Die S2 ist da, die R10 kommt, Leica geht nach Wetzlar – und hat einen langen Atem. Stichpunkte aus einer Rede von Leica-Chef Dr. Andreas Kaufmann anlässlich der S2-Vorstellung – Codename „AFRika“:

Hier die Rede von Dr. Andreas Kaufmann, dem Skript entnommen, das fast wörtlich so auch gehalten wurde; gekürzt um einen kurzen Abschluss, in dem es um Organisatorisches zum Abend und zur photokina ging:

Köln, 22. September 2008

Statement

Dr. Andreas Kaufmann
Vorsitzender des Vorstands
Leica Camera AG

(Es gilt das gesprochene Wort)

Verehrte Gäste, Freunde von Leica,

zunächst möchte ich mich für dieses sehr persönliche Bekenntnis zu Leica herzlich bedanken! Lieber Wim Wenders, treffender hätte man das Erlebnis Leica nicht in Wort und Bild fassen können. Und ich freue mich, dass Sie den Wert des guten Bildes – und dafür steht Leica wie keine andere Marke – gerade im so schnelllebigen digitalen Zeitalter hochhalten. Wie Sie möchten auch wir die Zukunft der Erinnerung sichern. Das Motto der diesjährigen photokina, die morgen beginnt, könnte nicht besser passen. Wir wollten diese Zukunft für Sie schon heute Abend beginnen lassen – losgelöst vom Messetrubel und unter Freunden. Zu diesen Freunden zähle ich hier übrigens ausdrücklich auch Renate Gruber, die Frau des photokina- Gründers Prof. Dr. Fritz Gruber. Liebe Frau Gruber, ich begrüße Sie herzlich!

Porträt Dr. Andreas Kaufmann

Wim Wenders und ich haben etwas gemeinsam: die Liebe zur Leica-Kamera, diese Begeisterung für eine Marke, die mehr als nur Marke ist. Sie ist Mythos. Meine Familie und mich hat das Potenzial spontan begeistert. Als wir mit der ACM 2004 bei Leica einstiegen, war uns allen klar: Das ist nicht irgendeine Firmenbeteiligung. Erst recht keine, die schnelle Renditen verspricht. Nein, das ist eine Investition in die Zukunft! Wir haben nicht gezögert, als sich die Chance bot, die Mehrheit an der Leica Camera AG zu übernehmen. Weil wir langfristig denken. Und weil Leica wieder das ausstrahlen muss, was es im Kern ist: eine der besten Marken der Welt.

Heute stehe ich nach schwierigen Tagen auch an der Spitze des Vorstands. Ich sage Ihnen, warum: Leica ist für mich Passion und Mission zugleich. Gemeinsam mit meinen Vorstandskollegen und den Mitarbeitern will ich dieses Unternehmen dorthin führen, wohin auch seine Produkte gehören: an die Spitze. Nie wieder soll Leica, dieses an Innovationskraft und Know-how so reiche Unternehmen, unter mangelnder Kraft oder strategischen Fehlentscheidungen leiden! Dafür steht die ACM, meine Familie. Dafür stehe ich selbst. Und nicht zuletzt steht dafür das Management der Leica Camera AG.

Es hat sich in den vergangenen Monaten gezeigt, dass Leica auch in Krisenzeiten auf das erstklassige Know-how und die hohe Motivation der Belegschaft zurückgreifen kann. Deswegen lassen Sie mich gleich an dieser Stelle etwas zu den Mitarbeitern sagen: Dank Ihrer Begeisterung, Ihrer Erfahrung und Ihrem Ehrgeiz geht es wieder aufwärts mit Leica. Meine Vorstandskollegen, Herr Lobejäger und Herr Trippe, haben gemeinsam mit mir in den vergangenen Monaten die Weichen auf Erfolg gestellt. Wir haben mit professioneller Hilfe und gemeinsam mit den Kollegen aus Fertigung und Management unsere Strukturen verbessert. Wir sind schlanker geworden. Innovativer. Wir sind besser und schneller geworden. In den vergangenen zwei Jahren haben wir mehrere Sanierungsrunden erfolgreich durchgeführt, Fehlentwicklungen im Unternehmen gestoppt und Leica konsequent auf Konsolidierungskurs gebracht. Die Sanierung schreitet weiter gut voran. Die neue Ära bei Leica, sie hat begonnen!

