Es muss nur eine neue Kamera oder gar ein neues Kamerasystem vorgestellt werden, und schon werden die ersten Rufe nach lichtstarken Festbrennweiten laut:

Das ist kein rein lokales Phänomen; in englischsprachigen Diskussionsforen wollen alle „fast prime lenses“, in frankophilen Foren „focales fixes lumineuses“ und auch im sonst eher reservierten Asien ist die Euphorie groß, wenn – für welches Kamerasystem auch immer – neue lichtstarke Festbrennweiten angekündigt werden.

Foto der NEX-5 von Sony

Gewisse Vorteile haben solche Objektive ja schon: Sie sind kompakt, lichtstark, meist von guter optischer und mechanischer Qualität und – zumindest in der Theorie – auch preisgünstiger als Zooms. Sie sind die idealen Begleiter der neuen so genannten „Microsystem“-Kameras, wie sie derzeit von Olympus und Panasonic (Micro-FourThirds-System), Samsung (NX-System) sowie neuerdings auch Sony (NEX-System) angeboten werden, weil die Kamera mit Festbrennweite extrem kompakt bleibt, die hohe Lichtstärke die geringere Lichtausbeute kleinerer Bildsensoren kompensiert und man dank größerer Blendenöffnung trotz inhärent hoher Schärfentiefe dieser Kamerasysteme noch einen halbwegs unscharfen Hintergrund hinbekommt. Dazu kommt noch, dass man selbst bei wenig Licht oft noch verwacklungsfrei fotografieren kann und so auf weiteren „Ballast“ in Form eines Stativs und/oder Blitzgerätes verzichten kann.

Dementsprechend groß ist die Anhängerschaft lichtstarker Festbrennweiten. Doch ist der Hype (noch so ein Anglizismus!) um diese Objektivgattung wirklich gerechtfertigt? Nur zum Teil.

Festbrennweiten haben durchaus ihren berechtigten Platz in jedem Objektivprogramm. Zu jedem gut sortierten Kamerasystem gehören ein Porträtobjektiv (mit einer KB-äquivalenten Brennweite von ca. 85 mm), ein preisgünstiges Standardobjektiv (ca. 50 mm entspr. KB), ein leichtes (ca. 50 mm entspr. KB) und stärkeres (ca. 100 mm entspr. KB) Makroobjektiv, im Idealfall ein oder zwei Shift-Objektive, sowie für Freunde ganz besonderer Bildeffekte ein Fisheye-Objektiv. Alles natürlich möglichst lichtstark. Ergänzen kann man das noch durch ein lichtstarkes Weitwinkel-Objektiv und durch ein lichtstarkes Tele mittlerer Brennweite, aber diese Aufgabe können eigentlich auch ein Shift-Objektiv bzw. ein Makro-Objektiv übernehmen, da diese Spezialobjektive sich natürlich auch wie ein gewöhnliches Objektiv verwenden lassen. Hersteller, die darüber hinaus noch den Profimarkt bedienen wollen, müssen u.U. noch lichtstarke Superteles anbieten.

Foto der Pen E-P1 von Olympus

Das sind schon eine ganze Menge Objektive. Angesichts dessen könnte man ja meinen, dass besonders im Objektivprogramm jüngerer Kamerasystemen noch viele Lücken bestehen, die dringend gefüllt werden müssen. Doch vergessen wir nicht: das alles sind Spezialobjektive, die für ganz bestimmte Anwendungen (Available-Light-Fotografie, Architekturfotografie, Makrofotografie etc.) gedacht sind und die eigentlich eine begleitende Funktion haben sollten, d.h. dort eingesetzt werden, wo man mit den Zoomobjektiven nicht mehr weiter kommt.

Und damit kommen wir zum springenden Punkt: Festbrennweiten sind kein Substitut für Zoomobjektive!

Längst vorbei sind die Zeiten, da Zooms – von der optischen Qualität her – einen zweifelhaften Ruf genossen und als „Gummilinsen“ verschrieen waren. Natürlich ist die optische Architektur von Zoomobjektiven immer eine Kompromisslösung im Vergleich zu Festbrennweiten (da ein Objektiv mit einer einzelnen Brennweite einfacher zu korrigieren ist), aber auf dem Gebiet der Optik bzw. der Objektivfertigung sind in den letzten Jahrzehnten so viele Fortschritte gemacht worden (teilasphärische Linsen, Nanovergütungen, computerunterstütztes Objektivdesign, elektronische Korrektur optischer Fehler etc.), dass der Qualitätsunterschied nur noch marginal ist!

