Im vergangenen Monat beschäftigten wir uns auf diesen Seiten mit dem Begriff der „Sehnsucht“. Diesmal soll ein anderer, nicht weniger abstrakter Begriff im Zentrum der Betrachtung stehen – nämlich jener der „Geschichte“. Wir stellen Fotobücher und eine Ausstellungen in Aarhus vor … und stöbern bei ebay nach Fotokunst:

Nicht mehr ganz „Foto-Frisch“, doch so gut, dass wir es Ihnen trotzdem ans Herz legen wollen, ist das Fotobuch über die Hildesheimer Kult-Disco „be bop“, das bereits in einer zweiten Auflage erschienen ist. Wer nicht in und um Hildesheim groß geworden ist, wird die Diskothek, Musik-Club und Teestube auf der Wilhelmshöhe, am Stadtrand von Hildesheim, womöglich nicht kennen – was diese Publikation aber kaum weniger spannend macht.
 

Foto Brigitte und Hans-Jürgen Tast

 
Die Fotografen Brigitte Tast und Hans-Jürgen Tast – damals Filmstudenten an der Braunschweiger Kunsthochschule und eng mit den Machern des Clubs befreundet – waren von Anfang an dabei, halfen bei der Gestaltung des Programms und haben nun ihr fotografisches Archiv durchforstet: Gefunden haben sie Bilder, die bei den vielen Konzerten im „be bop“ in den siebziger und achtziger Jahren entstanden sind. Schwarzweiß-Bilder von magischen Momenten, die sie zusammen mit Erinnerungstexten von Gästen und Musikern zu einer Collage geformt haben, die von herausfordernder Intensität ist.

Was das Buch zu etwas Besonderem macht, ist das starke Gefühl beim Betrachten, hier tatsächlich Einblick in die spannendste, wichtigste Lebenszeit der Beteiligten zu gewinnen: Die Diskothek, die Konzertbühne zeigt sich hier als utopischer Ort, als ein aufregendes Versprechen. Ein Raum, weit über der Stadt, 1976 ins Leben gepustet, an dem vieles passieren kann, der sich stetig verändert – und der die veränderte, die hier waren.
 

Foto Brigitte und Hans-Jürgen Tast
 
 
Foto Brigitte und Hans-Jürgen Tast

 
Man blättert fasziniert in dem Band. Erkennt manche damals bekannte Bands und Musiker, die hier zu Gast waren, wie den Holländer Herman Brood, The Nits, Mythen in Tüten, Neonbabies oder Unknown Gender. Noch packender aber sind die Bilder der unbekannten Gäste: Bilder einer Jugend, die dabei war, sich neu zu erfinden, irgendwo zwischen allen Stühlen, zwischen Punk, New Wave, Rock und Ökologiebewegung, doch vereint in dem Gedanken, dass eine andere Welt möglich sein könnte. Der nun vorliegende zweite Band – zwischenzeitlich gab es auch eine Ausstellung im Hildesheimer Stadtmuseum – präsentiert eine Auswahl weiterer fotografischer Fundstücke und persönlicher Erinnerungen.

In der Geschichte der Fotografie und des Films gibt es viele interessante Überschneidungen. Interessant sind etwa künstlerische Fotofilme, denen nun erstmals ein Buch gewidmet wurde. Oft ist es der Gegensatz von Bewegung und Konzentration, der Künstler reizt, Fotofilme zu gestalten. Der Band „Viva Fotofilm – Bewegt/unbewegt“ stellt neue Arbeiten vor, aber auch klassische Fotofilme wie etwa „La Jetée“ von Chris Marker aus dem Jahr 1962 – ein Science-Fiction, der aus überblendeten Fotografien besteht. Alain Resnais erzählte im Jahr 1948 Van Goghs Leben ausschließlich mit dem Abfilmen seiner Gemälde, genauer: mit Schwarzweißfotografien seiner Gemälde.
 

Doppelseite aus „Viva Fotofilm - Bewegt/unbewegt“

 
Der Band versammelt Gespräche, Bilder und Texte aus und über aktuelle und historische Fotofilme und thematisiert auf sehr spannende und komplexe Weise Verbindungen und Schnittstellen der Medien, die eigentlich so unterschiedlich sind: Fotografie ist Dokument, Film beflügelt die Phantasie durch die Schönheit bewegter Bilder. Im Fotofilm vereinigen sich die beiden Medien zu etwas Neuem wie Siegfried Zielinski schreibt: „Es geht hier um die Öffnung eines Spielraums und die Gestaltbarkeit von Leben. Im künstlerischen Sinne kann man das als ‚gestaltbarer Raum‘, als Zeitraum denken. Das zeichnet den Fotofilm in einer besonderen Weise aus: Dieser Potencial Space, also der mögliche Raum zwischen den Bildern, wird im Fotofilm zelebriert und bekommt eine Entfaltungsmöglichkeit.“ Ein spannendes Buch für alle, die sich für Themen wie Experimentalkino, Foto-Avantgarde, Intermedialität und Medienkunst interessieren.
 

