Ausschnitt aus einem Foto von Tato: Dramma di oggetti mobile e immobili… in Poesie, Literatur, Musik, Skulptur, Theater und Fotografie zeigt uns eine Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau vom 2. Oktober 2009 bis 11. Januar 2010. Was spannend zu werden verspricht, gehört doch bislang die Fotografie zu den wenig erforschten Bereichen der futuristischen Kunst:

Pressemitteilung vom Martin-Gropius-Bau:

Sprachen des Futurismus

Poesie, Literatur, Musik, Skulptur, Theater, Fotografie

2. Oktober 2009 bis 11. Januar 2010

Sprachen des Futurismus im Martin-Gropius-Bau

„Wir wollen die Liebe zur Gefahr besingen, die gewohnheitsmäßige Energie und die Tollkühnheit“, so lautet die erste These des radikalen und antibürgerlichen Manifests, das der Bürgersohn Filippo Tommaso Marinetti in der Pariser Tageszeitung Le Figaro 1909 veröffentlichte. Der Martin-Gropius-Bau nimmt das hundertjährige Jubiläum des „Futuristischen Manifests“ zum Anlass, eine große Ausstellung mit dem Titel „Sprachen des Futurismus“ dem “Gesamtkunstwerk Futurismus“ zu widmen. Marinetti propagierte in seinem elf Punkte umfassenden Manifest eine neue, alle Lebensbereiche umfassende Kultur.
 

Foto: Edmund Kesting

Edmund Kesting: Bild eines Tänzers, 1933. Fotografia (Fotografie), 175×175 mm, Rovereto, Mart – Museo d’Arte Moderna e Contemporanea di Trento e Rovereto, Archivio del ‘900, Fondo Mino Somenzi, Som. VI.11.266 © Archivio Fotografico Mart © VG Bild-Kunst, Bonn 2009

 
Die Beteiligung aller Künste an der Konstruktion einer neuen Ästhetik des Alltäglichen war das Ziel. Fotografie und Film, Mode und Design, Tanz und Literatur, Malerei und Skulptur, Architektur und Musik – es gab keine Kunstrichtung, mit der die Futuristen sich nicht befasst haben. Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts ermöglichte der Futurismus der italienischen Kunst, sich in die bedeutendsten avantgardistischen Strömungen einzureihen, die in Europa – insbesondere in Frankreich und Deutschland – bereits existierten. Mit seinem Interesse an einer Revolutionierung aller Künste war der Futurismus für Italien einerseits eine künstlerische Bewegung, zugleich jedoch auch eine neue Art, das kulturelle Leben eines Landes zu konzipieren, welches sich zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts in einer Situation starker sozialer und wirtschaftlicher Rückständigkeit und tiefer Gegensätze befand.

Die Ausstellung „Sprachen des Futurismus“ entstand in Zusammenarbeit mit dem Italienischen Kulturinstitut und dem Museo d’Arte Moderna e Contemporanea di Trento e Rovereto (MART), in dessen Sammlung sich über 4000 futuristische Werke befinden, darunter Meisterwerke von Carrà, Severini, Russolo und Balla, und das über ein umfangreiches Archiv von Dokumenten und Büchern der wichtigsten Vertreter der Avantgarde verfügt. Zum Museum und Studienzentrum gehört auch das Casa Museo Depero, erstes futuristisches Museum Italiens, das von Fortunato Depero selbst begründet und in Zusammenarbeit mit der Stadt Rovereto 1959 eröffnet wurde. Die Direktorin des Museums, Gabriela Belli, kuratiert für Berlin die Ausstellung. Die Zusammenarbeit mit dem MART ermöglicht eine Präsentation, welche die künstlerischen Ausdrucksformen des Futurismus in ihrer gesamten Breite – von der Malerei und Architektur bis hin zur Literatur – darstellt.

