Mit der X1D hat Hasselblad kürzlich die erste spiegellose Systemkamera vorgestellt, deren Herzstück ein Bildsensor im Mittelformat ist. Adelt das die Kamera bereits zur Königin der Spiegellosen? Unser Autor Horst Gottfried hatte letzte Woche die Gelegenheit, ein Vorserienmodell der X1D in die Hand zu nehmen.

Hasselblad X1D

Horst Gottfried hat die Hasselblad X1D für photoscala in die Hand genommen.
 

Die Hasselblad X1D beeindruckt schon allein durch ihre Größe – ihre geringe Größe wohlgemerkt. Bei der ersten spiegellosen Systemkamera mit 44 x 33 mm Mittelformat-Sensor macht sich der prinzipielle „Mirrorless“-Vorteil, nämlich die Möglichkeit zur kompakteren Bauweise, besonders eindrucksvoll bemerkbar. Dezent und angenehm unauffällig in ihrer schlichten Eleganz steht sie da und lockt zum Anfassen.

Schön & handlich

Sehr angenehm liegt die X1D mit ihrem ergonomisch wohl geformten Griff in der Hand, samt 45mm-Objektiv (=35mm KB) wiegt sie nur rund 1150 Gramm. Hasselblad hat sich mit der Ausformung der Griffwulst nach eigenen Angaben besonders viel Mühe gegeben, mit Erfolg. Ein griffiger Kunststoffüberzug gibt zusätzliche Sicherheit beim Halt. Die Anfassqualität der X1D ist insgesamt erstklassig – aber alles andere wäre auch eine Enttäuschung.

Hasselblad X1D: Moduswählrad

Bei Nichtgebrauch lässt sich das Moduswählrad in die Kameraschulter drücken.
 

Mit ihrer Kombinationen aus klassischen Einstellelementen und Touchscreen erschließt sich die Bedienung auch Hasselblad-Novizen schnell. Die Drehräder sind für Daumen und Zeigefinger leicht erreichbar platziert. Auch die anderen Elemente sind gut bedienbar, nur die vier Funktionstasten rechts neben dem LCD-Monitor dürften etwas größer ausfallen – Platz genug wäre eigentlich da. Kleines Detail am Rande: Das Moduswählrad liegt bei Nichtgebrauch versenkt und springt nur auf leichtes Eindrücken hin nach oben, so dass der ganze griffige Rändelrand zum Vorschein kommt.

Komfortabler Bedienungs-Mix

Konfiguriert und eingestellt wird die X1D vorwiegend über den etwas kleinen Touchscreen. Dort stehen zunächst neun Symbole parat, welche, das kann der Fotograf nach seinen Wünschen vorgeben. Menü-artige Listen erscheinen nur bei der einen oder anderen Unter-Rubrik, durch sie lässt sich leicht mit Wischgesten scrollen. Ansonsten tippt man die jeweilige Voreinstellung einfach an, um sie anschließend zu ändern. Die Icons dafür sind sehr übersichtlich und selbsterklärend.

Hasselblad X1D: Touchscreen

Bedient wird die X1D vorrangig über ihren Touchscreen mit übersichtlich gestalteten Symbolen.
 

Der sensorbasierte Kontrast-AF der X1D arbeitet mit einem Spot-Sensorfeld; dieses lässt sich per Fingertipper auf den Touchscreen über die gewünschte Bildpartie legen. In den elektronischen Sucher blicken und gleichzeitig das AF-Feld verschieben, das geht indes nicht. Als Alternative bleibt immer noch der Fokusspeicher bei halb gedrückten Auslöser vor der endgültigen Festlegung des Bildausschnitts – vielen ambitionierten Fotografen sowieso eine bewährte und bevorzugte Routine.

Sekundär-Tugenden

Die X1D ist kompatibel zum TTL-Blitzsystem von Nikon – ein cleverer Schachzug von Hasselblad. Denn damit hat der X1D-Fotograf Zugriff auf ein breites Angebot von Nikon- und Nikon-kompatiblen Systemblitzgeräten, und vielleicht fühlt sich sogar der ein oder andere Nikon-Profi mangels einer adäquaten spiegellosen Nikon-Systemkamera gerade deshalb zur X1D als Mirrorless-Alternative hingezogen.

Hinter der im Kameraboden bündig eingelassenen Abdeckung liegt der Akku versenkt, der ähnlich wie bei Leica mit einer zweiten Sicherung gegen Herausfallen geschützt ist. Er soll laut Hasselblad für 350 bis 400 Aufnahmen gut sein. Ein externer Batteriegriff scheint nicht vorgesehen zu sein, er würde aber auch dem Kompakt-Konzept wiedersprechen. Zudem verspricht die etwa im Vergleich zur Hasselblad H6 fehlende schwere Spiegelmechanik Stromersparnis. Die zwei mit Gummiringen gegen Eindringen von Feuchtigkeit geschützten Klappen an der linken Seite der X1D verdecken die Dual-SD-Karten-Slots sowie die Anschlüsse für USB-3.0 und Mini-HDMI für Bildübertagung und Kamerasteuerung per Computer (Tethered-Shooting). Daneben liegen noch zwei Mini-Klinkenbuchsen für Audio-Ein- und -Ausgang.

Hasselblad X1D

Dual-SD-Karten-Slots sowie das Anschlussterminal liegen jeweils unter abgedichteten Schutzklappen.
 

Offene Fragen

Bislang gibt es von der X1D nur Vorserienmodelle, Aufnahmen damit möchte Hasselblad aus nachvollziehbaren Gründen nicht veröffentlich sehen. Über die Bildqualität lässt sich daher noch nichts sagen. Rückschlüsse lassen sich eventuell aus der Bildqualität der Hasselblad H6D 50c ziehen, denn sie basiert auf demselben CMOS-Sensor von Sony wie auch die X1D. Den 100-Megapixel-Sensor aus der H6D 100c wird es für die X1D definitiv nicht geben, wie Hasselblad-CEO Perry Oosting im Gespräch mit photoscala bestätigt hat.

Aber auch in anderen Punkten verbietet der Vorserienstatus der Kamera noch ein abschließendes Urteil. Das gilt zum Beispiel für die Einschaltzeit und die AF-Geschwindigkeit – beides darf Hasselblad zum Serienstart gerne noch beschleunigen.

Der integrierte elektronische Sucher bietet mit einer Auflösung von 2,36 Millionen Dots ein klassenüblich scharfes Bild, arbeitete aber noch nicht mir der finalen Bildwiederholrate – wichtig für eine scharfe Darstellung bewegter Motive oder bei Kameraschwenks. Einige Brillenträger bemängelten, dass sie sehr nahe an das Okular herangehen mussten, damit die automatische Umschaltung zwischen LCD-Monitor und Sucher aktiv wird.

Hasselblad X1D

Beim Objektivwechsel liegt der Sensor der X1D blank, einen Verschluss in der Kamera gibt es ja nicht.
 

Für eine Mittelformat-Kamera ist die X1D zwar schön leise, das Klicken des Zentralverschlusses (kürzeste Verschlusszeit 1/2000 s, auch X-Synchronisation) im Objektiv ist jedoch deutlich vernehmbar. Bedingt durch den Zentralverschluss liegt der große Sensor im Kameragehäuse beim Objektivwechsel blank. Befürchtungen bezüglich der Verschmutzungsgefahr begegnet Hasselblad mit dem Hinweis auf das vor der empfindlichen Sensoroberfläche liegende Schutzglas. Auf eine integrierte Sensorreinigung muss der Hasselblad-X1D-Fotograf ebenso verzichten wie auf eine Bildstabilisierung. Grund dafür dürften schlicht Größe und Gewicht des Sensors sein.

Hasselblad X1D: Bildwiedergabe

Übersichtlich ist auch die Anzeige der Meta-Informationen bei der Bildwiedergabe.
 

Fazit

Bereits nach der ersten, viel zu kurzen Begegnung mit der Hasselblad X1D stellt sich ein starkes „Haben wollen“-Gefühl ein, zumindest Lust auf eine tiefergehende Bekanntschaft. Für eine glückliche Dauerbeziehung wäre jedoch vor allem ein zügiger Ausbau des neuen Objektivsystems Voraussetzung. Erst dann wird sich auch sagen lassen, ob sich die X1D zur Königin der Spiegellosen aufschwingt – das Zeug dazu hat sie jedenfalls.

Bereits jetzt dürfe indes ohne Zweifel feststehen: Hasselblad bringt mit seiner Entscheidung für eine spiegellose Systemkamera mit großem Sensor frischen Wind in den Mittelformat-Markt und belebt das „Mirrorless“-Prinzip mit neuen Schwung.

Aktualisiert 12. Juli, 18:10 Uhr:
In der ursprünglichen Fassung des Beitrags hieß es, die X1D sei lediglich mit einem zentralen Spot-AF ausgestattet. Das ist nicht richtig, der entsprechende Abschnitt zum Autofokus wurde entsprechend aktualisiert.

(Horst Gottfried)