Foto Mark Morrisroe: Untitled, 1987Mark Morrisroe war lange Zeit einer der Vergessenen der jüngeren Kunstfotografie. Jetzt zeigt eine Retrospektive im Fotomuseum Winterthur seine Arbeiten – ein Werk von heftiger Momenthaftigkeit:

 
 
 
 
 

Foto Mark Morrisroe: Blow Both of Us, Gail Thacker and Me, Summer 1978, 1986

Mark Morrisroe: Blow Both of Us, Gail Thacker and Me, Summer 1978, 1986
C-Print von Sandwich-Negativ, bearbeitet mit Retuschefarben und Marker, 40,5×40,5 cm
© Nachlass Mark Morrisroe (Sammlung Ringier) im Fotomuseum Winterthur

 
Manchmal ist Fotografie wie ein guter Song: adäquater Ausdruck einer Zeit, eines Lebensgefühls, einer Epoche, besser noch: einer Sekunde des Lebens. Solche Sekunden in Bilder zu gießen hat die amerikanische Fotografie immer wieder vermocht. Einer jener Fotokünstler, dessen Werk nicht von Zeitlosigkeit, sondern im Gegenteil von heftiger Momenthaftigkeit lebt, war Mark Morrisroe. Der Bostoner hatte nicht viele Jahre, um ein Werk zu entfalten. Nur 30 wurde er, starb 1989 an den Folgen von Aids.

Morrisroe, der bis 1982 an der School of the Museum of Fine Arts in Boston studiert hatte, ist bis heute in Europa wenig – und wenn, dann nur als Freund Nan Goldins und David Arnstrongs bekannt. Deshalb ist die nun im Fotomuseum Winterthur präsentierte erste Retrospektive auch so bedeutsam: die Schau mit Exponaten der Sammlung Ringier stellt den Fotografen erstmals zur Gänze vor. Im Zentrum des fotografischen Werks Morrisroes stehen Porträts und Aktaufnahmen, Farbabzüge und Polaroids. Bilder, die sich beinahe ausschließlich dem engsten Freundeskreis des Künstlers widmen.

Das verbindet Morrisroe mit der intimen Tagebuch-Fotografie Nan Goldins: der Wille, das engste Umfeld fotografisch in Szene zu setzen. Das waren wilde Jahre in Boston und später in New York: das Nachtleben in den Punk-Clubs und Nachbars, exzentrisch – und Morrisroe mittendrin. Ein lauter Selbstinszenierer – einer, der gerne im Mittelpunkt stand. Morrisroe blieben nur wenige Jahre, fast glaubt man, er hätte es schon vorher gewusst, so produktiv nutzte er die Zeit. Er fotografierte die Freunde, Lynelle White, seine Liebe Jonathan Pierson, doch auch sich selbst: den Zerfall des eigenen Körpers.
 

Foto Mark Morrisroe: Untitled, ca. 1981

Mark Morrisroe: Untitled, ca. 1981
Gummidruck, 63,2×53,2 cm
© Nachlass Mark Morrisroe (Sammlung Ringier) im Fotomuseum Winterthur

 
 
Foto Mark Morrisroe: After the Laone (In the Home of a London Rubber Fetishist, Dec 82), 1982

Mark Morrisroe: After the Laone (In the Home of a London Rubber Fetishist, Dec 82), 1982
C-Print von Sandwich-Negativ, bearbeitet mit Retuschefarben und Marker, 39,5×50,6 cm
© Nachlass Mark Morrisroe (Sammlung Ringier) im Fotomuseum Winterthur

 
Morrisroes Werk ist nicht homogen: Während seiner letzten Lebensjahre zieht er sich mehr und mehr in die Dunkelkammer zurück – und erarbeitet hier eine besondere Sandwich-Technik: Vergrößerungen von übereinander montierten Doppelnegativen des gleichen Sujets. Mark Morrisroe war in der Fotografie wie im Leben ein lustvoll, rastlos Suchender – und das im besten Sinn: Immer neuen Experimenten zugetan begriff er die Fotografie nicht als Suche nach einem perfekten Zustand, wie die Ausstellung anhand von Farbabzügen, Fotogrammen, Silbergelatine-Abzügen, Polaroids und Vergrößerungen von Polaroid-Negativen zeigt – die oft zusätzlich noch mit Retusche-Farben und Markern koloriert und beschriftet wurden.

Noch im Krankenhaus richtete sich Morrisroe eine Dunkelkammer ein, produzierte fieberhaft; immer auf der Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten. Mark Morrisroe war Performer, Punk-Künstler wie Fotograf in der Tradition des Piktoralismus, der in aufwändiger Laborarbeit fotografische Unikate herstellte. Er hinterließ ein intimes, verstörendes Werk, das man jetzt in Winterthur endlich entdecken kann.

(Marc Peschke)
 
 

Foto Mark Morrisroe: La Môme Piaf [Pat and Thierry], 1982

Mark Morrisroe: La Môme Piaf [Pat and Thierry], 1982
C-Print von Sandwich-Negativ, bearbeitet mit Retuschefarben und Marker, 50,7×40,5 cm
© Nachlass Mark Morrisroe (Sammlung Ringier) im Fotomuseum Winterthur

 
 
Foto Mark Morrisroe: Dried Arrangement, 1986

Mark Morrisroe: Dried Arrangement, 1986
C-Print von Sandwich-Negativ, bearbeitet mit Retuschefarben und Marker, 48,4×31,6 cm
© Nachlass Mark Morrisroe (Sammlung Ringier) im Fotomuseum Winterthur

 
 
Foto Mark Morrisroe: Untitled, ca. 1988

Mark Morrisroe: Untitled, ca. 1988
C-Print von Sandwich-Negativ, 50,7×40,5 cm
© Nachlass Mark Morrisroe (Sammlung Ringier) im Fotomuseum Winterthur

 
Mark Morrisroe. Retrospektive
Fotomuseum Winterthur
27.11.2010 bis 13.2.2011
Grüzenstrasse 44
8400 Winterthur

Dienstag bis Sonntag 11 bis 18 Uhr, Mittwoch 11 bis 20 Uhr

Zur Ausstellung erscheint eine umfangreiche Monografie im JRP-Ringier Verlag. 45 Euro
 

Foto Mark Morrisroe: Untitled, 1987

Mark Morrisroe: Untitled, 1987
Silbergelatine-Abzug, Fotogramm von Drucksache, 50,4×40,3 cm
© Nachlass Mark Morrisroe (Sammlung Ringier) im Fotomuseum Winterthur

 
 
Foto Mark Morrisroe: Untitled [Self-Portrait], ca. 1989

Mark Morrisroe: Untitled [Self-Portrait], ca. 1989
T-665 Polaroid, 10,7×8,5 cm
© Nachlass Mark Morrisroe (Sammlung Ringier) im Fotomuseum Winterthur