Die Berliner Ausstellung beginnt mit einem einleitenden Teil, der sich den Umwälzungen in der Malerei zuwendet, die von der historischen Kerngruppe der Futuristen um Boccioni, Balla, Severini, Russolo, Soffici und Carrà vorangetrieben wurden. Der Schwerpunkt der Ausstellung liegt jedoch auf den Innovationen, die nach Boccionis Tod im Jahre 1916 eine neue, außerordentlich kreative Epoche des Futurismus kennzeichneten. Mit dem Manifest „Ricostruzione Futurista dell’Universo“ (Futuristische Rekonstruktion des Universums), das von Balla und Depero im März 1915 veröffentlicht wurde, erfasst die futuristische Ästhetik mit alle Dimensionen der Alltagswelt und greift auf viele Aspekte des Lebens – auch jenseits der bildenden Kunst – über. Vor allem in den Werken der Futuristen der zweiten Generation – wie Balla, Severini, Soffici, Depero, Prampolini, Crali und Thayaht – realisiert sich die Absicht alle Ausdrucksformen der Kunst einzusetzen, vom Design bis zur Werbung, von der Mode bis zur Kochkunst, um auf „futuristische“ Weise Probleme des Alltags zu lösen.

Die Präsentation in Berlin bietet somit die Möglichkeit mehr über jene Aspekte des Futurismus zu erfahren, die weniger bekannt sind als die Werke des Futurismus in der Malerei.
 

Foto Tato: Dramma di oggetti mobile e immobili

Tato: Dramma di oggetti mobile e immobili con visioni dall’alto in basso e dal basso all’alto, 1932 (Drama aus beweglichen und unbeweglichen Objekten mit Blicken von oben nach unten und von unten nach oben). Fotografia (Fotografie), 240×180 mm Rovereto, Mart – Museo d’Arte Moderna e Contemporanea di Trento e Rovereto, Archivio del ‘900, Fondo Somenzi, Som. VI. 11.364 © Archivio Fotografico Mart

 
Dem Futurismus eine Ausstellung in Berlin zu widmen ist nicht zuletzt deshalb von besonderer Bedeutung, da Berlin für die Futuristen und die Verbreitung ihrer revolutionären Ideen in Deutschland durch das Engagement Herwarth Waldens (1887–1941) eine wichtige Rolle spielte. 1912 wurde das Futuristische Manifest in der von Herwarth Walden und Alfred Döblin gegründeten Zeitschrift Der Sturm publiziert, kurze Zeit später fand in Waldens gleichnamiger Galerie in der Tiergartenstraße 34a die erste Futurismus Ausstellung in Deutschland statt. Die Ausstellung zeigte 35 Bilder der Futuristen Boccioni, Carrà, Russolo und Severini. Man zählte bis zu 1000 Besucher täglich. Walden, Boccioni und Marinetti fuhren mit einem schnittigen offenen Wagen durch die Straßen Berlins und verteilten Flugblätter „Eviva Futurista“. Es war das Kunstereignis des Jahres 1912 in Berlin.

Marinetti, ohne Zweifel der erste große Meister medialer Kommunikationsstrategien, bekämpfte – wie alle dem Futurismus nahestehenden Künstler – die Vergangenheit, die Geschichte und die Erinnerung. Unter den Axthieben seiner Pamphlete und theoretischen Manifeste fielen nach und nach „Kultobjekte” der Vergangenheit. Er verurteilte die Kunst der Renaissance ebenso wie den Tango, die Musik Wagners und Spaghetti, das romantische Venedig und die Liebe zum Mondschein. Der Name der Bewegung – eine Erfindung von Marinetti – war gut geeignet, um einen absoluten Glauben an die neuen Technologien, insbesondere das Automobil und das Flugzeug, auszudrücken. Als Pendler trug Marinetti zwischen Paris und Mailand den Futurismus nach ganz Europa. Dadaismus, Surrealismus, Konstruktivismus und Expressionismus wurden von den Futuristen beeinflusst.

Weitere Auftritte der Futuristen in Herwarth Waldens Zeitschrift und Galerie folgten, wie eine Auswahl von Dokumenten in der Ausstellung im Martin-Gropius-Bau veranschaulicht.
 
 
Martin-Gropius-Bau
Öffnungszeiten: Mi – Mo 10-20 Uhr geöffnet, Dienstag geschlossen
Niederkirchnerstraße 7/ Ecke Stresemannstr. 110
10963 Berlin
S-Bahn: Anhalter Bahnhof/Potsdamer Platz
U-Bahn: Potsdamer Platz
 

(thoMas)