnahmen nicht wie Bekenntnisse, sondern wie Trophäen eines jungen Antifa-Anhängers. Es sind allesamt starke, bestechende Aufnahmen. Röder ist nah dran – an (bildästhetisch) brennenden Autos, am schwarzen Block, der sich die Treppe hinunter und am Ende als bildstrukturierende Linie formiert. Es geht um Protest, Auseinandersetzung und Kampf, ganz klar. Gegen das Kapital, den Kapitalismus, das Establishment, die Staatsgewalt, vielleicht auch gegen alles. Junge, geschmeidige, meist vermummte, aber mitunter auch halbnackte Menschen geraten wie archaische Kriegerinnen und Krieger in Konflikt mit Polizisten, die in voller Montur eher plump erscheinen. Doch trotz ihrer Uniformen, die genauso schwarz wie der besagte Block sind, wirken die unter einer mächtigen Caspar-David-Friedrich-Eiche lagernden Ordnungshüter nicht besonders bedrohlich, sondern eher wie Staffage. Auch die Demonstranten liegen bisweilen lieber unter freiem Himmel herum. Es tut auch nirgends wirklich weh, es fließt kein Blut und niemand wird getötet.
So sind diese Bilder tatsächlich schön, eigentlich zu schön und zweifelsohne von einer gewissen Revolutionsromantik geprägt. Dazu gehört nicht nur die entsprechende Bildkomposition. Dazu gehört, dass die Fronten nur klar SCHEINEN, es keinen wirklichen und konkreten Feind gibt (der womöglich scharf schießen würde), dass man sich ein “Bett« im Korn- und eben nicht auf dem Schlachtfeld bereitet und eine Krawallparty statt einer Attacke steigt. Dazu gehört die Natur, deren Teile alle sind. Dazu gehört, dass man jung ist. Und protestiert.
Auch Röders Aufnahmen der G8-Straßenkämpfe sind ästhetische Meisterwerke, in denen die Protagonisten nun mitunter vereinzelt, näher und aggressiver erscheinen. Und obwohl man um die Komplexität all dessen, was diese Bilder eben NICHT zeigen, weiß (und hier ist auch, aber nicht nur der in Genua getötete Protestler gemeint), bleiben sie verführerisch: Schon wird aus dem Betrachter ein Sympathisant, genauer ein Sympathisant des neuen David. Denn die Geschichte um den biblischen Helden, der den physisch überlegenen Riesen Goliath und die Philister (im weiteren Sinne also Böses und Staatsmacht) überlistet und schlägt, lässt sich wunderbar auf Röders smarten Straßenkämpfer übertragen. Ihr triumphaler Ausgang macht sie zur Story aller nur vermeintlich Unterlegenen, die sich gegen rohe Gewalt zu wehren wissen. Und wer würde nicht auf ihrer Seite stehen?
Julian Röder, Protest against G-8 summit in Genova, 2001, aus der Serie „The Summits“
C-Print, 110 x 75, 5 cm
© der Künstler und Ostkreuz
Noch dazu ist Röders David wie Michelangelos Klassiker jung und schön. Wie die Skulptur hält er einen Stein in der Hand, erscheint aber halbnackt und zeitgemäß etwas skinny. Zudem kämpft der neue David nicht allein: Im Hintergrund wartet seine emanzipierte Mitstreiterin, das Gesicht wie ihr Begleiter mit dem T-Shirt verhüllt und mit einer abgebrochenen Zaunlatte bewaffnet. Das Outfit der beiden lässt auf Spontanität und Coolness schließen. Den männlichen Kämpfer hält Röder frontal in sogenannter amerikanischer Einstellung fest, wodurch eine unmittelbare Dialogsituation mit dem Betrachter entsteht. Ob dieser sich nun bedroht fühlt, sei dahin gestellt. Er ist ja an sich auch nicht der Feind. Das würde sich allerdings schlagartig ändern, erwiese er sich in seiner Bildwahrnehmung etwa als schnöder Konsument, was nicht unbedingt schwerfällt: In ihrer Anonymität wirken diese beiden schönen, jungen Körper wie unnahbare Models, die für eine Benetton-Kampagne posieren.
