Der amerikanische Fotokonzern Eastman Kodak hat, so macht es den Anschein, den Anschluss an die Marktentwicklung im Digitalzeitalter verpasst. Ob das wirklich so ist, soll ein Blick in die jüngere Vergangenheit zeigen – und dabei den Spagat des „gelben Riesen“ zwischen Abgesang und Hoffnung offenlegen:
Der amerikanische Fotokonzern Eastman Kodak hat seit seiner Gründung im Jahre 1881 bewegte Jahre hinter sich. Dabei zeigt der ehemalige Weltmarktführer vor allem in den letzten Jahren Schwächen. Es entsteht der Eindruck, dass die technische Entwicklung und der Markt – und vor allem die Mitbewerber wie Fujifilm – den Fotoriesen Kodak längst hinter sich lassen. Mit anderen Worten: Kodak hat anscheinend den Anschluss an den Wandel der Zeit verpasst. Aber ist das wirklich so?
photoscala hat sich durch Archive, Jahresberichte und Zahlen gewühlt. Die Zahlenreihe geht zurück bis ins Jahr 1991 und endet mit dem Jahr 2008. Diese letzten 17 Jahre beinhalten eine wechselvolle Entwicklung des ehemals größten Fotokonzerns der Welt. Das digitale Zeitalter bringt bekanntermaßen die Notwendigkeit des Wandels, nicht nur für Kodak, mit sich. Kodak erzielt bis Ende 2003 rund 70 % des Umsatzes mit Farbfilmen und deren Entwicklung. Diese Zahl verdeutlicht durchaus das Festhalten am Bestehenden. Dabei lässt sich Kodak zu der Fehleinschätzung verleiten, dass die analoge Fotografie in den BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China) länger zu Wachstum führen könnte. Die Konkurrenz belehrt den Fotoriesen eines Besseren. Das Geschäft mit Digitalkameras ist gekennzeichnet von einer Vielzahl an Anbietern, auch branchenfremden, und sinkenden Preisen.

Kodak erzielte Anfang der 90er Jahren des letzten Jahrhunderts einen großen Teil der Umsätze in der Chemiesparte und in neu erworbenen Nebennischen wie Medizintechnik oder pharmazeutische Produkte. Die gesamten Konzernumsätze fallen vom Jahr 1991 bis zum Jahresbericht 2008 um 52 %. Die Jahrtausendwende bringt Kodak in schwierige Fahrwasser. Der Konzern wird durch den Markt zur Neuausrichtung und Umstrukturierung gezwungen. Dies zeigt sich auch in den Jahresberichten anhand von umbenannten oder neu strukturierten Sparten:
Geschäftsbereich | Jahresbericht |
Imaging, Information, Health, Chemicals Segment | 1993 |
Consumer Imaging, Commercial Imaging, Health, Chemicals Segment | 1994, 1995, 1996, 1997 |
Consumer Imaging, Kodak Professional, Health Imaging, Other Imaging | 1998, 1999, 2000 |
Photography Group, Health Imaging, Commercial Imaging, All other | 2001, 2002, 2003 |
Digital & Film Imaging Systems, Health, Graphic Communications Segment, All other | 2004, 2005 |
Consumer Digital Imaging, Film and Photofinishing Systems, Graphic Communications Group, Health, All other | 2006, 2007, 2008 |
Im Jahr 2001 erzielt Kodak mit Mühe einen noch positiven Nettogewinn, die Jahre 2005 und 2006 weisen große Verluste aus.

