Foto Thomas Struth: Paradise 1, Daintree/Australia, 1998Der in Düsseldorf und Berlin lebende Fotokünstler Thomas Struth hat alles erreicht: Er gehört seit vielen Jahren zu den bedeutendsten Vertretern der zeitgenössischen deutschen Fotokunst. Struth ist international renommiert, doch manche seiner Werkgruppen sind weniger bekannt. Jetzt stellt ihn eine Ausstellung in Düsseldorf erstmals umfassend vor:

1954 in Geldern am Niederrhein geboren, lag die Entscheidung, an der Düsseldorfer Kunstakademie zu studieren, nicht allzu fern. Thomas Struth begann 1973 in der Klasse bei Gerhard Richter, um erst danach in die Fotoklasse von Bernd Becher zu wechseln. Die in Kooperation mit dem Kunsthaus Zürich entwickelte Ausstellung rückt manche Bilder in den Fokus, die bislang wenig bekannt sind, neueste Arbeiten, aber auch sehr frühe Werke: so die „Straßen“ Düsseldorfs, noch in Schwarzweiß fotografiert.
 

Foto Thomas Struth: Paradise 1, Daintree/Australia, 1998

Thomas Struth: Paradise 1, Daintree/Australia, 1998
© 2010 Thomas Struth / courtesy Schirmer/Mosel

 
Bekannt wurde der documenta-IX-Teilnehmer etwa mit seinen Fotografien asiatischer Dschungel, mit denen er die überbordende Üppigkeit, die Undurchdringlichkeit der Natur vor Augen führt. Struth setzt nie auf den dramatischen Effekt. Seine zumeist großformatige Fotografie will Analyse sein: Analyse unserer globalisierten Welt. Über 100 Arbeiten sind in dieser Ausstellung zu sehen, die Schau wird von einem bei Schirmer/Mosel erschienenen Katalog begleitet, der eine Übersicht über beinahe 30 Jahre Fotografie bietet.

Straßen, Familienportraits, Museums- und Naturbilder: Struth hat auf diesen vier Feldern einen langen Atem. Seine Bilder berauschen nicht, aber sie beeindrucken dennoch – vielleicht vor allem als soziale Studien. Seine frühen Straßen-Aufnahmen zeigen nichts als den urbanen Alltag: Straßen, Brücken, Plätze, die in ihrer Normalität aus dem Normalen herausgehoben werden. Objekte, die gewöhnlich kaum wahrgenommen werden – als Fotokunst machen sie den Raum sichtbar, in dem wir leben. „In jeder Stadt gibt es bestimmte Straßen, Gebäude und architektonische Situationen, die man als Kristallisationspunkte bezeichnen könnte, in deren Ausstrahlung sich ein kulturelles Phänomen wie zu einem Brennpunkt verdichtet offenbart“, sagt Thomas Struth.
 

Foto Thomas Struth: Museo del Prado 7, Madrid, 2005

Thomas Struth: Museo del Prado 7, Madrid, 2005
© 2010 Thomas Struth / courtesy Schirmer/Mosel

 
 
Foto Thomas Struth: Audience 7, Florence, 2004

Thomas Struth: Audience 7, Florence, 2004
© 2010 Thomas Struth / courtesy Schirmer/Mosel

 
Vielleicht sind es bis heute die Museumsbilder Struths, die am meisten bestechen. Sie haben das Verhältnis von Museumsbesuchern zu den Kunstwerken zum Thema. „Die Museen waren fast immer brechend voll“, sagt Struth, „und das veranlasste mich, mir die Frage zu stellen, was die Menschen, wenn sie vor diesen historischen Gemälden stehen, eigentlich suchen. Für mich ist das Museum ein Ort, der mir erlaubt, meine Instrumente, meine Wahrnehmung zu schärfen. Welcher Nutzen lässt sich aus Bildern der Vergangenheit ziehen, inwieweit können sie zu interessanten oder produktiven Ideen für die Zukunft anregen?“

Kaum ein anderer zeitgenössischer Fotograf hat sich so intensiv mit der Gattung des Familienbildes beschäftigt. Diese mit einer Plattenkamera entstehende, sehr privat anmutende Werkgruppe untersucht „den Platz der Familie innerhalb meiner westlichen Kultur“, wie es Struth einmal ausgedrückt hat – zu sehen sind hier ausschließlich Familien, die Struth gut kennt. Noch wenig bekannt sind seine neuesten Arbeiten, die ebenfalls in der Ausstellung zu sehen sind. Es sind technische Anlagen, die Struth hier fotografiert, eine „kulturelle Leistung“, wie es die Ausstellungsmacher formulieren.
 

Foto Thomas Struth: Tokamak Asdex Upgrade Interior 2 Max Planck IPP, Garching 2009

Thomas Struth: Tokamak Asdex Upgrade Interior 2 Max Planck IPP, Garching 2009
© 2010 Thomas Struth / courtesy Schirmer/Mosel

 
 
Foto Thomas Struth: The Hirose Family, Hiroshima, 1987

Thomas Struth: The Hirose Family, Hiroshima, 1987
© 2010 Thomas Struth / courtesy Schirmer/Mosel

 
 
Foto Thomas Struth: Jianghan Lu, Wuhan, 1995

Thomas Struth: Jianghan Lu, Wuhan, 1995
© 2010 Thomas Struth / courtesy Schirmer/Mosel

 
Struths Bilder – darin liegt ihre Provokation – erweitern den Kunstbegriff, weil der Fotograf niemals den „ungewöhnlichen“ Blick sucht. Kritiker werfen ihm immer wieder Beliebigkeit vor, doch auch in diesem Fall gilt: Man muss die präzisen Großformate im Original gesehen haben, um hier zu urteilen. Die Ausstellung in Düsseldorf gibt jetzt Gelegenheit dazu.

(Marc Peschke)
 
 
Ausstellung:
Thomas Struth – Fotografien 1978 bis 2010
26. Februar bis 19. Juni 2011
Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen
Grabbeplatz 5
D – 40217 Düsseldorf

Titel Thomas Struth - Fotografien 1978 – 2010

Weitere Stationen:
Whitechapel Gallery, London: 6. Juli – 16. September 2011
Museu de Serralves, Museu de Arte Contemporânea, Porto: 14. Oktober 2011 – 29. Januar 2012

Buch:
Thomas Struth – Fotografien 1978-2010 (bei amazon.de)
Mit Texten von Armin Zweite, Anette Kruszynski, James Lingwood, Ruth HaCohen & Yaron Ezrahi und Tobia Bezzola
Schirmer/Mosel Verlag
248 Seiten, 330 Abbildungen in Farbe und Duotone
ISBN 978-3-8296-0463-5
Ladenpreis € 58.-; sFr. 95.-; € (A) 59,70