In der aktuellen Krise werden Parallelen zur Weltwirtschaftskrise 1929 gezogen, in deren Verlauf die Massenarbeitslosigkeit anstieg und die Bevölkerung verarmte. Ein politischer Systemwechsel war bekanntermaßen die Spätfolge. Müssen wir jetzt mit einer Diktatur rechnen? Der Versuch einer Analyse

Immer neue Prognosen über Dauer und Stärke der aktuellen Wirtschaftskrise lassen uns den Tag herbeisehnen, an dem alles vorbei sein wird. Was danach kommen wird, ist Spekulation. Um zu verstehen, was danach sein könnte, ist es ratsam, sich mit den Ursachen der Wirtschaftskrise auseinanderzusetzen. Gerne wird suggeriert, dass die Wirtschaftskrise allein durch die Überschuldung der privaten Haushalte in den Vereinigten Staaten verursacht wurde. Das ist öffentliche Augenwischerei. Die Wirtschaftskrise war anfänglich eine Finanzmarktkrise. Hervorgerufen durch aberwitzige Geschäftsmodelle weltweit tätiger Bank- und Finanzinstitute. Der Tag X beginnt nicht bei dem Zusammenbruch von Lehman Brothers, sondern weit davor.

Die Banken wollten über ihr Kerngeschäft hinaus (Geld beschaffen, verleihen und mit Zinsgewinn zurückerhalten) hohe Profite möglichst ohne Risiko für ihr Unternehmen erwirtschaften. Hierzu wurden dem Markt neue Geschäftsmodelle offeriert, etwa das von JP Morgan ersonnene „Broad Index Secured Trust Offering“ (Bistro). Es wurde das Risiko des Kreditausfalls vom Kredit selbst getrennt und dieses Risiko als gewinnbringende Anlage vermarktet. Letztlich wurde jedes mögliche Geschäft so scheibchenweise als „besicherte Schuldverschreibung“ zerlegt. Es wurden Verbindlichkeiten gegeneinander ausgetauscht und miteinander gegen atemberaubende Renditen gesichert (Swap-Geschäfte) – das Ganze hoch spekulativ. Aus diesen jonglierten Geschäften entstand eine weltweite Blase – ein Kasino-Kapitalismus. Diese Blase ist nun teilweise geplatzt. Besonders plakativ beschrieben ist dieser Vorgang in einem Spiegel-Artikel: Der Bankraub.

Diese Finanzmarktkrise schwappt auf den regulären Wirtschaftskreislauf über. Da auch der Finanzmarkt mittlerweile globalisiert ist, sind die Auswirkungen auch weltweit zu spüren. Die Notenbanken und die Regierungen reagieren mit finanziellen Staatszusagen, verbilligten Krediten und sinkenden Zinsen. Das ist zumindest eine Lehre aus 1929, dass der Staat regulierend eingreifen muss. Der britische Ökonom John Maynard Keynes stellte sich gegen die klassische Gleichgewichtstheorie anderer Ökonomen und empfahl ausdrücklich die Einflussnahme des Staates durch finanz- und geldpolitische Mittel.

Die Auswirkungen der jetzigen Krise werden vielfältig sein und ihr Ausmaß ist bis heute nicht konkret abschätzbar. Das Ganze ähnelt einem Domino Day (ein Stein fällt, Tausende fallen hinterher). Daher überschlagen sich die Konjunkturforscher mit immer neuen, nach unten korrigierten Prognosen. Im schlechtesten Fall wird es uns so wie in der Wirtschaftswoche beschrieben ergehen. Kurz gefasst: Schwerste Depression mit zweistelligen Schrumpfraten, Massenarbeitslosigkeit in Deutschland, explodierende Sozialausgaben, Staatsneuverschuldung in schwindelerregender Höhe, anfangs Deflation (Preise fallen), dann Inflation (Geldentwertung) durch verstärktes Gelddrucken der Notenbanken, Europa gerät unter Druck, erste Staaten verlassen die Eurozone … Ein Horrorszenario.

Dabei gerät leicht das Wichtigste aus dem Blickfeld. Der Finanzmarkt muss verlorenes Vertrauen zurückgewinnen. Viele Privatanleger haben ihr Gespartes verloren. Andere werden es verlieren, wenn die private Altersvorsorge verzockt wurde. Der Staat muss endlich seiner Aufsichtspflicht nachkommen. Regulierungsbehörden müssen sowohl personell wie finanziell so ausgestattet werden, dass sie den Finanzmarkt effektiv kontrollieren können. Gerade in den USA wurden in den letzten Jahrzehnten die regulierenden Gremien abgespeckt. Die Regeln für den globalen Finanzmarkt müssen neu definiert und aufgestellt werden. Die Akteure dürfen unter keinen Umständen auf neue Märkte, wie im Moment auf die Rohstoffmärkte, ausweichen. Hier besteht die Gefahr, dass neue Blasen und damit neue globale Risiken entstehen. Der Finanzmarkt muss sich seiner moralischen und globalen Verantwortung bewusst sein. Leergeschäfte gehören schlichtweg verboten. Verantwortungsvolles Handeln kommt aber nicht von selbst, sondern kann nur durch Kontrolle und strenge Regeln auferlegt werden. Ein Extrembeispiel für diese Erkenntnis veröffentlicht die Vatikanzeitung mit der Empfehlung, islamische Finanzprodukte, die sich ethisch verantwortlichen Geldanlagen gemäß dem Koran verschreiben, im Finanzmarkt zu etablieren (Islamische Finanzprodukte als Lösung für Wirtschaftskris). Die öffentlichen Investitionen in Bildung und Umweltprojekte sind anzukurbeln, damit der Geldfluss im Gang bleibt und Beschäftigung ermöglicht wird.

Die bisherige Entwicklung muss dringend zurückgeführt werden. Schon jetzt weisen die reinen Geldgeschäfte ein vielfaches Volumen gegenüber den Waren- und Dienstleistungsgeschäften auf. Der Finanzmarkt hat den eigentlichen Wirtschaftskreislauf fest im Griff. Dieser Griff muss dringend gelockert werden. Die Erkenntnis, dass Geld nicht arbeitet, muss sich durchsetzen. Die Verstaatlichung von Banken ist in der Not eine Lösung, aber keine langfristige. An dieser Stelle sei angemerkt, dass viele Politiker als Aufsichtsrat in Unternehmen oder als Verwaltungsrat in Sparkassen tätig sind. Inwieweit diese Form der Vernetzung sinnvoll ist, mag der Leser bewerten. Die Liberalisierung des Finanzmarktes der letzten Jahre muss zwingend zurückgenommen werden. Die Politik und die beratenden Ökonomen müssen sich zu Recht fragen lassen, warum sie zum Beispiel Hedgefonds in Deutschland zugelassen haben.

Die Tage nach der Wirtschaftskrise liegen in weiter Ferne. Wir sind mitten in der Krise. Noch sind viele Bürgerinnen in Deutschland positiv gestimmt oder wiegeln ab (wird schon nicht so schlimm werden). Die volle Wucht der Krise wird uns im Laufe des Jahres treffen, wenn die Auswirkungen am Arbeitsmarkt voll durchschlagen. Bleibt zu hoffen, dass weitere, neue Blasen am Finanzmarkt nicht so schnell platzen werden.

Empfehlung für eine tiefere ökonomische Analyse: Polit-ökonomische Lehren für das Neue Jahr (PDF-Datei).

(agün)