Foto Thomas Wrede„Manche sind witzig und erheitern, manche sind absolut blöd und man ärgert sich, andere zeigen eine kreative Gestaltung und man kann einen intelligenten Aspekt finden“ – der Fotograf Thomas Wrede im Interview:

… sagt der Künstler: Thomas Wrede, 1963 in Letmathe in Westfalen geboren, ist ein an der Kunstakademie in Münster ausgebildeter Fotokünstler, der sich schon seit vielen Jahren mit dem Begriff der „Landschaft“ beschäftigt. Seine mit renommierten Kunstpreisen ausgezeichneten Fotoserien wirken auf ungewöhnliche Art vertraut und fremd – im gleichen Moment. Wir befragten den in Münster lebenden Künstler, dessen Werk jetzt in zwei Galerie-Ausstellungen in Düsseldorf und Berlin zu sehen ist:

Foto Thomas Wrede

photoscala: Herr Wrede, gehen wir zuerst einige Jahre zurück: zu Ihrer Serie der „Domestic Landscapes“. Damals inszenierten Sie Fototapeten, die Sie in Wohnungen fanden. Süßliche Tropen-, Wald- oder Alpenlandschaften, die sich Menschen in die eigenen vier Wände holten. Schon damals war Ihr Thema die „Künstlichkeit im Realen“. Was hat Sie damals so an diesen Tapeten so fasziniert?

Thomas Wrede: Über Anzeigen in Lokalzeitungen habe ich Besitzer von Fototapeten gefunden. Die Bildtapeten habe ich in den Wohnungen so fotografiert, wie ich sie vorgefunden habe. Wie bei meinen späteren Projekten bin ich immer wieder fasziniert, wie sich reale Situationen durch die Perspektive der Kamera zu surrealen Bildern verdichten. Die Durchdringung von idealisierten Landschaftsbildern mit Möbeln und Dingen des Alltages ist der spannende Ausgangspunkt dieser Fotoserie. Die Aufnahmen zeigen ja nicht den gesamten Raum, sondern konzentrieren sich auf einen für mich interessanten Ausschnitt der Fototapete und auf einige Wohnungsaccessoires, sodass ein Regal über einem blauen Bergsee schwebt, eine Steckdose oder eine Lampe aus dem Waldboden hervorkommen. Als ich dann 2001 eine Ausstellung in New York mit den „Domestic Landscapes“ hatte, kam mir die Idee, dieses Bildkonzept auch auf die New Yorker Plakatwände zu übertragen.

photoscala: „Magic Worlds“ hieß eine andere große Serie von Fotografien, die in menschenleeren Freizeit- und Vergnügungsparks entstanden ist. Auch diese betonte das allumfassend Künstliche in unserer Umwelt. Was bedeutet Ihnen der Begriff der „Künstlichkeit“?

Thomas Wrede: Bei diesen künstlichen Landschaften handelt es sich um ein Konzentrat von Sehnsüchten. In dieser Künstlichkeit findet eine ungeheure Verdichtung von Idealen statt. Ich bezeichne sie als „effektive Mainstream-Landschaften“, die von so vielen Besuchern wie möglich gemocht und besucht werden sollen. Alle Highlights sind hier auf kleinstem Raum zusammengestellt: Eine wilde Alpenlandschaften mit Wasserfällen breitet sich neben einem nordamerikanischen Canyon aus, die Freiheitsstatue steht neben dem Schwarzwaldhaus. In früheren Zeiten entstanden in der Malerei Bilder nach der Natur. Heute entstehen die künstlichen Landschaften nach den Vorbildern aus Comics und Filmen. Somit bewegen wir uns hier in dreidimensionalen Bildern, die ich wiederum in zweidimensionalen Fotografien festgehalten habe. Da ich viele dieser Fotos von einem erhöhten Standpunkt und ohne Menschen fotografiert habe, wirken diese künstlichen Welten wie kleine Puppenstuben oder Modelleisenbahnen.
 

