Logo ORWOIm Osten der Republik lieferte ORWO (Original Wolfen) einst die Standardmaterialien für die analoge Fotografie, war marktbeherrschend und so gut wie konkurrenzlos. Die Wiedervereinigung aber hat das Unternehmen als Ganzes nicht überstanden. photoscala wirft einen Blick auf die Geschichte der Marke „ORWO“ und ihrer Fertigungsstandorte:

So weit verbreitet ORWO-Materialien im Osten waren, im Westen waren ORWO-Filme und -Papiere – von der Beroflex AG (Berlin / Bad Kissingen) importiert – im Niedrigpreissegment angesiedelt. Nach der Wende gelang es nicht, ORWO in gänze zu erhalten und heute teilen sich zahlreiche, mehr oder minder große, Betriebe das Erbe.

Wobei schon die Vorgeschichte der Marke ORWO höchst interessant ist: Die Filmfabrik Wolfen wurde 1909 von der Aktiengesellschaft für Anilin-Fabrikation (Agfa) gegründet. Im Jahre 1936 wurde mit dem Agfacolor Neu ein Mehrschichtenfarbfilm vorgestellt. Im gleichen Jahr wurde in Wolfen auch eine Kunstfaserfertigung auf der Basis von Cellulose errichtet. Film und Kunstfaser waren damals eng verwandte Produkte. 1945 wurde die Filmfabrik von den US-amerikanischen Streitkräften übernommen und zahlreiche Firmenunterlagen wurden beschlagnahmt und offensichtlich den amerikanischen Wettbewerbern zur Verfügung gestellt. Ein wenige Jahre später von Eastman Kodak vorgestellter Farbfilm soll auf dem Wolfener Verfahren basiert haben. Nach Demontage und einer Zeit als Sowjetische Aktiengesellschaft entstand 1953 der VEB* Film- und Faserwerk Agfa Wolfen. Im Jahre 1964 erfolgte die Einführung des Warenzeichens ORWO. 1970 wurde das Fotochemische Kombinat gegründet. Darin wurden neben dem VEB Filmfabrik Wolfen die folgenden Betriebe zusammengefasst: die Fotopapierwerke Werningerode, die Fotochemischen Werke Berlin, die Gelatinwerke Calbe, die Fotopapierwerke Dresden und das Foto- und Lichtpausenpapierwerk Berlin.

(* VEB = Vollkseigener Betrieb)
 

Foto: Robert Jäschke

Der ehemalige Hauptsitz von Forschung und Verwaltung der Filmfabrik Wolfen, um 2004. Das Gebäude wurde 1936-1939 als „Wissenschaftliches Zentral-Laboratorium der Photographischen Abteilung“ von Agfa gebaut und ist heute das Rathaus von Bitterfeld-Wolfen.
Links im Vordergrund das Denkmal „Die Chemiearbeiterin“ von Gerhard Markwald, 1964.
Foto: Robert Jäschke; CC BY-SA

 
Fotochemische Werke Berlin

Im Jahre 1922 war bei der von den Vereinigten Glanzstoff-Fabriken AG (Älteren dürfte der Wuppertaler Kunstseidehersteller Enka-Glanzstoff und die Marke Diolen noch bekannt sein) in Köpenick gründeten Rohfilm-Fabrik Glanzfilm-AG zur Herstellung von Azetat-Film die Produktion aufgenommen worden. Die Vereinigten Glanzstoff-Fabriken hatten schon 1919 die Spinnstoff-Fabrik AG Zehlendorf gegründet. Die Firmengruppe geht zurück auf die „Rheinische Glühlampenfabrik Dr. Max Fremery & Cie.“, die Glühfäden produzierte und das Kupferspinnverfahren zur Herstellung von Kunstseide entwickelt hatte. Der Banker Hans Jordan bringt das Anfangskapital von 2 Millionen Mark in das Gründungskonsortium des Glanzstoffherstellers ein. Am 19. April 1923 erfolgte die Grundsteinlegung eines neuen Glanzstoffwerkes in Berlin-Köpenick, der „Glanzfilm AG“, zur Herstellung von Rohfilmen.

Die Filmfabrik Köpenick wurde 1927 von der Eastman Kodak gekauft. Andere Quellen sprechen von einer Fusion der Kodak GmbH Berlin, der Glanzfilm AG Köpenick und der Vereinigten Glanzstoff-Fabriken AG Elberfeld zur Filmfabrik Köpenick der Kodak AG. Produziert werden Schwarzweiß- und Röntgenfilme sowie die dazu benötigte Verarbeitungschemie.

Ab 1945 als amerikanisches Vermögen unter Treuhandverwaltung gestellt, wird das Werk 1956 in die „VEB Fotochemische Werke Berlin“ (FCW) umgewandelt. Die Produktion des Fotopapiersortiments wurde 1960 zum VEB Fotopapierwerk Dresden verlagert. 1966 wurde die Fertigung von Schwarzweiß-Amateurfilmen, zwei Jahre darauf die Produktion der Cinefilme nach Wölfen verlagert. 1970 wird die Köpenicker FCW in das Fotochemische Kombinat ORWO in Bitterfeld-Wolfen eingegliedert. Dafür wird die Fertigung die technischen und medizinischen Röntgenfilme aus Wolfen nach Berlin verlagert. 1990 entsteht auf einem Teil der Werksfläche die Fotochemische Werke Berlin GmbH; sie wird 1992 von der Treuhandanstalt an Kodak zurückgegeben. Seit 1994 wird die Marke X-ray Retina genutzt. Im Jahre 2007 kam das Unternehmen mit dem Kodak-Healthcare-Bereich zur Carestream Health Inc., die zur kanadische Onex Corporation zählt.

Mit dem Standort an der Landsberger Straße in Marzahn gab es offensichtlich noch eine weitere Fertigungsstätte von ORWO in Berlin. Heute befindet sich dort an der Frank-Zappa-Straße das ORWOhaus, das 4000 Quadratmeter Fläche mit rund um die Uhr bespielbaren Probenräume für Musiker bietet.

Fotopapierwerk Werningerode

Im Jahre 1901 gegründet, werden in Wernigerode seit 1904 Fotopapiere und fotografische Platten produziert. Die genutzten Marken lauteten Begro, Turaphot und Vephota. Zu Zeiten der DDR erhielt das Unternehmen den Namen VEB Fotopapierwerk Werningerode. Mit der Zuordnung zum Fotochemischen Kombinat ORWO in Wolfen wurde auf die Marke ORWO umgestellt.

Nach der Wende stand das Unternehmen als „Film und Folien Wernigerode GmbH“ unter Treuhandverwaltung. 1992 wurde als MBO der beiden Betriebsangehörigen Banse und Grohmann die b+g Banse und Grohmann GmbH gegründet. Heute lässt man die Fotopapiere nach eigenen Rezepturen in Lohnfertigung herstellen, konfektioniert die Ware jedoch in Wernigerode. Seit 1997 werden die Produkte unter dem Namen Wephota verkauft. Den Hauptumsatz macht das Unternehmen mit inzwischen zwei Filialen in der Region; heute jedoch als Scan- und Druckdienstleister.

Gelatinwerke Calbe

Nach der Einstellung der Braunkohleförderung 1915 wurde auf dem Betriebsgelände der Brikettfabrik Alfred die Chemische Fabrik Calbe angesiedelt die auf der Basis von Tierkörpern und wohl auch Schlachtabfällen Leim, Gelatine, Tiermehl, Tierfutter und Dünger herstellte. Daraus entstand später der VEB Gelatinewerk Calbe. Im Jahre 1968 wurde in Calbe die Produktion von Fotochemie aufgenommen und in den Folgejahren die Produktion der Fotochemikalien aus Wolfen und von FCW in Berlin übernommen. Heute wird die Produktion in der 1991 als MBO gegründeten Calbe Cemie GmbH fortgeführt.

