Dieser Tage hat Apple sein iPad vorgestellt. Ob man es nun für revolutionär hält oder nicht – es ist jedenfalls ein weiterer Schritt auf dem Weg zu einem Paradigmenwechsel. Unsere Medienlandschaft, unser Informationsfluss und unsere Rezeption sind gerade dabei, sich gründlich umzukrempeln; und es wird ein Heulen und Zähneklappern sein:

Dass es dabei die Firma Apple ist, der es (wieder mal) gelingt, dieses herauszuschälen, ist kein so großes Kunststück – oder doch eins, wenn man sieht, wie viele andere es vorher jeweils nicht erkannt oder vergeigt haben (Nutzerfreundlichkeit, Musik, Smartphone …). Dennoch, die Dinge lagen in der Luft, die Welt ändert sich massiv, und wenn es nicht Apple gewesen wäre, wäre es eben jemand anders gewesen:
 

Information wird digital.

 
Das klingt ganz banal und selbstverständlich, und hat doch enorme Tragweite: Mit der Form der Information ändern sich auch deren Vertriebswege, Geschäftsmodelle, Inhalte und Rezeption.

Ich bin der Überzeugung, dass wir schon seit ein paar Jahren einem ähnlichen Umbruch beiwohnen wie dazumalen zu Gensfleischens Zeiten, der vor rund 550 Jahren mit dem Buchdruck mit beweglichen Lettern die Informationsverbreitung schneller und billiger und die Informationen viel größeren Kreisen zugänglich machte (vorher, wir erinnern uns, war da das teure, langsame und seltene, handkopierte Einzelexemplar). Mit Gutenbergs Drucktechnik änderte sich der Informationsfluss, der Bildungsgrad (Stichwort Alphabetisierung: wer lesen wollte, musste lesen lernen), die Information (andere, vielfältigere Interessen bestimmten nun, was publikationswürdig war); ja das Denken selbst änderte sich: vom Denken in Bildern (in Metaphern und Analogien) in ein linear-kausales (grob: Ursache und Wirkung, und das immer schön der Reihe nach). Und der einstige Meinungs-Monopolist „Kirche“ verlor sein Monopol.

Seit ein paar Jahren mache ich ähnlich gravierende Umbrüche in der Medienlandschaft aus; dank – natürlich – der Digital-Werdung der Daten. Die einzige – kleine – Bremse dabei war und ist zu Zeiten die (Un-)Möglichkeit, die Datenmengen kostengünstig zu beherrschen – zu bearbeiten, zu transportieren und zu lagern. Doch es geht voran. Zunächst kamen die Texte, dann die Druckvorlagen (Stichwort: desktop publishing) und dann Musik und Bilder.
 

Mittendrin das Internet.

 
Heute werden zunehmend auch Spielfilme digital produziert – die Hobbyfilmchen sowieso, und es ist keine Unmöglichkeit mehr, auch einen HD-Film in Spielfilmlänge zuhause am heimischen Rechner zu produzieren – selbst diese digitale Datenmenge, die noch vor wenigen Jahren schier zu gewaltig war, ist beherrschbar, formbar und transportabel geworden.

Soweit die technische Seite. Apple nun kommt das Verdienst zu, den digitalen Datenstrom in ein funktionierendes Geschäftsmodell umgeleitet zu haben – bzw. noch viel grundlegender: Die Vertriebswege selbst völlig verändert zu haben. Letztlich hat Apple, auch wenn das noch nicht allen klar ist, in einer Vorreiterrolle nämlich das alte Verlagsgeschäft überflüssig gemacht; bei Musik, bei Spielen und demnächst auch bei Schriftstücken.

Das versuchen auch andere, Apple hat das Ganze aber einfach und übersichtlich gemacht; hat Geräte und Bedienung so gut verzahnt, dass es die Leute auch nutzen wollen – und auch bereit sind, dafür zu bezahlen. Andere Firmen werden zunehmend Ähnliches tun, und es werden mehr und es wird immer besser werden. iTunes – Apples genialer Schachzug, wie sich im Nachhinein erweist – ist Sammel-, Verkaufs- und Verbreitungszentrale. Der iBookstore hat ähnliches Potential. Dazu kommen noch das Internet als Informations-Lager und Verbreitungs-Struktur und das passende Endgerät (iPod, iPhone, iPad) zur Daten-Speicherung und für den Daten-Abruf.

Der Verleger bzw. Produzent als Vermittler zwischen Künstler / Autor und Konsument und als vorausfinanzierender Geldgeber ist nicht mehr notwendig. Als iPhone-Entwickler etwa kann ich meine Apps direkt an den Endkunden bringen – via Apples Store. Und den Auflagen-Drucker wird man auch bald nicht mehr benötigen; digitale Datenströme manifestieren sich auch ohne ihn als Schriftstück auf dem iPad und anderen.

Ich kann aber auch, ab rund 30 Euro im Monat für Internet-Flatrate und Providergebühr, mit einer Website online gehen, und ein Geschäft aufmachen oder ein Blog, oder ein Magazin, oder eine Fotogalerie oder … Entsprechende Baukästen liefert fast jeder große Provider kostenlos mit. Die Schwierigkeit ist dabei, das Ganze auch bekannt zu machen bzw. an den Mann zu bringen (neben dem: es gut zu machen, natürlich). Doch da werden sich – neben Apple – in absehbarer Zeit weitere Künstler- und Autorenplattformen auftun, die die Verbreitung der Medien übernehmen.
 

Wie Touristen bei einer Folkloreshow starrt ihr über unsere Schultern auf den Monitor. Geht es da bunt und zappelig zu, dann murmelt ihr so etwas wie „Ah, Multimedia“. Ist aber nur Text zu sehen, findet ihr es langweilig. So oder so, verstanden habt ihr nichts. Was draußen, auf dem Monitor, zu sehen ist, ist nur ein schwacher Abglanz von dem, was drinnen passiert: drinnen im Kopf.

(Jörn Möller: Ihr habt keine Ahnung von unserer Welt…)

 
In ein paar Jahren haben wir eine völlig andere Medienlandschaft (digital) mit ganz anderen Herstellungs- und Vertriebswegen (online). Druckereien und Druckerzeugnisse sind dann weitgehend obsolet. (Und, nebenbei, liebe Kollegen, nein, wir werden nicht überflüssig, ganz im Gegenteil, aber unser Arbeitsfeld wird sich deutlich ändern, muss und wird „interaktiver“ werden – der Leser redet mit; und weiß auch mal was besser.)

Schon bei der Vorstellung des ersten iPhones zeigte ich mich nachgerade begeistert von den innewohnenden Möglichkeiten – mit dem iPad nun kommen wir diesen Visionen ein ganzes Stück näher. Das hat – samt Apples hervorragender Verteilungs- und Verkaufsstruktur – das Potential, den Medienmarkt komplett umzukrempeln. (Und, es sei hier nochmals erinnert: Wenn nicht Apple, dann wer anders; aber kommen wird es.)

Den Preis-Weg, den das gehen wird, hat gleichfalls Apple mit den Apps fürs iPhone gewiesen: 70 % dem Urheber bzw. