Die Kölner Fotokünstlerin Melanie Wiora arbeitet in ihren Serien oft gegen die fotografische Realität. In den vergangenen Jahren sind Porträts entstanden, Spiegelungen in den eigenen Augen und jüngst auch erstaunliche Naturbilder. Wir stellen Melanie Wioras Fotokunst anlässlich von zwei aktuellen Ausstellungen in München und Künzelsau vor:
Die Augen sind das unmittelbarste Körperorgan des Menschen, das Tor zur Seele, wie man sagt. Das Medium Fotografie hingegen steht gemeinhin eher für eine objektive Sicht der Welt. Aus diesem Widerspruch lebt die Fotoserie „Personal Reflections“ von Melanie Wiora und sie zieht auch ihren Reiz daraus. Die eigenen Augen wurden im Augenblick des Sehens mit einer Digitalkamera aufgenommen. Dabei belichtete Wiora die verzerrten Spiegelungen auf Pupille und Iris, deren Farben sich mit dem Gesehenen im Bild vermischen.
Melanie Wiora: Personal Reflection 2
Melanie Wiora: Personal Reflection 3
Der Betrachter der Fotografien sieht die Welt durch die Augen Melanie Wioras, doch er sieht sie auch in den Augen der Künstlerin. Er sieht Menschen auf Plätzen. Menschen auf Rolltreppen, Brücken und vor Hochhäusern innerstädtische, urbane Alltagssituationen. Oft ragen die Wimpern der Fotografin von oben ins Bild, wie schwarze Dornen, die Übergangspunkte zwischen Außen und Innen markieren. Melanie Wioras „Personal Reflections“ sind wie ein Echolot im Ozean: horchen die Tiefen des Alltags aus. Verdichtete, zeitlose Erinnerungsbilder unserer Umwelt.
„Mich interessiert es, Bilder zu schaffen, die beim Anschauen Innensichten vermitteln“, sagt Melanie Wiora über ihre Fotografien, die kein deutliches Bild mehr fixieren: Die Fotografie hat ihren abbildenden Charakter verloren, doch reicht sie auch nachdrücklich „Über den Moment hinaus“, wie Wiora einmal eine Ausstellung nannte. „In meinen Fotoarbeiten setze ich die äußere Erscheinung einer inneren Sicht gegenüber. Ich möchte sie als Abbilder abgebildete Bilder erkennbar machen. Ich beziehe in meine Bilder mit ein, dass es mehrere mögliche Wirklichkeiten gibt, die je nach Erinnerungen und Erfahrungen der Betrachter mitbestimmt werden. Der Betrachter ist immer Teil des Bildes. Er ist bildschaffend. Er schafft sich sein eigenes Bild, das aus dem gesehenen Bild hervorgeht.“
Melanie Wiora: Esther
Aus der Serie „Anwesend Abwesend“
Die großformatigen Lambda-Prints beschreiben verschwommen-surreale Zwischenzustände und stehen damit stellvertretend für das Gesamtwerk der Künstlerin, das etwa auch die Porträt-Serie „Anwesend Abwesend“ umfasst. Auch hier erscheint alles reduziert und intensiviert gleichzeitig. Auch hier zeigt Wiora einen Zwischenzustand: Nie anwesend, doch auch nie ganz fort blicken die Personen den Betrachter an.
Auch die Portraits der Serie „Außen ist in mir“ lösen sich vom abbildenden Charakter des Fotografischen. Anschnitte von Gesichtern gibt es hier zu sehen, vor angedeuteter Stadtlandschaft, ins Bild gesetzt mit jenem für Melanie Wiora typischen fotografischen Effekt partieller Unschärfe. Eine digital realisierte Soft-Verzerrung des Tatsächlichen, eine Abschleifung der Realität, ein Impuls, der dem Porträt die Krücke des vorgeblich Authentischen abnimmt: Wioras Fotografien erheben schon in formaler Hinsicht nicht den Anspruch, die Wirklichkeit zu dokumentieren.
Melanie Wiora: Farideh
Aus der Serie „Außen ist in mir“
Melanie Wiora: Jan
Aus der Serie „Außen ist in mir“
„Durch die Bearbeitung und die Farbigkeit der Bilder möchte ich eine intensivierte Sicht der Wirklichkeit darstellen, die psychische Zustände und das Unterbewusste mit einschließt“, sagt Wiora, deren Bilder von so zarter Schönheit sind, dass man ihre dunkle Kehrseite leicht übersehen könnte: Ihre fotografischen Porträts erzählen uns nichts über ihre Protagonisten, die Bilder verweigern sich, weil sich ihre Akteure im Innern verpuppt haben.
Vielleicht ist es wichtig zu wissen, dass Melanie Wiora ihre Wurzeln in der Malerei hat und an der Karlsruher Kunstakademie bei dem Bildhauer Stephan Balkenhol und der Zeichnerin Silvia Bächli studierte. Danach hat sie an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe unter anderem bei dem Performancekünstler und Fotografen Uwe Laysiepen einen Neuanfang in der Medienkunst vollbracht, der die Spuren ihrer malerischen Vergangenheit aufnimmt.
