Kindheit in Queens, die Qualen der Adoleszenz, die Freundschaft, die Liebe zu der Rocksängerin Patti Smith, Drogenexzesse, Affären und der Sex: Mapplethorpe gehörte zweifellos zu den schillerndsten Figuren der Fotogeschichte des 20. Jahrhunderts. Sein ewiges Thema: die zum Stillleben stilisierte Sexualität – Bilder die das Potential hatten, Skandale auszulösen:

Im Jahr 1971 beginnt für Robert Mapplethorpe, der eigentlich Musiker werden wollte, die Auseinandersetzung mit dem fotografischen Medium. Ein Medium, über das Mapplethorpe gesagt hat: „I never liked photography. Not for the sake of photography. I like the object. I like the photographs when you hold them in your hand.“ (Ich mochte die Fotografie niemals. Nicht um ihrer selbst willen. Ich mag das Motiv. Ich mag die Fotografien, wenn man sie in der Hand hält.) Zuerst war Mapplethorpe ein Sammler alter Fotografien, dann fertigte er erste Foto-Collagen, doch bald entdeckte er – auf Anregung von Patti Smith – die Polaroid-Fotografie.

 
 
 

Jetzt ist ein neues Fotobuch über Mapplethorpes frühe Polaroids erschienen, das viele bisher unveröffentlichte Aufnahmen präsentiert: Selbstporträts, Körperstudien, bizarre Stillleben, Porträts von Liebhabern und Freunden, die allesamt bis 1975 entstanden sind. Bilder, die all jene mit Mapplethorpe versöhnen könnten, welche die kühle Hochglanz-Perfektion, die Manieriertheit vieler späterer Arbeiten des 1989 an den Folgen einer HIV-Infektion verstorbenen Künstlers nicht goutieren.

Es ist die Unmittelbarkeit, die hier fasziniert. Eine Unmittelbarkeit im Sehen des New Yorkers, im sicheren Gefühl, jetzt – und nur jetzt – ein Bild machen zu müssen. Die Kamera war in jenen Jahren für Mapplethorpe eine Art Skizzenblock, eine Möglichkeit, Zeugnis abzulegen. Vom Leben und von der Welt. Was Mapplethorpes Arbeit auszeichnet, die Einheit von Künstler und Werk, zeigt sich in den frühen Farb- und Schwarzweiß-Polaroids in Reinkultur.

Das in den vierziger Jahren entwickelte, immer leicht ins Unscharfe spielende Polaroid-Material mit seiner besonderen Farbigkeit, der Zauber der Foto-Chemie, der Zauber des Unikats auch, für Andy Warhol ein „großartiges Spielzeug“, ist für Mapplethorpe vielleicht noch mehr: eine Möglichkeit des exhibitionistischen Experiments, der Selbsterforschung. Möglichkeit totaler Nähe.

Wir blättern in diesem wunderbaren Buch und sehen: sehr persönliche Antworten auf die alles entscheidende Frage. Wer bin ich?

(Marc Peschke)

Sylvia Wolff
Mapplethorpe Polaroids (bei amazon.de)
256 Seiten mit vielen Farb- und Schwarzweißabbildungen
Englisch
Prestel Verlag München 2007
ISBN 978-3-7913-3835-4
49,95 Euro.