Eine Durststrecke liegt noch vor uns. Aber wir haben einen langen Atem. Weil wir wissen, dass Leica bald aus eigener Kraft florieren wird. Unsere Strategien müssen auch die Zeit erhalten, aufzugehen. Deswegen denken wir über Quartalsberichte hinaus und schielen nicht auf kurzfristige Bilanzen. Wir investieren langfristig und auf breiter Front in neue Produkte. Die morgen beginnende photokina ist für uns eine wichtige Momentaufnahme. Wir haben noch weitere Überraschungen im Köcher. Das Feuerwerk beginnt gerade erst. Was wir Ihnen heute Abend zeigen, ist gewissermaßen die Initialzündung. Doch einen Augenblick will ich Sie noch auf die Folter spannen.

Es klang in Wim Wenders’ Film mit unserer M8 schon an: Leica geht den Weg weiter in die digitale Zukunft – beherzt und auf höchstem Niveau, wie Sie sehen werden. Aber ohne Kompromisse an die Grundwerte unserer Marke. In ihrer wechselvollen Geschichte hat diese Firma stets darauf geachtet, dass ihre Produkte in Güte, Präzision und Praxistauglichkeit unerreichbar bleiben. Denn Leica – das ist bei allem technologischen Fortschritt immer noch Auslese, Handarbeit und Präzision. Wir müssen nicht um jeden Preis die ersten sein, mit Sicherheit aber die besten.

Knapp 100 Jahre Fotografie-Geschichte bei Leica bedeutet: Generationen von Wissenschaftlern und Ingenieuren, die sich nie zufrieden gaben mit Ergebnissen, die nur passabel waren. Es mussten die besten Ergebnisse sein. Die Entwicklungsarbeit dieser Pioniere und Tüftler, das gesammelte Know-how eines ganzen Jahrhunderts, der Ehrgeiz unserer Mitarbeiter – alles nur für einen Knopfdruck, einen Augenblick, eingefangen im perfekten Bild.

Die erste erfolgreiche Kleinbildkamera überhaupt, die Ur-Leica, ist heute die teuerste Kleinbildkamera der Welt. Oft kopiert, ist sie die Mutter aller Kleinbildkameras. Oskar Barnack erfand sie in den Wetzlarer Ernst Leitz Werken kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Diese Erfindung revolutionierte die Fotografie, den Journalismus, ja unser Weltbild. Manche mit Leica-Kameras geschossene Bilder wurden selbst Legende. Daran muss ich immer denken, wenn ich die Che Guevara Aufdrucke auf den T-Shirts sehe. Das Bild hat Alberto Korda 1960 geschossen. Mit einer Leica. Es ging um die Welt.

Solche Leica-Bilder waren Ikonen für ganze Generationen. Sie prägten das Lebensgefühl ihrer Zeit. Leica wurde zu einer der führenden deutschen Marken, zum Inbegriff deutscher Ingenieurskunst und zum Botschafter des „Made in Germany“. Leica-Kameras avancierten zu begehrten Sammler-Objekten und Status-Symbolen. Namhafte Fotografen wie Henri Cartier-Bresson oder Robert Capa fotografierten mit einer Leica. Auch Foto-Künstler von heute tun es – wie Alex Webb, Anton Corbijn, Jim Rakete und René Burri.

Politiker, Schauspieler, Künstler, Models könnte ich aufzählen: etwa die Queen, Brad Pitt, Dennis Hopper, Eric Clapton, Seal, Bryan Adams, Giselle Bündchen. Sie sehen: Von ihrer Anziehungskraft und ihrem Nimbus hat die Leica bis heute nichts eingebüßt.