Mitte der 90er Jahre ändert sich die Unternehmensstrategie. Unter der Führung von CEO (Chief Executive Officer – Vorstandschef) George Fisher (ehemaliger Vorstandsvorsitzender von Motorola) werden die Investitionen zurückgeführt und u.a. die pharmazeutischen Beteiligungen und Tochterunternehmen veräußert. Das Unternehmen Eastman Kodak soll sich auf den Kerngeschäftsbereich „Foto“ konzentrieren und hier die entscheidenden Investitionen tätigen. Dabei fließt bereits ein großer Teil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung seit Mitte der 80er Jahre ohne nennenswerte Erfolge in das Geschäft der Digitalfotografie. Infolge der Fokussierung auf das Fotogeschäft steigt der Umsatzanteil der Fotosparte (in der Fotosparte sind alle Zahlen zusammengefasst, die mit Foto, Film, Entwicklung und Kameras zu tun haben). Bei der Betrachtung der einzelnen Unternehmenssparten zeigt sich, dass die Umsatzanteile der Sparte „Consumer Digital Imaging“ (Digitalkameras, Videokameras, digitale Bildrahmen, Kodak GALLERY etc.) interessanterweise etwas niedriger sind als die Umsätze der Sparte „Graphic Communications“ (Scanner, Drucker, Software etc.). Kurzgefasst: Der Geschäftsbereich „Graphic Communications“ ist der umsatzstärkste zur Zeit und macht im Gegensatz zum „Consumer Digital Imaging“-Segment einen Gewinn.

Die im Diagramm dargestellten Forschungs- und Entwicklungsausgaben (F&E- Aufwendungen) beziehen sich auf das gesamte Unternehmen. Dieser Posten kann leider nicht allein auf die Fotosparte gerechnet werden, da die nötigen Angaben für eine Aufschlüsselung fehlen. Eine gemeinsame Darstellung mit dem Fotoumsatz erfolgt dennoch, um einen möglichen Zusammenhang darstellen zu können. Der Höchststand der F&E-Aufwendungen im Jahre 1997 kann vermutlich mit der Kodak-Marktführerschaft in der Radiografie und der digitalen Bildgebung in der Medizintechnik zusammenhängen. Insbesondere die Kehrtwende in den Jahren 2003/2004 hin zum Digitalgeschäft lässt die Vermutung zu, dass ein Großteil der Forschungs- und Entwicklungsausgaben in die Fotosparte fließt. Der damalige Kodak-Aktionär und Großinvestor Carl Icahn hat diese hohen Investitionen in das Digitalgeschäft kritisiert, weil er die langfristige Unternehmensperspektive nicht sehen wollte. Kodak war für ihn und andere Aktionäre schlichtweg eine Milchkuh (Cash Cow), die gemolken wird, so lange der finanzielle Erfolg da ist, deren Wachstumsaussichten aber als gering eingeschätzt werden und in die deshalb keine Investitionen mehr erfolgen sollen.

Der prozentuale Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung am Fotoumsatz hat sich in den letzten Jahren bei 8-9 % eingependelt. Kodak besitzt eine Vielzahl von Patenten, die noch aus den Hochzeiten des letzten Jahrhunderts stammen. Allein, das Geld zur Weiterentwicklung und kommerziellen Nutzung dieser Patente fehlt Kodak. Daher verkaufte der Konzern auch zum Ende des Jahres 2009 den OLED-Geschäftsbereich an den koreanischen Elektronik-Riesen LG. Kodak war einer der Pioniere in der Entwicklung von organischen Leuchtmaterialien in den 70er Jahren.
Der derzeitige CEO Antonio M. Perez gibt seit einigen Jahren als Marschroute die Gewinnung von Barmitteln aus. Hohe Zahlungsmittelbestände gelten gemeinhin als Konkursvorsorge. Der Erhalt der Zahlungsfähigkeit steht demnach beim Unternehmensziel „Gewinnung von liquiden Mitteln“ im Vordergrund. Dies ist Kodak vor allem im guten Geschäftsjahr 2007 gelungen. Dabei steht die operative Finanzplanung von Kodak vor der Herausforderung, den optimalen Liqiuiditätsstatus zu finden. Die Grafik „Vermögensentwicklung“ unten zeigt, dass Antonio M. Perez den Barmittelbestand über das Niveau der 90er Jahre sichern konnte. Seit dem Jahr 1995 hat das Gesamtvermögen des Konzerns hingegen um fast 37 % abgenommen. Inwieweit die Schrumpfung des Vermögens im Jahr 2008 zur Kassenbestandssicherung beiträgt, ist nicht bekannt. Die Verbindlichkeiten sind hingegen nur um 12 % gefallen. Dies kann mit der Langfristigkeit von Verbindlichkeiten zusammenhängen.

