Schornsteinfeger, Uckermark, 1973; Foto: Roger MelisEinst wurden seine Arbeiten als „Müllkastenfotografie“ gebrandmarkt; heute wird der kürzlich verstorbene Fotograf Roger Melis als einer der bedeutendsten Fotografen der ehemaligen DDR geschätzt:

Die Nähe zur Kunst wurde Roger Melis schon in die Wiege gelegt. Als Sohn des Bildhauers Fritz Melis wuchs er im Haushalt des Stiefvaters und Dichters Peter Huchel auf, im Westen Berlins. Berlin ist die Stadt, welcher der 1940 ebendort geborene und am 11. September 2009 verstorbene Fotograf stets treu geblieben ist. Hier fand er seine Motive. Hier fand er jenen Alltag, aus dem er seine Bilder machte. Jetzt erinnert eine Ausstellung in Aachen und ein neues Buch an Roger Melis.
 

Heringsdorf (Usedom), 1983; Foto: Roger Melis

Heringsdorf (Usedom), 1983; Foto: Roger Melis / © Mathias Bertram, Berlin

 
Als einer der bedeutendsten Fotografen der ehemaligen DDR sieht man ihn heute. Seit Anfang der sechziger Jahren entstanden seine schlichten, würdevollen Porträts von Schriftstellern und Bildenden Künstlern, seine Arbeiter-Reportagen und Modefotografien, die in „Merian“, der „Neuen Berliner Illustrierten“, „Wochenpost“, „Zeit“, der „F.A.Z.“, der „Süddeutschen Zeitung“, „Geo“ oder in der „Sibylle“ erschienen sind.

Er war kein Einzelgänger: Zusammen mit Arno Fischer und Sibylle Bergemann gründete er die Fotogruppe „Direkt“; in den achtziger Jahren war Melis Vorsitzender der „Zentralen Arbeitsgruppe Fotografie“ im Verband Bildender Künstler, später unterrichtete er an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee, dann beim Berliner Lette-Verein – ein Fotograf, dessen Werk in den vergangenen Jahren eine neue Entdeckung erfährt.

Seit 2007 erscheint im Leipziger Lehmstedt Verlag eine Werkausgabe. Der nun in einer dritten Auflage veröffentlichte dritte Band dieser Reihe nennt sich „In einem stillen Land. Fotografen 1965-1989“: ein Buch, das die besten Fotografien Melis’ vereinigt. Es ist geschrieben worden, der Fotograf verbinde in seinem Werk die Strenge eines August Sander mit der Phantasie eines Henri Cartier-Bresson – vor allem aber zeugen seine Schwarzweißfotografien von der besonderen Fähigkeit, die Gesichter der Porträtierten zum Sprechen zu bringen, wie Christoph Hein geschrieben hat: „Melis verstand zu warten, bis der Blick ins Offene ging, der Mensch sichtbar wurde, er bei sich war und sich zeigte.“
 

Ackerstraße, Berlin, 1985; Foto: Roger Melis

Ackerstraße, Berlin, 1985; Foto: Roger Melis / © Mathias Bertram, Berlin

 
Melis ist neben Arno Fischer oder auch Sibylle Bergemann tatsächlich einer der größten Fotografen Ostdeutschlands. Aus den unüberschaubar vielen Büchern, die anlässlich des Jubiläums von Wiedervereinigung und Mauerfall in den vergangenen Monaten erschienen sind, ragt sein Band „In einem stillen Land“ wie ein Leuchtturm hervor. Verglichen wurde Melis auch mit der westdeutschen Kollegin Barbara Klemm, doch noch dichter, noch intimer ist sein Werk, wie man bis zum 7. Februar bei der ersten Retrospektive im Suermondt-Ludwig-Museum in Aachen anhand von 150 Exponaten sehen kann. „Seine Bilder sind wie ein Sog“, sagt Verleger Mark Lehmstedt.

Ein Sog aus Landschaft, vor allem aber aus Menschen. Man sieht Waldarbeiterinnen, einen Tierpräparator, einen Metzger, Männer, die Kohlen tragen, Schornsteinfeger, Waggon-Bauer, Feuerwehrleute, Polizisten, Kellner, all die Künstler wie Wolf Biermann, Heiner Müller, Anna Seghers oder Sarah Kirsch: Menschen, die Melis aus einem teilweise noch archaisch, ärmlich anmutenden Alltag ans Licht holt. Ein Alltag, der nicht schön ist, dessen Realismus in der DDR als „Müllkastenfotografie“ gebrandmarkt wurde. Seit den frühen achtziger Jahren durfte Melis nicht mehr für die DDR-Presse arbeiten.
 

Sarah Kirsch auf Ausreisekisten, 1977; Foto Roger Melis   Auf der Museumsinsel, Berlin, 1980; Foto Roger Melis

Sarah Kirsch auf Ausreisekisten, 1977 / Auf der Museumsinsel, Berlin, 1980
Fotos: Roger Melis / © Mathias Bertram, Berlin

 

Indianer, 1974; Foto Roger Melis

Stille Bilder sind es, still auch in diesem Sinn: Sie dokumentieren den Stillstand des Lebens in der DDR, das oft so Antiquierte auch, den Rückzug ins behaglich Private, die Suche nach Glück, aber auch: stilles Selbstbewusstsein. Nichts Spektakuläres ist in diesen oft so schwermütigen, ruhigen Fotografien, die in Berlin, aber auch in Dörfern und Städten zwischen Ostsee, Harz, Uckermark und Erzgebirge entstanden sind.

In schlichten Worten beschrieb Melis einmal seinen künstlerischen Willen: „Meine wichtigste Aufgabe habe ich immer darin gesehen, eindringliche Bilder von Menschen zu schaffen, möglichst in ihrem natürlichen Lebens- und Arbeitsumfeld, und ihnen dabei nicht die Seele zu rauben, sondern mich ihnen behutsam zu nähern mit der – ich wähle bewusst das antiquierte Wort – Ehrfurcht vor dem Individuum.“

(Marc Peschke)
 
 
Buch:
Mathias Bertram (Hrsg.): Roger Melis
In einem stillen Land. Fotografien 1965-1989 (bei amazon.de)
192 Seiten. 169 Abbildungen. Gebunden
Lehmstedt Verlag. Leipzig 2009
ISBN 978-3-937146-52-2
24,90 €

Ausstellung:
Roger Melis. Fotografien 1965 – 1989
Suermondt-Ludwig-Museum, Aachen
Bis 7. Februar 2010

Webseite:
Roger Melis (Webseite gestaltet vom Suermondt-Ludwig-Museum; siehe besonders auch die Foto-Galerie)
 

Schornsteinfeger, Uckermark, 1973; Foto: Roger Melis

Schornsteinfeger, Uckermark, 1973; Foto: Roger Melis / © Mathias Bertram, Berlin