Dieser historische gewachsene und auf die Wertigkeit unserer Produkte gründende Mythos hat seine Wurzeln in Wetzlar. Diese Stadt ist wie kaum eine andere in Deutschland mit der fotooptischen Industrie verbunden. Es ist ein Bekenntnis zu Wetzlar, aber auch zu unseren eigenen Ursprüngen, wenn wir in rund zwei Jahren an die Wiege der Ur-Leica zurückkehren. 2010 werden Produktion, Logistik, Forschung, Entwicklung und Verwaltung nach Wetzlar ziehen, in unser neues Firmengebäude im Leitz-Park. Dort wird zurzeit kräftig gebaut. Die Fortschritte können Sie täglich auf dem Schanzenfeld beobachten. Auch hier setzen wir ein deutliches Signal für den Neuanfang. Der Leitz-Park geht auf die Initiative unserer ACM zurück und soll neben anderen fotooptischen Betrieben auch Leica ein dauerhaftes Zuhause bieten. Die Zukunft der Erinnerung sichern – das war uns auch hier eine Herzensangelegenheit!

Wir haben gerne Besuch. Schon heute führen wir tagtäglich Gäste durch unsere Fertigung. Im Leitz-Park Wetzlar soll daher auch ein Leica Camera Museum entstehen. In der Leica Galerie planen wir Ausstellungen bekannter Leica-Fotografen und Fotoamateure, die wir an unserer Leica Akademie schon seit Jahren erfolgreich aus- und weiterbilden. Die faszinierende Geschichte und Produktwelt der Leica, das Erlebnis Leica, sollen alle spüren, die zu uns kommen.

Dieser Mythos, der unsere Marke umgibt, fehlt vielen unserer Mitbewerber. Ich weiß natürlich, wie die Marktverhältnisse sind. Auch in Asien werden gute Kameras gebaut. Und von unseren Freunden in Japan haben wir viel gelernt. Teilweise kooperieren wir sogar mit ihnen. Aber Masse kann Klasse nicht ersetzen. Und auch neue Technologien müssen erst reifen. Ich möchte bei dieser Gelegenheit mit einem Vorurteil aufräumen: Leica hat den digitalen Trend keineswegs verschlafen. Doch war die Pixel-Technik anfangs nicht weit genug, um unseren hohen Qualitätsansprüchen zu genügen. Wir verfolgten stets die Devise: keine Kompromisse an das optimale Bildergebnis.

Mit der S1 haben wir dann vor zwölf Jahren eine digitale Hochleistungs-Scannerkamera entwickelt, die bezüglich Auflösung, Dynamikumfang, Farbtiefe und Schnelligkeit Ihresgleichen suchte. Leider fehlten die Kapazitäten und das notwendige Geld, die Entwicklung voranzutreiben. Wir haben uns schrittweise bewegt. Wir haben uns Kooperationspartner gesucht. Während Andere die „Digitale Revolution“ ausriefen und mit mehr oder minder ausgereiften Produkten in den Markt stolperten, gingen wir den Weg der „Digitalen Evolution“, um die sich rasant entwickelnde Technologie behutsam an unsere Ansprüche und Markenwerte heranzuführen. Das waren wir unseren Kunden schuldig. Denken Sie doch nur an die in aller Welt hoch geschätzten Leica-Präzisions-Objektive, für die unsere Konstrukteure viel Lob erhalten haben. Allesamt Handarbeit. Die ließen sich nicht einfach vor irgendeinen Chip spannen. Wir wollten das Motiv nicht nur durch unsere Hochleistungsobjektive bündeln, sondern auch in der gewonnenen Schärfe und Brillanz verlustfrei festhalten.

Je flüchtiger die Welt im digitalen Zeitalter wird, je leichter Eindrücke und Erinnerungen per Mausklick gelöscht werden können, desto wichtiger ist es, die wertvollen Augenblicke in ihrer ganzen Schönheit und Tiefe zu konservieren. Wir wollen nichts Geringeres als die Zukunft der Erinnerung erhalten. Dafür hat sich Leica seit Erfindung der Ur-Leica stark gemacht. Dafür haben wir uns in den vergangenen Monaten völlig neu aufgestellt. Dafür haben wir in jahrelanger Entwicklungsarbeit ein Produkt entwickelt, das heute wohl das bestgehütete Geheimnis von Leica überhaupt ist. Intern haben wir das Projekt mit dem Namen „Afrika“ getarnt. Das hat nichts mit dem Schwarzen Kontinent zu tun, sondern kommt von der Abkürzung Autofokus und Spiegel-Reflex. A F R.