Auch in ihrer neuesten Serie „Natura“ sind die Bilder geheimnisvoll aufgeladen. Hier zeigt Wiora die Urgewalten der Natur: Gischt, Wellen, Wasser, Nebel archaische Naturphänomene. „In ‘Natura’ thematisiere ich unsere Bilder von der Natur und hinterfrage sie. Die Landschaften sollen nicht durch bloßes Abgleichen mit eigenen Erinnerungen und Erfahrungen vereinnahmt und zu eigen gemacht werden können. Ich versuche dem Vertrauten, Bilder gegenüberzustellen, die über die Abbildung der äußeren Erscheinung hinausgehen. Sie sollen den Charakter und das Wesen des Dargestellten, die Natur der Natur verdeutlichen.“
Melanie Wiora: Natura I
Mal überwältigen die Bilder in ihrer Übermacht, dann verwirren sie in ihrer Unschärfe, ihrer Abstraktion, ihrer technischen Verfremdung. „So dramatisch die Situation in jedem einzelnen Bild erscheint, so wenig bestimmt ist ihr Ort und der Standpunkt der Aufnahme“, schreibt Rolf Sachsse über diese neuen Arbeiten. „Wo die Wellen schäumen, wo die Geysire sprühen, wo die Horizontlinie aus Wasser, Nebel und Wolken unbestimmbar wird, sagt Melanie Wiora nicht.“ Jetzt sind ihre Arbeiten in zwei Ausstellungen in München und in Künzelsau zu sehen.
(Marc Peschke)
Melanie Wiora: Natura XII
Biografie
Melanie Wiora, 1969 in Waiblingen geboren, studierte von 1990 bis 1996 an der Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe bei Stephan Balkenhol und Silvia Bächli, 2001 bis 2002 schloss sie ein Aufbaustudium Medienkunst an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe bei Prof. Ulay an. Heute lebt und arbeitet sie in Köln. Melanie Wiora hat zahlreiche Stipendien und Förderpreise erhalten. www.melaniewiora.de
Aktuelle Ausstellungen:
Galerie Christa Burger
Theresienstr. 19
80333 München
Bis 8. Januar 2011
Hohenloher Kunstverein
Galerie am Kocher Künzelsau
Hauptstr. 87
15. Januar bis 27. Februar 2011
Katalog:
Melanie Wiora
Natura (bei amazon.de)
Revolver Verlag
Broschiert. Deutsch/Englisch. 28 Seiten
Berlin 2010
ISBN 978-3-86895-107-3
12 Euro
Nachtrag (23.12.2010; 19:29 Uhr): Einige Bildunterschriften ergänzt.
Fotokunst ist…
… wenn es nicht nach Foto aussieht… *g*
Hübsche (dunkel-)rote Augen da oben, im Portrait.
MfG und FF (Frohes Fest)
Das Foto an sich…
…ist nicht ausschlaggebend. Die Kunst ist es, eine herzzerreißende Story zu mittelmäßigen Bilder zu liefern.
Ich habe
noch eine gaaaanz alte Kodak mit 3MP und Fixobjektiv, die konnte auch solch Bilder produzieren wie die ersten beiden. Hui, gruselig! Im Umkehrschluss ist jeder ein Künstler!
Ja
[quote=Hififan]noch eine gaaaanz alte Kodak mit 3MP und Fixobjektiv, die konnte auch solch Bilder produzieren wie die ersten beiden. Hui, gruselig! Im Umkehrschluss ist jeder ein Künstler![/quote]
eh. Schlag nach bei Beuys. 😎
Ja, auch Sie sind ein Künstler.
Wenn Sie nur das Objektiv mit vor der Aufnahme von einem Rind ablecken lassen und hinterher erklären können, warum es ein Rind sein musste. Oder noch besser, lecken Sie das Objektiv selber ab.
Männers, es ist aus Euch nicht rauszukriegen: 1. Kunst gibt es nicht. 2. Wenn es Kunst doch gäbe, dann wäre es rein eine Frage der Aufnahmetechnik.
Durch aufmerksame Lektüre
der Weltliteratur (Thomas Mann – Felix Krull) habe ich gelernt, dass es nicht unbedingt das gleiche ist, wenn zwei das selbe tun. Könnte es sein, dass die Künstlerin Wiora eine andere Ernsthaftigkeit hat als der Internetgrantler Hfifi? Könnte es auch sein, dass man das auf den Bildern sehen würde?
Kann es sein
das jeder mal mürrisch ist? Und muß ich jetzt ausdrücklich mitteilen das mir der Rest der Bilder gefällt ich jetzt aber keinen Nerv habe mich mit diesen zu beschäftigen?
Hurz
Ich finde Kunst kommt auch von können
In richtiger Kunst sieht man die Anstrengung und Mühe aber auch die Leichtigkeit.
Hier hat jemand versucht etwas neues anderes zu schaffen.
Erstaunlich was dabei herrausgekommen ist. Die Natur ist für mich der größte Künstler. Dann sehe ich die Bilder aus der Reihe Natura und bin nur noch sprachlos was ist das für eine Fotografin.Ich habe mir dann weitere Bilder auf der Webseite der Fotografin angesehen.
Mir tut diese Frau sehr leid was muß sie für Qualen erleiden. Ich hoffe es wird alles gut für sie.
lg georg von kaisenling
Qualen.
Ich habe mir auch die Seite von der Künstlerin angesehen und nichts gefunden, weshalb ich mir Sorgen um sie machen müsste. Langlebig und glücklich sind die, die einen Ausdruck oder ein Ventil für ihre Abgründe gefunden haben. Der fröhliche Roy Black ist derjenige, den es irgendwann ganz anders erwischt.