Nach Judith Butler wiederum ließen sich die Körper der Protestler bzw. deren beharrliche Präsenz als Mittel verstehen, um einen Anspruch auf Raum wie auf Recht gegenüber jenen Kräften geltend zu machen, die für sich ein Monopol auf Legitimität reklamieren. Für die Mobilisierung dieser Körper sei neben deren performativen Produktivität und Wirksamkeit immer auch ein Rückgriff auf Unterstützung nötig, etwa durch soziale und institutionelle Zuwendung, Arbeit und Versorgung, also durch die Allianz mit anderen. (1)
Hier wäre erneut der Sympathisant als Bildbetrachter gefragt. Nun hält aber Röders Fotografie, die durchaus das Potenzial einer Ikone der Protestbewegung hat, noch einen anderen Ausgang der Davidgeschichte bereit, die, um auf die biblische Legende zurückzukommen, ohnehin nur die „halbe Wahrheit“ darstellt. Denn als König war David ein grausamer Feldherr. Das will natürlich der Sympathisant nicht unbedingt wissen. Für ihn zählt allein der Sieg in einem ungleichen Fight – La rivoluzione siamo noi. Statt dieser beliebten, die Gemeinschaft beschwörenden und von Joseph Beuys verkörperten Parole trägt die Genueser Hauswand, vor der Röders G8-Gegner stehen, aber ausgerechnet das Praxisschild eines Kieferchirurgen. Nach dem Kampf ist vor dem Kampf.
Es ist müßig, dieser scheinbar so klaren Aufnahme eine definitive Aussage abringen zu wollen, was für die Aufnahme spricht.
(Silke Opitz, Kuratorin)
(1) Judith Butler, Bodies in Alliance and the Politics of the Street. Vortrag im Rahmen der Reihe „The State of Things“. Office for Contemporary Art Norway (OCA), Venedig, 7.September 2011, online Bodies in Alliance and the Politics of the Street, hier nach: Peter Mörtenböck und Helge Mooshammer, Performance des Protests. In: Kunstforum International, Bd. 224 (Jan–Feb 2014), S.123–135, S.123/124.
Ausstellung:
›CC‹ Classic Contemporary
Robert Capa – Julian Röder
18.7. – 28.9.2014
Kunsthalle Erfurt im Haus zum Roten Ochsen
Fischmarkt 7
99084 Erfurt
Öffnungszeiten: Di – So 11 – 18 Uhr, Do 11 – 22 Uhr Feiertag 11 – 18 Uhr
Künstler:
Julian Röder
Alle Abb.: Julian Röder, The Summits (2001 – 2008), C-Prints, Maße variabel, © der Künstler und OSTKREUZ
Was für ein gedrechselter Schwafel der Kuratorin
Gestellte Bilder voller Klischees. Kunst? Kitsch!
OhWeh
“Kitsch” vs. “Geldverdienen”
Ob die Arbeiten “Kitsch” sind, und ob sie “zum Zwecke des Geldverdienens” angefertigt wurden, sind ja zwei ganz unterschiedliche Fragen. Auf den Kitsch-Vorwurf will ich nicht näher eingehen; es gibt zweifellos Gründe, die dafür sprechen, und es gibt auch welche dagegen. Man mag dementsprechend je nach persönlichen Präferenzen und Geschmäckern zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Ich selbst sehe das, was ich da sehe, als weit genug von Kitsch entfernt und könnte das auch begründen, aber darüber will ich gar nicht streiten.
Das andere ist das “Geldverdienen”. Jemandem vorzuwerfen, dass er Geld verdienen will, und ihm deswegen die Ehrlichkeit in seinem Wunsch nach einer besseren Welt oder der Kritik daran abzusprechen, ist einer der wohlfeilsten und – mit Verlaub – dümmsten und auch perfidesten Vorwürfe, die es gibt. Sollen Kapitalismuskritiker hungern, bis es irgendwann einmal geschafft ist, die kapitalistische Weltordnung durch eine humanere zu ersetzen? Soll es systemkritischen Fotografen irgendwie moralisch verboten sein, ihre Arbeiten zu verkaufen, um davon leben zu können, nur weil sie dem herrschenden Wirtschaftssystem, dem sich nirgendwo entfliehen lässt, kritisch gegenüberstehen? Hier wird aus den Zwängen und Widersprüchen des bestehenden Wirtschaftssystems ein Vorwurf konstruiert, der die Kritik daran quasi nur als Hobby zulassen und damit für möglichst viele potenzielle Kritiker von vornherein moralisch unmöglich machen will.
[quote=Gast]das auch nichts
[quote=Gast]das auch nichts daran ändert, daß es Kitsch zum Zwecke des Geldverdienens ist. Da steckt nicht der Hauch eines Wunsches nach Weltverbesserung oder ehrlicher Kritik am Verhalten Einzelner dahinter, es ist ausschliesslich Profitorientierung, die zu solchen Bildern antreibt.[/quote]
ich behaupte als erster in diesem Kreise, dass das Kunst ist!!! So, damit ist die erste Prämisse für Kunst erfüllt – es muss erstmal jemand sagen, dass es sich um Kunst handelt!
Jetzt und erst jetzt können wir darüber diskutieren, ob es sich um Kunst handelt oder eben nicht.
Für diese Diskussion müssen sich die bisherigen Beitragsschreiberlinge allerdings deutlich besser vorbereiten, sonst läuft das Ganze natürlich ins Leere.