Eastman Kodak hat sich im Laufe der Jahre zu einem riesigen Koloss entwickelt. Über 140.000 Menschen sollen in Spitzenzeiten für den Konzern tätig gewesen sein. Die Entwicklung der Mitarbeiterzahl zeigt auch den radikalen Wandel, den der Konzern durchlaufen musste. Kodak rechnet für das laufende Geschäftsjahr 2009/2010 mit einer Mitarbeiterzahl von unter 20.000. Die Mitarbeiterzahl beträgt aktuell nur noch etwas über ein Sechstel der ursprünglichen Belegschaft Anfang der 90er Jahre.

Die Größe des Konzerns erschwert die Anpassung an veränderte Marktbedingungen. Je größer eine Organisation ist, desto unflexibler wird sie. Mehrstufige Hierarchie-Ebenen erschweren die Transparenz. Ein weiteres Beispiel für diese Art von Großunternehmen ist Siemens in Deutschland (Siemens versucht sich ebenfalls auf die Kernkompetenzen zu konzentrieren und hat sich von einer Vielzahl an Sparten getrennt). Die Konzerngröße ist demnach eine nicht unwesentliche Begründung für lang aufgeschobene Managemententscheidungen wie den Ausstieg aus dem Analoggeschäft im Jahre 2004.
Eastman Kodak ist der größte Arbeitgeber am Standort Rochester, New York. Die persönlichen Bindungen der Arbeitnehmer an das Unternehmen sind entsprechend stark ausgeprägt. Diese starke traditionelle Bindung zeigt sich auch in der Tatsache, dass mit Antonio M. Perez erst der zweite Vorstandsvorsitzende im Amt ist, der nicht aus der Kodak-Familie aufgestiegen ist. Umso schwerer wiegt das notwendige Übel der Restrukturierung mit den damit verbundenen Entlassungen. Der massive Abbau von Arbeitsplätzen hat das Betriebsergebnis zusätzlich belastet.