Fotos Wiebke Grösch und Frank Metzger; Tabourbad

 
Eine ganz besondere Geschichte beleuchtet der bei „Revolver Books“ erschienene Band „Tambourbad“ von Wiebke Grösch und Frank Metzger. Das Frankfurter Künstlerduo – das sich immer wieder Themen der Architektur und des Urbanismus widmet – dokumentiert in dem Buch das 1994 geschlossene Offenbacher Schwimmbad auf dem Gelände zwischen Bieberer Straße und Heusenstammer Weg: ein Ort, der seit Jahren weitestgehend sich selbst überlassen war. Die Fotoserie zeigt, wie die Natur ihre eigene Geschichte schafft, wie nach und nach ein morbider, wildromantischer Ort entsteht. „Das Zusammenfließen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bildet das grundlegende Motiv der Buchs“ schreibt der Verlag.
 

Foto Walter Niedermayr: Asr Abad, Iran 193, 2008

Walter Niedermayr: Asr Abad, Iran 193, 2008
 
 
Foto Walter Niedermayr: Isfahan, Iran 159, 2008

Walter Niedermayr: Isfahan, Iran 159, 2008
 
 
Foto Walter Niedermayr: Naqsh e Rostam, Iran 133, 2006

Walter Niedermayr: Naqsh e Rostam, Iran 133, 2006

 
Eine der markantesten fotokünstlerischen Positionen der vergangenen Jahre ist jene von Walter Niedermayr. Seine in der Farbigkeit stark zurückgenommenen alpinen Landschaften, die Serie „Die Bleichen Berge“ etwa, wurden international bekannt. Das neue Buch „Recollection“, erschienen bei Hatje Cantz, zeigt neue Arbeiten des 1952 in Bozen geborenen Fotokünstlers, die zwischen 2005 und 2008 in Teheran entstanden sind: Bilder zeitgenössischer iranischer Architektur, die Niedermayr in ihrem historischen Kontext vorstellt.
 

Foto Trine Søndergaard und Nicolai Howalt: Kromans Remise II, 2005

Trine Søndergaard und Nicolai Howalt: Kromans Remise II, 2005
 
 
Foto Trine Søndergaard und Nicolai Howalt: De Sorte Huller II, 2007

Trine Søndergaard und Nicolai Howalt: De Sorte Huller II, 2007

 
Fotokunst und Jagd – das ist eine nicht eben alltägliche Kombination. In dem Buch „How to hunt“ versammeln Trine Søndergaard und Nicolai Howalt Bilder zwischen Dokumentation und Kunst, die Einblicke in das Ritual der Jagd gewähren. Der Band der beiden Dänen ist ungewöhnlich, weil er die Beziehung zwischen Tier, Mensch und Natur auf schlichte, aber neuartige Weise vor Augen führt: Bilder in einem Grenzbereich zwischen Dokumentation und Kunst. Die Serie ist noch bis zum 6. März im Aarhus Kunstmuseum in Dänemark zu sehen.

Am Ende von Foto-Frisch steht eine Empfehlung, Fotokunst käuflich zu erwerben. Man kann in Onlinegalerien fündig werden, bei Fotokunst-Galerien, auf Kunstmessen, in Auktionshäusern, bei Kunsthändlern – oder auch in den Ateliers der Künstler selbst. Wir möchten Ihnen in Zukunft Arbeiten vorstellen, die wir für sammlungswürdig halten – angeboten von seriösen Galerien oder Händlern.
 

Foto Rafael Neff: Senator Rattapante I (Glashütte Original)

 
In diesem Monat gehen wir einmal im weltbekannten Internet-Auktionshaus auf die Suche: bei ebay. Geben wir das Stichwort „Fotokunst“ ein (und klicken wir uns durch jede Menge nackter und halbnackter Frauen am Strand), dann finden wir bisweilen Erstaunliches. Unser Favorit heute: eine kleine, bei Lumas erschienene Fotoarbeit von Rafael Neff. Die kreisrunde, signierte Arbeit „Senator Rattapante I (Glashütte Original)“ mit einem Durchmesser von etwa 14 cm, die Nahaufnahme eines Uhrwerks, ist 2009 als „Open Edition“ bei Lumas erschienen – und wurde kürzlich für erschwingliche 14,09 Euro versteigert. Diese schöne kleine Arbeit taucht immer wieder bei ebay auf – ein Kauftipp für den kleinen Geldbeutel.

(Marc Peschke)