Foto Ré Soupault: Abreise der Pilger nach Mekka, Tunis 1939„Dass ich mit meinen paar Bildern noch so berühmt werde, kann ich nicht glauben“, soll Ré Soupault gesagt haben. Ganz am Ende ihres Lebens, als sie, weit über achtzig Jahre alt, schließlich doch noch vom Erfolg als Fotografin eingeholt wurde. Lange waren ihre Bilder vergessen

… natürlich – denn selbst die Fotografin dachte kaum noch an ihr Werk. Ein Werk, das ein halbes Jahrhundert zuvor entstanden war: Etwa 1500 Negative, aufbewahrt in einem Karton, in einer Wohnung im 16. Pariser Arrondissement. Als Entdecker dieses fulminanten Werkes gilt heute der Verleger Manfred Metzner, den die 1996 verstorbene Soupault in jenen Schuhkarton blicken ließ. Doch erzählen wir die wundersame Geschichte besser von Anfang an: Ré Soupault wurde als Meta Erna Niemeyer im Jahr 1901 in Bublitz in Ostpommern geboren. Seit 1919 studierte sie am Weimarer Bauhaus. Ihre Lehrer waren Walter Gropius und der Schweizer Maler und Kunstpädagoge Johannes Itten – vor allem beschäftigte sie sich mit Textilgestaltung.
 

Foto Ré Soupault: Selbstporträt, Tunis 1939

Ré Soupault: Selbstporträt, Tunis 1939
© 2011 Nachlass Ré Soupault / VG Bild-Kunst Bonn

 
 
Foto Ré Soupault: Hochzeit, Paris, 1934

Ré Soupault: Hochzeit, Paris, 1934
© 2011 Nachlass Ré Soupault / VG Bild-Kunst Bonn

 
Bald wurde ihr Weimar zu klein. Niemeyer ging nach Berlin, wo sie 1925 gemeinsam mit dem schwedischen Experimental-Filmer Viking Eggeling den Film „Diagonal Symphonie“ schuf und bald danach den Dadaisten, Maler und Filmemacher Hans Richter heiratete. Sie arbeitete als Modezeichnerin und (unter einem Pseudonym) auch als Sport- und Modejournalistin. 1929 ging sie nach Paris, war mit Man Ray und Fernand Léger befreundet, eröffnete den Modesalon „Ré Sport“, um schließlich die Reisereportagen ihres zweiten Mannes Philippe Soupault – Romanautor und Mitglied der surrealistischen Gruppe um André Breton – fotografisch zu illustrieren.
 

Foto Ré Soupault: Streikende, Paris 1936

Ré Soupault: Streikende, Paris 1936
© 2011 Nachlass Ré Soupault / VG Bild-Kunst Bonn

 
 
Foto Ré Soupault: Abreise der Pilger nach Mekka, Tunis 1939

Ré Soupault: Abreise der Pilger nach Mekka, Tunis 1939
© 2011 Nachlass Ré Soupault / VG Bild-Kunst Bonn

 
Das glamouröse Künstlerpaar reiste um die Welt, lebte seit 1938 in Tunesien. 1940 fotografierte Soupault Pilger in Tunis bei ihrer Abreise nach Mekka. Ein sehr strenges Werk, das nur die in weiße Laken gehüllten Pilger vor der Weite des Himmels zeigt. Später arbeitete Soupault als Übersetzerin und produzierte Radiosendungen. Alles, was Soupault anfing, gelang ihr – doch zählte für sie nicht viel. Sie war eine Frau, deren Leben Wandel war, immerwährender Aufbruch zu Neuem.

Soupaults fotografisches Werk, das zwischen 1934 und 1952 auf Reisen in Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Schweden, Norwegen, Finnland, den USA und Tunesien mit einer 6×6- und 4×4-Rolleiflex-Kamera und einer Leica entstand, ist von enormer Vielfalt. Da gibt es etwa die vollendet komponierten Arbeiten aus dem „Quartier résérvé“, dem „verbotenen Viertel“ von Tunis, würdevolle Bilder aus einer Tabu-Zone: Soupault zeigt hier, wirklichkeitsgetreu und sozial couragiert, verstoßene, rechtlose Frauen vor ihren ärmlichen Häusern, die sich ihren Lebensunterhalt nur durch Betteln oder Prostitution verdienen können.
 

Foto Ré Soupault: Quartier résérvé, 1939

Ré Soupault: Quartier résérvé, 1939
© 2011 Nachlass Ré Soupault / VG Bild-Kunst Bonn

 
1942 floh das Paar vor den heranrückenden deutschen Soldaten nach New York. Nach dem Krieg studierte Soupault – Meisterin der Verwandlung, die Neuanfänge und Aufbrüche liebte – Philosophie bei Karl Jaspers in Basel, bereiste im Jahr 1950 im Auftrag verschiedener französischer und Schweizer Zeitungen Deutschland, wo sie in der Nähe des Starnberger Sees ein Flüchtlingslager fotografierte. Später begann sie, als Übersetzerin zu arbeiten, um nach Jahren der Trennung ab Mitte der fünfziger Jahre gemeinsam mit ihrem Mann wieder in Paris zu leben.

Wenn die 1996 in Paris verstorbene Künstlerin einmal sagte, „Ich blieb nicht indifferent beim Fotografieren. Ich war beteiligt … Ich habe nie eine Aufnahme gestellt. Alles, was ich fotografiert habe, kam direkt aus dem Leben“, dann kann das als ihr fotografisches Prinzip gelten.

Nach der großen, 2007 im Berliner Martin-Gropius-Bau gezeigten Retrospektive ist ab Februar die Schau „Ré Soupault – Künstlerin im Zentrum der Avantgarde“ in der Kunsthalle Mannheim zu sehen. Ein besonderer Höhepunkt der Ausstellung sind wiederentdeckte und bislang unveröffentlichte Fotografien von Man Ray, die dieser von Soupault aufgenommen hat – dazu Werke befreundeter Künstler wie Henri Cartier-Bresson, Sonia Delaunay, Gisèle Freund, Werner Graeff, Florence Henri, Johannes Itten, Germaine Krull, Lucia Moholy und Umbo.

(Marc Peschke)
 
 
Ausstellung:
Ré Soupault – Künstlerin im Zentrum der Avantgarde
13. Februar 2011 bis 8. Mai 2011

Kunsthalle Mannheim
Friedrichsplatz 4
D-68165 Mannheim

Öffnungszeiten
Di–So & Feiertage 11.00–18.00 Uhr
Mi 18.00–20.00 Uhr (Eintritt frei!)
Mo geschlossen

Katalog:
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog im Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg, mit Texten von Peter Bär, Inge Herold, Karoline Hille, Manfred Metzner und Ré Soupault.
ISBN: 978-3-88423-363-4
Preis: 29,80 €