Fotopapierwerk Dresden

Das Unternehmen geht zurück auf die im 19. Jahrhundert in Köln-Ehrenfeld gegründete Rheinische Emulsions-Papierfabrik A.-G., die 1909 den Firmensitz nach Dresden verlegte und 1913 den Firmennamen in Mimosa A.G änderte. Ab 1934 wurden die jüdischen Aufsichtsratsmitglieder entlassen und durch Vertreter der Deutschen Bank ersetzt. 1948 wurde das Unternehmen unter dem Namen VEB Mimosa verstaatlicht und produzierte Kleinbildkameras und Fotozubehör, um sich 1951 wieder auf die Fotopapierproduktion zu konzentrieren, was sich 1957 auch in der Namensänderung in „VEB Fotopapierwerk Dresden“ niederschlägt. Nach der Wende wurde der Betrieb privatisiert und 1991 stillgelegt und liquidiert. Nach einer Zwischennutzung durch die AOK Sachsen soll die Immobilie im Dresdner Stadtteil Striesen bis 2013 unter dem Namen Pegasus Courtyard zur Wohnanlage umgebaut werden

Foto- und Lichtpausenpapierwerk Berlin

Das Werk in Berlin wurde 1978 als „Hauptabteilung Lichtpauspapier“ vom „VEB Fotochemische Werke Berlin“ übernommen. Die Fertigungsstätte in Berlin-Friedrichshagen wurde später stillgelegt.

Filmfabrik Wolfen

Die Filmproduktion in Wolfen geht zurück auf die von der Aktiengesellschaft für Anilin-Fabrikation erfolgte Gründung, die 1910 die Produktion von Rohfilm aufnahm. Ab 1925 Teil der I.G. Farben, erfolgte 1946 die Umwandlung des Wolfener Werks in eine sowjetische Aktiengesellschaft und 1953 die Gründung des VEB Film- und Chemiefaserwerk Agfa Wolfen. Nach der Wende erfolgte 1990 die Auflösung des Fotochemischen Kombinats und die Umwandlung in die Filmfabrik Wolfen AG mit einem Aktienkapital von 230 Millionen DM im Eigentum der Treuhandanstalt. 1992 wurde das Unternehmen in die Wolfener Vermögensverwaltungsgesellschaft AG und Filmfabrik Wolfen GmbH aufgespalten. 1994 begann die Liquidation der Filmfabrik Wolfen GmbH. Im gleichen Jahr versuchte Heinrich Mandermann eine Weiterführung des Farbfilmgeschäfts durch Gründung der ORWO AG, die jedoch schon 1997 in die Insolvenz ging.

Die im Jahre 1998 erfolgte Übernahme des Chemieparks Bitterfeld-Wolfen durch einen amerikanischen Investor scheiterte, so dass der Chemiepark Bitterfeld-Wolfen im Jahr 2000 zum zweiten Mal zur Privatisierung ausgeschrieben wurde (PDF-Datei). Da kam die sächsische Firmengruppe Preiss-Daimler zum Zuge und nahm zu Beginn des Jahres 2001 mit der „P-D ChemiePark Bitterfeld-Wolfen GmbH“ die Tätigkeit als Standortgesellschaft auf. Der Chemiepark verfügt heute über sanierte Flächen, moderne Produktionsanlagen sowie ein umfangreiches Straßen-, Schienen- und Rohrleitungsnetz. Inzwischen sollen rund 360 Betriebe mit insgesamt 12.000 Arbeitsplätzen im ChemiePark angesiedelt sein.

Wer sich vor Ort über die Geschichte der Filmproduktion am Standort Wolfen informieren will, findet umfangreiche Informationen im Industrie- und Filmmuseum Wolfen. Berichte zum Museum finden sich bei Wittner Kinotechnik und bei fotointern aus der Schweiz.

Die nachfolgend aufgelisteten Unternehmen gehen zurück auf Bereiche oder Teilbereiche der Technik, Instandhaltung, Forschung u. Produktion des ehemaligen VEB Filmfabrik Wolfen. Einige der genannten Unternehmen haben im Laufe der inzwischen vergangenen Zeit jedoch den Eigentümer gewechselt.
 
