Foto eines Norsigian-FundesEin paar rund 90 Jahre alte Glasnegative, für 45 US-Dollar auf einem Flohmarkt in Fresno gekauft, können ein Sensationsfund und 200 Millionen US-Dollar wert sein – oder auch nicht; je nachdem, ob sie nun tatsächlich von Ansel Adams stammen oder nicht – und abhängig davon, ob das relevant ist – oder nicht:

Porträt Rick Norsigian

Die Meinungen zu den „verlorenen Negativen“ sind geteilt. Der Eigner Rick Norsigian (rechts im Bild), der die 65 Glasnegative im Jahr 2000 für 45 Dollar auf einem Flohmarkt in Fresno erstanden hat, hat viel aufgeboten, die Echtheit zu untermauern und gibt sich nun überzeugt, dass die Glasnegative tatsächlich Ansel Adams zuzuschreiben sind. Während einer Pressekonferenz gestern in der Beverly Hills Galerie von David W. Streets, der jener Experten- bzw. Interessengruppe angehört, die den Wert der Glasnegative auf $200 Mio. beziffert, sollen im Wesentlichen folgende Punkte die Echtheit der Glasplatten belegen (in Klammern die Gegenargumente der Zweifler):

  • Die Umschläge, in denen die Glasnegative aufbewahrt wurden, sind laut zweier Graphologen von Adams‘ Frau Virginia beschriftet worden („meine Großmutter schrieb nicht so fehlerhaft, die Schrift sieht auch nicht aus wie ihre, die ich kenne“).
  • Ein Meteorologe hat nach einem Vergleich von Wolkenformationen, Schneehöhe und Schatten zwischen einem zweifelsfrei echten Adams-Fotos und einem Norsigian-Foto festgestellt, dass die beiden Fotos am selben Tag etwa zur selben Zeit aufgenommen wurden („solche Wolkenformationen gibt es hier während mehrerer Monate im Jahr, der Schnee ist weit weg, und der Baum gehört zu den meistfotografierten der Welt“).
  • Motivwahl und Komposition zeigten den Meister und die Meisterschaft („das ist Ansichtssache“)

 

Norsigian-Fund und Adams-Foto im Vergleich

Links der Norsigian-Fund, rechts das Adams-Original

 

Foto eines Norsigian-Fundes

Äußerst skeptisch, was die Authentizität angeht, sind der Adams-Enkel Matthew Adams, der die Ansel Adams Gallery leitet, sowie William Turnage, der Ansel Adams’ Geschäfte während der letzten 12 Jahre vor dessen Tod 1984 führte und heute als Nachlassverwalter die Verwertung der Adams-Fotos überwacht: Response to July 27, 2010 Article — Experts: Ansel Adams photos found at garage sale worth $200 million.

Sie bezweifeln nicht nur, dass die Aufnahmen tatsächlich von Adams stammen (Turnage hält das Ganze gar für einen ausgemachten Schwindel), sondern führen zudem – wie auch einige führende Adams-Kunsthändler – ein nicht von der Hand zu weisendes Argument ins Feld: Angesichts des 44.000 Fotos umfassenden Adams-Archivs, das im Center for Creative Photography der Universität von Arizona lagert, spiele es kaum eine Rolle, wenn 65 weitere Fotos auftauchten. Zumal Adams-Negative allenfalls die halbe Miete seien. Habe doch Adams das Negativ als Partitur begriffen, die Vergrößerung als die Interpretation – der Abzug also sei das eigentlich Wertvolle, der die Intentionen des Meisters enthalte und zeige.

Unterdessen vermarktet Norsigian Abzüge der vermeintlichen Ansel-Negative: $7.500 kostet ein Silbergelatine-Abzug, $1.500 ein Digitaldruck und $45 ein Poster. Wobei eins feststeht: Die Negative mögen echt und wertvoll sein oder nicht, die Abzüge jedenfalls sind aus Sammlersicht nahezu wertlos. Fehlen doch die Hand des Meisters bei der Erstellung, seine Signatur, sowie eine Limitierung bzw. kleine Auflage. Immerhin: ein Echtheitszertifikat wird mitgeliefert.

Turnage konsultiert derzeit Rechtsanwälte, um zu klären, ob er Norsigian wegen der kommerziellen Nutzung von Ansel Adams‘ Namen verklagen kann und soll.

