Das Kunstmuseum Wolfsburg zeigt noch bis Ende Mai 2009 Arbeiten von Absolventen der legendären „Helsinki School“, die als künftige Stars des internationalen Kunstmarkts gelten:
„Internationalisierung ist der Schlüsselbegriff der 90er Jahre. Künstler nahmen nicht länger nur an kulturellen Austauschprojekten teil, sondern bauten ihre eigenen Beziehungen zum internationalen Ausstellungsmarkt auf. Die Künstler aus Finnland wurden zu einem selbstverständlichen Teil der Weltkunst", sagt Asko Mäkela, der Direktor des Finnischen „Museums für Fotografie“ in Helsinki voller Euphorie. Das kann man jetzt in Wolfsburg erleben. Das dortige Kunstmuseum zeigt Absolventen der legendären „Helsinki School“ und damit einen Querschnitt aktueller Fotografie aus Finnland.
Anni Leppälä: Last autumn, aus der Serie Possibility of Constancy, 2008; C-Print auf Aluminium, Ed. 7, 31,5×42,5 cm; Besitz der Künstlerin
Finnland war als Land der Bildenden Kunst noch vor wenigen Jahren fast unbekannt. Und es stimmte auch, was Rolf Brockschmidt vor einigen Jahren im Berliner „Tagesspiegel" geschrieben hat: „Aber was wissen wir mehr über Finnland außer Sauna und neuerdings Pisa?“ Mythen kursierten, wie die des schweigsamen Finnen, Geschichten von weltentrückten Sonderlingen, denen die Filme von Kaurismäki ein wunderbares Denkmal gesetzt haben. Doch das Land kam in Bewegung: Seit Auflösung der Sowjetunion orientierte sich Finnland neu und rückt immer mehr aus der Peripherie ins Zentrum des politischen und kulturellen Europa. Und die Fotografie, so scheint es, ist das Medium, das die euphorische Aufbruchstimmung und die Veränderungen am besten einzufangen vermag.
Immer häufiger waren finnische Fotokünstler und -künstlerinnen in den vergangenen Jahren in Kunstvereinen und bedeutenden Museen zu sehen, immer besser ließen sich die Exponate bei Kunstmessen in Europa und den USA verkaufen. Heute gelten die Absolventen der legendären „University of Art and Design“ in Helsinki der „Helsinki School“ als künftige Stars des internationalen Kunstmarkts. Einer der Protagonisten des Booms finnischer Fotografie ist „Helsinki School“-Mentor Timothy Persons, der seine Studenten immer wieder antreibt, sich selbst aktiv um die Vermarktung ihrer Kunst zu kümmern.
Doch was verbindet die finnischen Fotografen jenseits der hohen technischen Qualität ihrer Arbeit? Sicherlich, dass sie äußerst sensibel auf die politischen Veränderungen nach dem Ende der ehemaligen Sowjetunion reagiert haben. Der Verlust von Identität und die Suche danach, auch die künstlerische Dokumentation des Wandels bestimmt ihre Arbeit. So unterschiedlich die fotografische Ästhetik ist, der sie sich bedienen, alle eint ein gemeinsames Interesse an den Grundfragen des Mediums. Jetzt stellt die Ausstellung „Auf der Spitze des Eisbergs. Neue Fotografie aus Finnland“ einige Positionen im Kunstmuseum Wolfsburg vor. Zu sehen sind Arbeiten von Joakim Eskildsen, Tiina Itkonen, Pertti Kekarainen, Ola Kolehmainen, Anni Leppälä und Pernilla Zetterman.
Tiina Itkonen: Iceberg II, 2006; C-Print, Diasec, Ed. 7, 100×122 cm; Besitz der Künstlerin
Einen ganz eigenen Ansatz vertritt etwa Tiina Itkonen, die seit Mitte der neunziger Jahre in der Einsamkeit der Arktis fotografiert hat. Im Nordwesten Grönlands fand sie jene Ruhe, die es sonst kaum mehr gibt: „Man ist es nicht gewohnt, so weit zu blicken“, sagt Itkonen, die doch nicht darauf verzichtet, Menschen ins Bild zu setzen – die Inuit, Polar-Eskimos, die, wie die Fotografin versichert, keine Eile kennen.
