
Das Medium der Fotografie vermag es, jenen Zustand des „Noch immer, aber irgendwie schon nicht mehr“ am faszinierendsten zu vermitteln. Gedanken zum Fotobuch „Rooms“ von Lina Kim:
Kaserne. Das Wort hat keinen guten Klang. Kasernierung, kaserniert sein, das klingt nach Gefangenschaft, nach Unterwerfung. In der Kaserne ist freier Wille nicht gefragt, sondern das Gegenteil: Kompaniegeist. Dies gilt im besonderen Maße für russische Kasernen. Vom bundesdeutschen Schlagwort „Kaserne 2000“ Kasernen sollen heute wohnlicher, ziviler werden weiß man hier nichts.

Die Brasilianerin Lina Kim, die in Sao Paulo und New York Kunst studierte und heute in Berlin lebt, hat zwischen 2003 und 2006 nahe Berlin verlassene Räume ehemaliger Sowjetkasernen in der DDR mit der Großbildkamera fotografiert, was in ihrer eigenen künstlerischen Biografie Sinn macht: Schon früher hat sich die 1965 geborene Künstlerin in ihren Installationen mit Szenerien beschäftigt, die an Bühnen erinnerten, mit surrealen Gegenwelten, die sie nun in den aufgelassenen russischen Kasernen entdeckt.

Diese Räume sind surreal, weil ihre ursprüngliche Bestimmung im Laufe der Zeit verloren gegangen nicht mehr sichtbar ist. Die Orte sind nach Abzug der Roten Armee verlassen, dem Verfall preisgegeben, verödet. Oft sind es nur noch Raumskelette, die übrig geblieben sind. Wände, der Boden, eingeschlagene Fenster, etwas abgeblätterte Farbe, mehr nicht. Im Verfall, in diesem Zwischenzustand, liegt Schönheit, das ist eine Lehre dieser Bilder. Eine andere ist: Das Medium der Fotografie vermag es, jenen Zustand des „Noch immer, aber irgendwie schon nicht mehr“ am faszinierendsten zu vermitteln.
(Marc Peschke)
Lina Kim
Rooms (bei Prestel)
Deutsch und Englisch
128 Seiten. 110 farbige Abbildungen
Gebunden mit Schutzumschlag. 300 x 240 mm
ISBN 978-3-7913-4000-5
39,95 Euro