Ein gutes Zoomobjektiv kann jedenfalls von den Abbildungsleistungen her selbst höchsten Ansprüchen gerecht werden und sofern die Hersteller nicht versuchen, möglichst große Zoomfaktoren zu erreichen (was immer auf die ein oder andere Art auf Kosten der Bildqualität geht), bringen Zooms optische Qualität und Komfort unter einen Hut.

Foto vom AF-S Nikkor 1,4/85 mm G

Umso bedauerlicher ist es, dass die Kamera- und Objektivhersteller einem derzeit nur die Wahl zwischen preisgünstigen Kompaktzooms (mit bescheidener optischer Qualität und Lichtstärke) und hochpreisigen Festbrennweiten mit hoher Lichtstärke lassen. Denn die natürlichen Begleiter lichtstarker Festbrennweiten sind nicht die o. g. Einsteigerzooms, sondern das, was ich hier als „Arbeitszooms“ bezeichnen würde. Also relativ lichtstarke Zoomobjektive mit nicht allzu großem Brennweitenumfang und von (sehr) guter optischer Qualität.

Typische Vertreter dieser Objektivgattung waren zu Zeiten des Kleinbildfilms und sind zum Teil heute noch das 2,8/28-70 mm und 2,8/70-200 mm (Brennweite entspr. KB). Durchaus keine besonders kompakten und preisgünstigen Objektive, aber da lässt sich ja noch ein bisschen was tun! Durch den Wegfall des Schwingspiegels und / oder des optischen Suchers bei modernen Kamerasystemen ergeben sich neue Chancen im Objektivbau (weil man u.a. durch die Verkürzung des Auflagemaßes auf einfachere optische Architekturen zurückgreifen kann), die eigentlich zu preisgünstigeren und kompakteren Objektivkonstruktionen bei gleichbleibender Qualität führen sollten.

Preisgünstiger sind die meisten Objektive zwar nicht geworden, aber kompakter schon. Wenn es zum Beispiel ein Olympus Zuiko Digital ED 2,8-3,5/50-200 mm SWD fertig bringt, kompakter zu sein als ein in etwa vergleichbares Canon EF 4-5,6/100-400 mm L IS USM, und Micro-FourThirds-Objektive wiederum ein Stück kleiner sind als gewöhnliche FourThirds-Objektive, sollte es eigentlich möglich sein, so etwas wie ein M.Zuiko Digital 2,8/35-100 mm zu produzieren, das vielleicht nicht in die Hemdtasche passt, aber samt Kamera und einem zusätzlichen Objektiv in eine Hüfttasche. Und dass ein Telezoom mit konstanter Lichtstärke von 2,8 auch nicht gleich über 2.000 Euro – wie bei Canon und Nikon – kosten muss, beweisen ja Sigma, Tamron und Konsorten recht eindrucksvoll! Selbstverständlich gelten diese Überlegungen auch für andere Mikrosysteme wie Sonys NEX-System oder Samsungs NX-Serie.

Foto vom Distagon 2/24 mm von Sony

Zusammenfassend ist es also begrüßenswert, dass fast alle Kamera- und Objektivhersteller dem Wunsch ihrer Kunden nach kompakten und lichtstarken Objektiven mit sehr hoher Bildqualität nachkommen, aber sie machen sich derzeit die Sache ein bisschen zu leicht, indem sie da fast ausschließlich auf Festbrennweiten setzen. Festbrennweiten mit ihren recht einfachen optischen Rechnungen (noch weiter begünstigt durch die elektronische Korrektur zahlreicher Abbildungsfehler) zu relativ hohen Preisen zu verkaufen, mag ja für die gewinnorientierten Firmen das ideale Geschäftsmodell sein, aber das funktioniert nur so lange, wie der aktuelle Festbrennweiten-Hype anhält!

Zur Zeit muss man jedenfalls bei manchen Systemen entweder auf Lichtstärke und Bildqualität verzichten, oder auf den Komfort eines Zoommechanismus. Was also den neueren Kamerasystemen noch dringend fehlt, ist die „goldene Mitte“ – diesen Platz sollten sich lichtstarke Arbeitszooms nicht streitig machen lassen!

(Jürgen M. Beckmesser)