Was alle der gezeigten Fotokünstler eint, ist eine eigenwillige, ganz subjektive Bildsprache. Sie folgen keinem Trend, jeder entwickelte eine eigene Ästhetik Arbeiten, die sich über ihre Schönheit dem Betrachter öffnen, die zum Staunen verführen wollen. Die finnischen Fotokünstler schaffen Werke, die in der Flut der oft so ähnlichen fotografischen Bilder nicht untergehen, sondern im Gedächtnis bleiben. Vielleicht ist auch dies ein Garant für den Erfolg: Sie zeigen uns die Wirklichkeit auf eine ganz neue Art und Weise. Sie alle sind unvergleichlich.
Ola Kolehmainen: Are You talking to Me, 2007; Analoger C-Print, Diasec, Ed. 6, 2-teilig, 256×395 cm; Kunstmuseum Wolfsburg
Es ist eine Stille, Ruhe und Melancholie, die viele Arbeiten der Absolventen der „University of Art and Design“ in Helsinki bestimmt tatsächlich scheint das raue, schroffe Land einen ganz eigenen „Kultur- und Mentalitätsraum“ geschaffen zu haben, wie Holger Broeker, der Kurator der Wolfsburger Ausstellung sagt. Da gibt es die reduzierten Aufnahmen von Fenstern und Glastüren in Originalgröße von Pertti Kekarainen, Ola Kolehmainens abstrakte, verzerrt-spiegelnde Architekturdetails, Pernilla Zettermans und Anni Leppäläs intim-sensible Selbstporträts und die ihrer Familie schließlich bekannte Arbeiten von Joakim Eskildsen aus seinen „Romareisen“, der in sieben Ländern die Lebensverhältnisse der Roma porträtiert hat.
Joakim Eskildsen: Kyösti, Helsinki, Finnland, 2003; Tintenstrahldruck auf Barytpapier, Ed. 21, 40×48 cm; Carl Gustaf Ehrnrooth Collection
Zu sehen sind insgesamt 89 Fotografien. „Wir wollen einen Querschnitt durch die Helsinki School abbilden", so Kurator Holger Broeker. Bei einem Besuch sollte man indes nicht darauf verzichten, ein anderes Glanzstück finnischer Kunst in Augenschein zu nehmen. Gleich neben dem Kunstmuseum steht das Städtische Kulturhaus, ein Schlüsselbau des legendären finnischen Architekten Alvar Aalto.
(Marc Peschke)
Ausstellung:
Auf der Spitze des Eisbergs. Neue Fotografie aus Finnland
Bis 24. Mai 2009
Kunstmuseum Wolfsburg
Hollerplatz 1
38440 Wolfsburg
Mittwoch bis Sonntag 11 bis 18 Uhr, Dienstag 11 bis 20 Uhr
Buch:
Als ausstellungsbegleitender Kalalog ist die Publikation „Helsinki School. New Photography from TaiK“ in deutscher Übersetzung mit dem Titel „Helsinki School. Neue Fotografie aus Finnland“ erschienen. Diese Publikation mit Texten von Andrea Holzherr wurde um ein Vorwort von Prof. Dr. Markus Brüderlin, eine Einführung in die Ausstellung von Dr. Holger Broeker sowie das Verzeichnis der ausgestellten Werke erweitert.
Hatje Cantz Verlag
240 Seiten. 187 Farbabbildungen
Museumspreis 32 Euro
Rechts: Pernilla Zetterman: Yes, aus der Serie When, 2005; C-Print, Diasec, Ed. 5 + 2, 120×120 cm; Kouri Collection