Übrigens, ich lese grundsätzlich nicht nochmals in den “Diskussionen” nach wer was auf meine Beiträge antwortet – ist mir Wurscht was da kommt, Hauptsache ich habe meinen Senf dazugegeben
schöne Grüße vom Sommerloch
Das war doch
[quote=Plaubel][quote=Gast]Ist hier irgend jemand, der sein Leben mit Gratisarbeit bestreitet?[/quote]
Ahem. Hab’ ich Geld genommen am 7. Tag?[/quote]
klassischer Pfusch … oder? 😎
Es geht
genau um nix. Möglicher Weise um Kohle … 😎
sind Sie ein Träumer!
natürlich geht es nur um die Kohle, wovon soll der Künstler, Fotograf denn leben? Oder würden Sie ein wenig dem Fotografen unter die Arme greifen, wenn er nicht von seiner Arbeit leben kann?
Mich hat einmal ein Blogbetreiber, der 15 meiner Fotos von einer anderen Webseite heruntergeladen hat und auf seinem Blog verwendete, ganz verwundert fragte, ob es wirklich rechtlich einwandfrei wäre, dass er für die widerrechtlich verwendeten Fotos denn was zahlen müsse, da sein Blog ja nur für private Zwecke wäre und er keinen Pfennig (Entschuldigung Euro) damit verdienen würde. Er hat mir dann vorgeworfen, ich wäre nur an Geld interessiert.
Ist hier irgend jemand, der sein Leben mit Gratisarbeit bestreitet?
Endlich mal ein von Sachverstand geprägter Begleittext…
…, der eine offensichtlich sehenswerte Ausstellung eines der Wichtigeren unter den jüngeren deutschen Fotografen vorstellt, indem er mit analytischem Blick auf intelligente und gleichzeitig menschliche Weise ästhetische und gesellschaftlich-soziale Aspekte der Arbeiten beschreibt und sogar ein wenig Kritik nicht auslässt.
Dabei bleibt, auch das ist positiv anzumerken, auch nicht außen vor, dass es Gründe dafür gibt, dass solche Fotografie entsteht. Diese Bilder sind Kunstabstraktionen realer Szenen, die sich so oder so ähnlich im heutigen Europa abgespielt haben, und das sind Szenen, die wir infolge der Natur der herrschenden Weltordnung und der Entwicklung, die der Zustand der Welt kontinuierlich weiter nimmt, in wesentlich weniger abstrakter Form künftig immer öfter zu sehen bekommen werden, auch wenn abgebildete Handlungen wie auch deren Abbildung absehbar nichts an der Weltordnung oder an der kontinuierlichen Zustandsverschärfung ändern werden.
Na
Wenigstens Einen sprichts an. Auch wenn das den alt-neuen Weltordnungen recht am Arsch vorbei geht.
Geschwafel
das auch nichts daran ändert, daß es Kitsch zum Zwecke des Geldverdienens ist. Da steckt nicht der Hauch eines Wunsches nach Weltverbesserung oder ehrlicher Kritik am Verhalten Einzelner dahinter, es ist ausschliesslich Profitorientierung, die zu solchen Bildern antreibt.
Aber hochinteressant, daß es immer wieder Betrachter solchen Unsinns gibt, die sowohl in den Bildern wie auch den Worten der Kuratorin Erstrebenswertes/Bemerkenswertes finden – Schwafler der Welt, vereinigt euch !
Konsumkid goes Photography
Kann bitte jemand den Julian aus dem Spielzeugparadies abholen?
Der Kaiser ist ja ganz nackt
Ich lese ja solche “Kuratorinnen”-Bullshit-Bingo-Textvorlagen recht gern, unterscheiden sie sich doch wenigstens durch ihre Wortwahl vom “neoliberale Unternehmensberater mit Konfirmandenanzug”-Bullshit-Bingo.
Übereinstimmung herrscht bei der Inhaltsleere – in beiden Fällen ist der Kaiser meist nackt.
Mehr Bilder und weniger Text hätte bei der Meinungsfindung weiterhelfen können.
Aberischhabegarkeinfotoapparat
Wenn ma keine Ahnung hat….
…einfach mal psst! Anscheinend haben sich viele der Diskutierenden weder mit dem Inhalt, noch mit den Bildern selbst wirklich auseinandergesetzt. Röders Bilder sind genau durchdacht (soweit das an solchen Orten möglich ist). Und eine Über-Ästhetisierung (hier mehrfach als Kitsch bezeichnet) setzt er ebenfalls ganz gezielt ein. Julian Röder ist ein Beispiel dafür, dass es eben doch junge Menschen auf der Welt gibt, die mit- und vorrausdenken und dabei gleichzeitig etwas Nachhaltiges schaffen können (im Gegensatz zu vielen jungen und alten Schwätzern). Tolle Arbeit!