Neue Bücher von Thomas Struth und Jeff Wall sowie die Wiederentdeckung von Heinrich Kühn sind die Top-Foto-Frisch-Themen dieses Monats. Dazu einige weitere Fotobücher und Ausstellungen in Zürich, Paris, Dresden und Rotterdam, deren Besuch wir Ihnen wärmstens empfehlen möchten:
Thomas Struth: Tokamak Asdex Upgrade Interior 2 Max Planck IPP, Garching 2009
Thomas Struth: Audience 7, Florence, 2004
Eine Übersicht über beinahe 30 Jahre Fotografie von Thomas Struth bietet der Band „Fotografien 1978-2010“. Struth, bekanntermaßen einer der ganz großen Stars der deutschen Fotokunst, zeigt hier seine bekannten Werkgruppen der Straßen, Familienportraits, Museumsbilder und Naturstudien. Das Buch mit Texten von Tobias Bezzola, James Lingwood, Annette Kruzynski und Armin Zweite begleitet Ausstellungen in Zürich, Düsseldorf, London und Porto.
Heinrich Kühn: Rückenakt, um 1920
Heinrich Kühn: Hans und Edeltrude, 1912/1913
Lange Jahre beinahe vergessen war der Piktoralist Heinrich Kühn. Das Buch „Die vollkommene Fotografie“ stellt den 1866 geborenen Fotografen jetzt in farbenprächtigen Bildern vor: bisweilen sehr modern anmutende Fotografien, die virtuos die Bildschärfe auflösen und damit Strategien der Digitalfotografie des frühen 21. Jahrhunderts vorwegnehmen. Das Ergebnis: augenfällig zeitlose Gummidrucke, Zwitter zwischen Malerei und Fotografie. Ein multimediales Werk, würde man heute sagen. Man muss ein bisschen weiter fahren, um sich die Arbeiten im Original anzuschauen: Das Musée de l’Orangerie in Paris zeigt Kühns Werk vom 19. Oktober bis 23. Januar, das Museum of Fine Arts in Houston vom 6. März bis zum 30. Mai 2011. (Siehe auch: Heinrich Kühn – Die vollkommene Fotografie.)
Jeff Wall: Odradek, Táboritská 8, Prague,
18 July 1994 (1994), Großbilddia in Leuchtkasten
Jeff Wall: Search of premises (2008), LightJet print
Noch ein weiterer Großmeister der Fotokunst legt in diesem Monat sein neues Buch vor: der Kanadier Jeff Wall. Der bei Schirmer/Mosel erschienene Band „Transit“ zeigt ältere und neue Arbeiten des „Erfinders“ der Farbdias in großformatigen Leuchtkästen Bilder, die im gleichen Maße nüchtern wie geheimnisvoll wirken. Der Band begleitet eine Ausstellung in der Kunsthalle im Lipsiusbau der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, die bis zum 19. September zu sehen ist. „Nicht das Außergewöhnliche und Auffällige interessiert ihn“, schreibt der Verlag, „sondern das, was alltäglich passiert.“ Seine Bilder irritieren uns, geben Rätsel auf.
Fotos: Klaus Zinser
Rätselhaft auch einige Fotografien, die Klaus Zinser in Peru gemacht hat. Sein Band „Peru“ stellt Arbeiten des 1950 geborenen Freiburger Fotografen vor Bilder, die kaum in einen der üblichen Reiseführer passen würden. Der Zauber Perus ist für Zinser vor allem der Zauber der Anden und ihrer Bevölkerung. Sensibel schildert Zinser die Überlieferungen und Riten der Indígenas. Seine Bilder erzählen von der Macht der Berggötter, von jenem spannenden Synkretismus aus traditionellem Glauben und Katholizismus, der für die Gegenwart Perus noch immer kulturell prägend ist. Wir sehen Frauen beim Teufelsmaskentanz, den Steingarten von Marcahuasi, bestaunen die Bilder der Wallfahrt zur Kapelle von Sinakara am Gletscher Qolquepunco Fotografien, welche die Schönheiten der Landschaft genauso vermitteln, wie die Kargheit und Armut des peruanischen Alltags. Der Band vereinigt Zinsers Fotografien mit Texten der aus Peru stammenden Schriftstellerin Teresa Ruiz Rosas.
Fotos: Roger Eberhard
Von einer anderen Reise berichtet das Buch „Wilted Country“ des jungen Züricher Fotografen Roger Eberhard. Von Reno, Nevada, über Nebraska, Wyoming und bis hinauf nach North Dakota und wieder zurück an die Grenze zu Mexiko ist Eberhard gereist. Seine verschwommenen, verblichenen Bilder zeigen ein Land in Auflösung: Tankstellen, Wassertürme, Häuser, alles in ausgebrannter, bleicher Farbigkeit. Ein Nachruf auf die U.S.A., betörende Bilder.
Röntgenbild: Nick Veasey
Mit fotografischen Abstraktionen spielt auch Nick Veasey (YouTube-Video). Sein Buch „X-Ray Die Schönheit des Verborgenen“ präsentiert seine bekannten Röntgenaufnahmen, geisterhaft-geheimnisvolle Bilder unspektakulärer Dinge, die als Röntgenfotografie ihre besondere Schönheit preisgeben. Kleidungsstücke, Blumen und Früchte etwa oder technische Geräte. Raffiniert ist die Weiterbearbeitung durch den Fotokünstler, der in einer mit Blei ausgekleideten ehemaligen Radarstation in der Nähe Londons arbeitet: Veasey legt bisweilen halbtransparente Bilder der Außenansicht über die Röntgenfotografien manchmal koloriert er seine Aufnahmen. „Ich will ins Innere schauen“, sagt Veasy. „Schauen, wie die Dinge wirklich sind.“ Selten waren sich Wissenschaft und Kunst so nah.
Fotos: Reinier Gerritsen
Und schließlich wollen wir noch ein letztes Buch vorstellen. Für seinen Band „Wall Street Stop“ fotografierte Reinier Gerritsen Menschen in der U-Bahn des New Yorker Bankenviertels zur Hochzeit der Bankenkrise 2009. Das Nederlands Fotomuseum in Rotterdam zeigt noch bis zum 12. September 2010 die Ausstellung.
(Marc Peschke)
Rätselhaft
Der hier vorgestellte neue PERU Bildband von Klaus Zinser scheint ein interessantes Werk zu sein, zumindest das Coverfoto lässt auf Motive schließen, „die kaum in einen der üblichen Reiseführer passen würden“. Nur schade, dass er etwas teuer ist, sonst würde ich ihn mir vielleicht kaufen.
Was aber die beiden Bilder hier sollen verstehe ich nicht, das sind doch vielfach und simpel fotografierte Touristenmotive von Machu Picchu und den Uros am Titicacasee. Ich hoffe nicht, dass diese aus dem Bildband stammen. Oder ist der hier einleitende Satz des Verfassers ironisch zu verstehen: „Rätselhaft auch einige Fotografien, die Klaus Zinser in Peru gemacht hat“.
lgha
“Kunst”
Nicht alles, was der Oeffentlichkeit vom Marketing als “Kunst” angedreht werden soll, ist solche. Wenn ich als Konsument von Kunstprodukten nicht ueberzeugt bin, kaufe ich es eben nicht. So entscheidet der Markt, ob kuenftig mit solcher sogenannter “Kunst” noch Geld zu verdienen ist oder nicht. Und so verhaelt es sich auch mit dem Peru-Baendchen, das Kunst sein will, oder muss.
Meine eigenen Peru-Aufnahmen sind weitaus authentischer als diese hier gezeigten Postkartenknipsereien.