Die Restrukturierung kostet Kodak für den Zeitraum 1991-2008 rund 5,5 Mrd. US-Dollar (ca. 3,8 Mrd. €). Demgegenüber stehen natürlich Einsparungen, die teilweise aber erst in Zukunft wirksam und die nicht genauer beziffert werden. Es gibt jedoch Vermutungen, dass die Einsparungen sich im Milliarden-Dollar-Bereich bewegen werden. Es zeigt sich eine deutliche Ergebnisbeeinflussung, bislang noch negativ, in der jüngsten Vergangenheit. Der Prozess der Restrukturierung wurde bereits 1997 eingeleitet und ließ den Gewinn schmelzen.
Kodak hofft auf eine wesentliche Ergebnisverbesserung im Jahr 2010. Zuletzt schrieb das Unternehmen Millionen-Verluste. Börsenanalysten, die für ihre „Stimmungsschwankungen“ berüchtigt sind, sahen daher zu Beginn der Wirtschaftskrise keine Überlebenschance für Kodak. Zwischenzeitlich konnte sich Kodak 700 Mio. US-Dollar (ca. 486 Mio. €) an neuen Kreditlinien verschaffen (Kodak; ein Schatten vergangener Jahre). Dies stimmte die Börsianer positiver und nährt die Hoffnung darauf, dass Kodak den Wandel vollziehen kann. Das nächste Geschäftsjahr wird zeigen, ob Kodak langfristig die Verlustzone verlassen kann. Um dies noch besser beurteilen zu können, werden wir demnächst hier auf photoscala einen Vergleich mit dem großen Rivalen Fujifilm veröffentlichen.
(agün)
Anmerkung zur Datenerhebung:
Die Zahlen sind zusammengesucht aus Jahresberichten (Annual Reports), Zeitungsartikeln und Analysen. Teilweise widersprechen sich die Zahlen oder wurden von einem auf das nächste Jahr korrigiert oder neu summiert / strukturiert. Daher können Unstimmigkeiten durchaus auftreten. Für einige Jahre ließen sich keine Zahlen finden (so der Nettogewinn für 1993). Die Autorin erhebt daher nicht den Anspruch auf Fehlerlosigkeit. Es geht um einen Überblick über die Entwicklung eines Unternehmens in einem schnelllebigen Markt.
Weitere Informationen und tiefere Analysen sind teilweise im Internet kostenlos abruf- und einsehbar. Für interessierte Leser haben wir unsere wichtigsten Funde aufgeführt:
Annual Reports Jahr 2000-2008
Annual Reports 1993-2008 (teilweise einsehbar)
Insbesondere in den USA hat der „Fall Kodak“ zu tieferen Analysen angeregt:
Eastman Kodak: Meeting the Digital Challenge (PDF-Datei)
Kodak’s Bad Moment
The Kodak – Fuji Rivalry
Strength of Kodak’s Results In Period Surprises Wall St.
Eastman Kodak – Zeit des Erwachens
Der neue Kodakchef Antonio Perez: Er oder keiner
Antonio Perez im Interview:
„Unser Kurs ist lächerlich niedrig“
Als
exklusiver Ausrüster der alles in den Schatten stellenden Leica-Digitalkameras kann eigentlich nur eine rosige Zukunft winken …
Genau!
beide haben sich ihren Untergang redlich verdient. Viel Fett, langes Ausruhen auf Lorbeeren vergangener Tage, Mismanagement … und weg mit ihnen!
Danke für die Arbeit!
Sehr schöner Artikel von einer Fachfrau, die weiß wie man über Wirtschaft schreibt.
Mehr davon!
Ach ja: ein Extradank für die „Anmerkung zur Datenerhebung“. Das ist ehrlich und selten.
OhWeh
Ja…
…es gibt einige internationale Websites die zu solchen und ähnlichen Themen auf photoscala.de und zwar nur auf photoscala.de verlinken.
Ebenfalls!
auch ich bedanke mich dafür, dass auf photoscala immer wieder recherchierte Hintergrundberichte zu Unternehmen der Fotobranche zu lesen sind!
Wo ist Ding Dong Dilli
??
Wunden lecken
n.t.
Traurig, traurig …
Und dabei hatte Kodak die Möglichkeit vielen anderen Herstellern einiges an Know How in der digitalen Bildgewinnung voraus.
1986 stellten die ein 1,4 MPixel 2/3″ CCD vor, die Kameras des Hubble Space Telescope waren mit Kodak CCDs bestückt, auf den ersten DSLRs stand auch auf dem Digitalteil groß Kodak, usw.
Dass der Niedergang so dramatisch ist war mir aber nicht bekannt, wenig tröstlich ist auch wie es Fuji ergeht.
Es fehlten noch Zahlen…
…für den Zusammenhang zwischen Wasserverbrauch in der Firmenzentrale und die Gehaltsveränderungen der Manager in den Jahren von 83 und 06, da scheint es Verschiebungen gegeben zu haben, ausserdem wäre der Assendent und das Sternzeichen des Vorstandsvorsitzenden noch wichtig um eine endgültige Analyse aus obigem Zahlensalat abzuleiten. Der Grund warum Kodak nicht mehr so gut läuft, ist einfach der, dass das Management ein wenig Überheblich gegenüber der Wirklichkeit gewesen ist, dass kann man in Deutschland ja auch hier und da beobachten. Vor allem, wer gut beobachtet kann auch sehr genau erkennen, welche Trantüten als nächtes über dem Braunschweiger Zaun hängen. Geistiges Redesign wäre mal angebracht.
Guter Artikel. Die
Guter Artikel. Die Gscheiderla können sich wieder dazu ausweinen. So hat der Artikel zusätzlich eine soziale Funktion. Kodak hatte in der Vergangenheit immer wieder gute
Ansätze (z.B P880) aber entweder nich das Geld oder den Mut den Weg konsequent weiter zu gehen.
Kodak ist weiter dabei!
Die Firma Kodak hat weltweit ein solches Gewicht als Marke, in der 16 Millionenmetropole Istanbul prangt vor jeder Fotoannahmestelle ein riesiges Kodak-Leuchtreklameschild. Welche Fotofirma ausser Samsung hat im Orient eine solche Präsenz? Kodak wird bleiben und im richtigen Moment wenn sich gute Chancen anbieten, werden ausreichend Investoren dabei sein, aus Kodak wieder etwas zu machen, es gibt keine stärkere Fotomarke auf der Welt.