Und mit unserer „Afrika“ stellen wir Ihnen heute das erste Ergebnis der neuen Ära bei Leica vor: unser Flaggschiff, eine Autofokus-Spiegelreflex-Kamera, wie sie keiner von Leica erwartet hat. Eine Kamera für den Profi-Bereich, die als Technologie-Träger auch künftigen Produkten in anderen Segmenten den Weg weisen wird. Deswegen ist diese Kamera unser Leuchtturm, der gewissermaßen abstrahlt auf die ganze Leica-Produktpalette.

Erinnerung und Zukunft gehen bei Leica Hand in Hand. Bitte heißen Sie daher mit mir das älteste und das jüngste Leica-Produkt willkommen, die Ur-Leica von 1914 und die kleinste digitale High-End-Profi-Kamera der Welt: die „Afrika“ alias LEICA S2.

Das ist die LEICA S2. Von Grund auf bei Leica entwickelt. In Deutschland konstruiert und gebaut. Kleiner und leichter als alle vergleichbaren Mittelformatkameras der Mitbewerber. Wir reden daher von einem ganz neuen Format: dem Leica Proformat. Dank modernster Prozessortechnologie ist die S2 auch doppelt so schnell. Der Leica Maestro Bildprozessor ist eine Weltneuheit im digitalen Markt. Höchste Bildqualität. Ultraschneller Zugriff. Minimaler Energieverbrauch. Und dazu kommen unsere neuen Leica S-Objektive, die lichtstärksten Profi-Objektive auf dem Markt, mit hochpräzisem Autofokus, den Leica selbst entwickelt hat, und einen extrem schnellen Zentralverschluss für äußerst kurze Verschlusszeiten. Auch diese einzigartigen S-Objektive können Sie hier heute begutachten.

Über technische Einzelheiten will ich mich hier nicht weiter auslassen. Im Laufe des Abends ergibt sich dafür noch viel Gelegenheit. Unsere Produktmanager stehen Ihnen gerne Rede und Antwort. Nur soviel noch zu unseren Zielen: Als „State of the art“ greift die S2 im digitalen Profi-Segment an. Für uns ist das Neuland. Eine neue Zielgruppe, die wir von Anfang an sehr ernst nehmen. Deswegen haben wir schon bei der Entwicklung der S2 die Bedürfnisse, Wünsche und Erfahrungen der Profi-Fotografen mit einfließen lassen. Leica will und wird sich hier dauerhaft in vorderster Reihe etablieren. Wir haben viel Zeit und Geld investiert, um effiziente Vertriebswege aufzubauen und einen professionellen Kundendienst anzubieten. Wir haben heute auch eine strategische Allianz mit Phase One vereinbart. Wir wollen eng bei der technischen Entwicklung und bei der Vermarktung unserer Profi-Produkte zusammenarbeiten.

Leica und Phase One passen aufgrund ihrer Kultur, ihrer außergewöhnlichen Innovationskraft und ihrer höchsten Qualitätsansprüche hervorragend zueinander. Wir ergänzen uns sehr gut, vor allem im Vertriebsbereich. Gemeinsam mit Phase One werden wir für die Profis schon bald neue Produkte und Services anbieten.

Verehrte Gäste, Leica geht einer spannenden Zukunft der Erinnerung entgegen. Die S2 ist das Aufbruchsignal und gleichzeitig erst die digitale Spitze des Eisbergs. Erwarten Sie von uns in den kommenden Monaten weitere gute Nachrichten und exzellente High-End-Produkte in allen Segmenten. Ich möchte auch für alle Kunden der R-Reihe betonen, dass wir mit Hochdruck und viel Enthusiasmus an einer R10 arbeiten. Nageln Sie mich bitte nicht auf einen Zeitpunkt fest. Aber die R10 kommt.
 
 
Dr. Andreas Kaufmann beschloss die Rede mit einem Zitat von Sebastiao Salgado: „Leica, das sind Freunde.“
 

(thoMas)