Foto Thomas Wrede

 
photoscala: Auch in neueren Serien haben Sie dieses Thema weiterentwickelt. Wie etwa in den „Small Worlds“. Eine Serie, welche die dargestellten Lastwagen, Feuerwehrautos oder Containerschiffe aufgrund partieller Unschärfe betörend klein erscheinen lässt. Oder die „Wrapped Landscapes“: Fotografien eingepackter Kunststoffbäumchen für die Märklin-Eisenbahn. Um was geht es Ihnen? Irritation? Hinterfragung eines klassischen Begriffs von Landschaft?

Thomas Wrede: Es geht mir um das Spiel mit den unterschiedlichen Realitätsebenen, in denen wir leben. Es geht mir nicht primär um den klassischen Landschaftsbegriff, sondern vielmehr um die Hinterfragung unseres aktuellen Begriffs von Landschaft, die in ihren Darstellungen zu einem Spiegelbild unserer Wünsche und Träume geworden ist. Ich möchte anhand einfacher Mittel, die man in unserem Alltag findet, existentielle Fragen stellen. Es ist mir wichtig, vielschichtige und zugleich klare und einfache Bilder zu finden

photoscala: „Ich sehe die Welt als Modellbausatz, als große Inszenierung, als Bild und Nachbildung“, haben Sie einmal gesagt. Was meinen Sie damit?

Thomas Wrede: Dieser komplexe Satz fasst das eben Gesagte zusammen. Wir leben immer mehr in einem Wechselspiel von Bildern, die versuchen, die Realität abzubilden und von Bildern, die zur Realität werden und nach der unsere Welt geschaffen wird. Es ist nur wichtig zu wissen, auf welcher Seite man steht. Ist man Handelnder oder Verführter? Vilélm Flusser warnt in seinem Buch „Für eine Philosophie der Fotografie“ davor, dass der Mensch vergisst, dass er es war, der die Bilder erzeugte, um sich an ihnen in der Welt zu orientieren. Doch nun kann er sie immer weniger entziffern und der Mensch lebt von nun ab in der Funktion seiner eigenen Bilder: Imagination ist in Halluzination umgeschlagen.
 

Foto Thomas Wrede

 
photoscala: In ihren seit dem Jahr 2004 entwickelten „Real Landscapes“ vermischen Sie die Bereiche des Realen und Künstlichen im Bild. Sie setzen Miniaturhäuser oder Spielzeugautos in eine „echte“ Landschaft und lassen dramatisch-romantische „Sehnsuchtsorte“ entstehen, die auf wundersame Weise zeitlos wirken. Wollen Sie den Beschauer betören?

Thomas Wrede: Ich denke, dass „betören“ hier nicht das richtige Wort ist. Die Sinne sollen nicht vernebelt werden. Ich möchte zunächst eine verführerische Illusion schaffen, wo man erst auf dem zweiten oder auch dritten Blick die scheinbar reale Landschaft als Illusion und optische Täuschung erkennt. Wenn man genau hinschaut, sieht man, dass die Proportionen dieser Szenarien nicht stimmen können. In manchen Fotos sind sogar Fußabdrücke zu sehen. Trotz dieses Wissens um die Inszenierung sollen die Fotos so stark sein, dass sie als Bilder überzeugen. Viele Bilder wirken auf den ersten Blick vertraut und irritieren zugleich. Zahlreiche Motive haben ihren Ursprung in der Synthese von bekannten Bildern aus der medialen Welt. Somit bilden diese Fotos eine Quintessenz. Das Gefühl der Vertrautheit wird sicherlich durch den Umstand verstärkt, dass ich Spielzeugmodelle aus der Welt der Modelleisenbahn nehme, die ihrerseits eine starke Standardisierung erlebt haben. Ich überlasse es dem Betrachter, ob er sich der Analyse oder dem Bild hingibt. Beides kann Spaß machen.

photoscala: Sie wurden von Rainer Danne im Vorwort Ihres Buchs „strange paradise“ als „Meister des subtilen, visuellen Vexierspiels zwischen Modell und Wirklichkeit“ beschrieben. Ihre Bilder wirken vertraut und fremd im gleichen Moment. Das hat sich auch bei Ihrer neuen Serie „Picture Worlds“ nicht verändert. Hier haben Sie Werbe- und Plakatlandschaften in Manhattan fotografiert: zweidimensionale Werbeflächen im öffentlichen Raum. Um was geht es Ihnen dabei?
 