(thoMas)
 

Nachtrag (30.7.2010): Nachdem sie die Fotos dieser Tage im Fernsehen gesehen hat, ist sich Mariam l. Walton recht sicher, dass sie die Fotos wiedererkannt hat – sie glaubt, die Fotos könnten von ihrem Onkel Earl Brooks im Jahr 1923 aufgenommen worden sein. Andere Brooks-Fotos in ihrem Besitz sind den vermeintlichen Adams-Fotos jedenfalls sehr ähnlich, berichtet KTVU: Photo Mystery: Ansel Adams Or Uncle Earl?.
 

Nachtrag #2 (30.7.2010): Auch Alan Ross, Assistent und Master Printer (*) von Ansel Adams, der auch für den Ansel-Adams-Nachlass arbeitet und eigenen Angaben zufolgte über 35 Jahre hinweg mehr als 90.000 Vergrößerungen von Ansel-Adams-Negativen gemacht hat, bezweifelt fundiert die Echtheit des Norsigian-Fundes. Wir zitieren hier mit seiner freundlichen Erlaubnis Auszüge aus seiner Stellungnahme:

„… betreffend einige Glasnegative, die ein Mr. Norsigian auf einem kalifornischen Flohmarkt gekauft hat und denen er Ansel-Adams-Urheberschaft zuschreibt. Nun nimmt er anscheinend in Anspruch, dass die Glasplatten auf einen Wert von 200.000.000 US-Dollar „beglaubigt“ worden seien. Die Norsigian-Gruppe hat mich Anfang diesen Jahres kontaktiert und ich habe JPEGs von all den Bildern gesehen. Ich glaube nicht, dass sie Arbeiten von Ansel Adams sind.

Die Bilder der Norsigian-Kollektion stammen anscheinend von einem fähigen Fotografen, der in Yosemite, San Francisco und Carmel gearbeitet hat. … Die Aufnahmeorte entsprechen bekannten Adams-Favoriten – andererseits aber waren das meist Aussichtspunkte, wo sich ein offensichtlicher Kamerastandpunkt anbot. Einige Fotos zeigen Yachtmotive in der Buch von San Francisco – in Adams’ Werk ist nichts Vergleichbares bekannt. …

Die Platten zeigen anscheinend Brandspuren. Ja, Ansels Dunkelkammer in Yosemite fing 1937 Feuer und eine Anzahl erstklassiger Negative ging verloren. Für mich ist das die Schwäche, ja der Gegenbeweis, der Urheber-Ansprüche. … Das Feuer war 1937. Eine erkleckliche Anzahl anderer Negative, die vor dem Feuer entstanden sind, wurden oft vergrößert – Pine Branches in Snow etwa fällt mir als ein Beispiel ein. So weit ich Ansel Adams’ Werk kenne und soweit ich es anderswo gehört habe, ist KEIN zertifiziertes AA-Print von IRGENDEINER der Norsigian-Platten bekannt. Wäre das ein gutes Bild – und einige davon sind es – so hätte Ansel NICHT widerstehen können, ein paar Abzüge zu machen – und davon hätten EINIGE entweder in Ansels eigenem Archiv oder in den Sammlungen von Fotografen und Sierra-Club-Freunden überlebt.

Das sind ein paar nette Bilder, aber ich kann nicht glauben, dass es Arbeiten von Ansel Adams sind. Und 200 Millionen Dollar sind _____. Setzen Sie was ein.“
 
 
(*) Im englischsprachigen Raum, namentlich in Amerika, kommt dem „Master Printer“ – dem, der die Negative gekonnt vergrößert – weit größere Bedeutung und Wertschätzung zu als meist hierzulande; es ist ein regelrechter Beruf, und es gibt ausgesprochene Stars der Szene.
 

Nachtrag (9.8.2011): Die beiden Parteien hatten sich noch im Jahr 2010 gegenseitig verklagt; dann aber nach einem Vergleich die Klagen zurückgezogen; ist der Webseite von Rick Norsigian zu entnehmen. Kernpunkt des Vergleichs: Rick Norsigian und PRS Media verpflichten sich, den Namen und die Marke „Ansel Adams“ nicht mehr im Zusammenhang mit Verkauf und Bewerbung besagter Negative, sowie Vergrößerungen, Poster usw. davon, zu benutzen. Womit die Echtheit der „Adams“-Negative als widerlegt gelten kann. Bei Norsigians „verlorenen Negativen“ steht nun folgender Hinweis: „*Merchandise sold through this website, including but not limited to darkroom/digital prints or posters, is sold as is with no representation or warranty of authenticity as a work of Ansel Adams.“ (Waren, die über diese Webseite verkauft werden, inklusive, aber nicht beschränkt auf, Vergrößerungen und Poster, werden „wie gesehen“ verkauft, ohne den Anschein zu erwecken oder eine Garantie dafür zu geben, ein Werk von Ansel Adams zu sein.)