AbS Lieder GmbH
Arbeitsschutz und Brandschutz

amynowa polymers GmbH
ehemals Wolfener Polymer GmbH

Dachdeckerbetrieb Helmut Starke

ELAMONT GmbH

envia Infra GmbH
Bereich "Energieversorgung" (Strom- u. Dampfnetze) 1993 an damalige EVIP GmbH verkauft (auch entsprechende Netze in Bitterfeld)

envia Therm GmbH
hat 1993 als Kraftwerk Wolfen GmbH das Kraftwerk gekauft (gehörte wie EVIP zur damaligen MEAG)

FEW Chemicals GmbH
Ausgründung aus der Forschung, Herstellung u.a. von Farbstoff für DVD-R- und DVD+R-Produktion

FilmoTec GmbH
Produktion von SW-Cinefilmen unter der Marke ORWO

Folienwerk Wolfen GmbH
aus der Gießerei VI (Polyesterunterlagen) entstanden

FuM-Bau Dietmar Rönnike
Funktionsmuster- und Metallbau

Herotron Technologies GmbH

HoPla Holz- und Plastverarbeitung

IKA Innovative Kunststoffaufbereitung GmbH & Co. KG

Industrie- und Filmmuseum Wolfen

Ingenieurbüro epr GmbH
elektrotechnische Planung und Revision

ipawo-data Gesellschaft für Entgeltabrechnung und Büroorganisation

IRW Industrieservice GmbH NL Wolfen

Island Polymer Industries GmbH
ehemalige Gießerei V (Unterlagenfertigung)

KIS Kraftswerk- und Industrieservice GmbH
Tochter der Babcock Borsig Steinmüller GmbH (Bilfinger Berger)

Koch-Konfektionierungen GmbH

Köhn Industrieservice GmbH

MABA Spezialmaschinen GmbH

ORGANICA Feinchemie GmbH Wolfen
hervorgegangen aus dem Betrieb Zwischenprodukte u. dem Zwipro-Technikum

ORWO Net GmbH
Fotogroßlabor (ORWO, PixelNet, FotoQuelle)

OSC OrganoSpezialChemie GmbH Bitterfeld

P & H Gabelstapler und Baumaschinen GmbH

Präzisionsgalvanik GmbH Wolfen

Regiobahn Bitterfeld Berlin GmbH
übernahm 1995 die Werkbahnen in Wolfen u. in Bitterfeld und gehört heute zur französischen SNCF

Sensient Imaging Technologies GmbH SynTec Division
durch Ausgründung aus der Grundlagenforschung 1992 als SynTec GmbH entstanden und später an die US-Firma Sensient verkauft

Sodexho SCS GmbH

Synthon Chemicals GmbH & Co. KG

Teltron & SIMET GmbH

Texplast GmbH
1992 als MBO gegründet

Trovotech GmbH

Universal-Beschichtung GmbH Wolfen

Wiesheu Wolfen GmbH

Wolfener Analytik GmbH

Wopack Verpackungs GmbH

Xyntec-Chemie GmbH

ZHM Zaunhandel u. Montage GmbH

ZMK Zentrum für Messen u. Kalibrieren GmbH
hervorgegangen aus dem Geschäftsfeld „Kalibrieren“
 
 
Literatur zur Geschichte der Filmproduktion in Wolfen:
Fengler, Silke: Entwickelt und fixiert
Karlsch, Rainer/Wagner, Paul Werner: Die Agfa-Orwo-Story.
Orwo: Von gestern bis heute

(CJ)
 
 
Anmerkungen:
Das Foto steht unter der Creative-Commens-Lizenz „CC BY-SA“ (Namensnennung + Weitergabe unter gleichen Bedingungen). Weitere Fotos siehe: Gebäude 041 – Ehemaliger Hauptsitz von Forschung und Verwaltung der Filmfabrik Wolfen.
Auswahl und Verkauf der Bücher erfolgen in Kooperation von photoscala mit der Stuttgarter Buchhandlung Lindemanns.