Foto Thomas Wrede

 
Thomas Wrede: Diese Bilder sind ein Konzentrat, das sich aus der Wahrnehmung und aus vielfältigen Erfahrungen in dieser Megacity gebildet hat. Eine Unmenge kaum überschaubarer Ereignisse findet hier im selben Moment statt. Alle Sinne sind gefordert: unterschiedliche Sprachen, laute Signale, extreme Gerüche, blinkende Lichter, hektische Menschenmengen. Hinzukommt, dass reale Szenen immer wieder mit denen der großen Werbebilder verschwimmen. Man sieht keinen Horizont außer auf den Plakaten. Viele der Plakat- und Videowände holen den Himmel runter in die Straßenschluchten. Der Blick durch die Kamera lässt einen Moment einfrieren, der diese komplexe Collage überschaubarer werden lässt. Christoph Schaden beschreibt in seinem einführenden Katalogtext sehr schön, dass wir in der Hektik der Stadt nicht das Plakatbild anschauen, sondern es schaut uns an. In meinen Fotos findet ein Perspektivwechsel statt, der dem Betrachter ermöglicht – trotz aller Verwirrung – das Plakat und die „reale“ Situation zu betrachten. Zugleich schafft das Foto eine neue, sehr irritierende Realität. Die Tiefe des Raumes geht verloren. Alles findet nun auf eine Ebene statt.

Foto Thomas Wrede

photoscala: Rebecca Satterlee hat über diese Arbeiten geschrieben: „Die großen Werbeplakate sind in ihrem Bemühen, eine Sehnsucht nach der Welt zu erzeugen, die sie repräsentieren, so effektiv, dass sie sich schon fast zu einer überzeugenden ‘Über-Realität’ zusammenzufügen, die oftmals die kleinere, schmutzigere und weniger attraktive Welt auf dem Straßenniveau dominiert.“ Wie passt sich der hier lebende Mensch diesen irritierenden Bedingungen an?

Thomas Wrede: Ich denke, dass jeder auf seine eigene Weise einen Umgang mit diesen konfrontativen Bildern findet. Manche sind witzig und erheitern, manche sind absolut blöd und man ärgert sich, andere zeigen eine kreative Gestaltung und man kann einen intelligenten Aspekt finden. In Los Angeles hatte ich mal ein Apartment, wo gegenüber von meinem Schlafzimmerfenster eine mehr grinsende als lächelnde Blondine auf einem riesigen Plakat war. Es hing entlang eines großen Häuserblocks. Ich wohnte dort allein und irgendwann begann ich, mich mit ihr zu unterhalten, wenn ich nach dem Aufstehen die Vorhänge öffnete. Es waren merkwürdige Selbstgespräche, welche ich ohne diese grinsende Frau nicht geführt hätte. Und mit der Zeit wurde diese Riesenfrau immer größer und ich immer kleiner…

photoscala: Ihre Serien widmen sich wiederkehrenden Themenbereichen, doch unterscheiden sie sich in ihrer Anmutung sehr deutlich. Sie sagten einmal, dass es Ihnen ganz wichtig wäre, immer wieder neue Perspektiven zu eröffnen.

Thomas Wrede: So wie ich die Perspektive in meinen Serien wechsle und mal von oben, mal von unten fotografiere, so will ich auch neue Perspektiven auf die wiederkehrenden Themenbereiche eröffnen. Wenn man genau hinschaut wird man auch bei mir einen roten Faden entdecken. Ich mag nicht, nur an einer Ästhetik festzuhalten, um einen wieder erkennbaren Stil zu haben. Das ist doch langweilig. Es ist doch viel spannender, immer wieder neue formale, ästhetische und intelligente Lösungen zu finden.

Das Interview führte Marc Peschke.
 
 

Titelabbildung Manhattan / Picture Worlds

Informationen:
Thomas Wrede

Aktuelle Ausstellungen:

Beck & Eggeling new quarters, Düsseldorf
Bis 25. April 2009
Manhattan / Picture Worlds
Bilker Straße 4-6
40213 Düsseldorf

Zur Ausstellung erscheint ein Buch im Bielefelder Kerber Verlag.

Galerie Wagner + Partner, Berlin
Bis 25. April 2009
Real Landscapes – new works
Karl-Marx-Allee 87
10243 Berlin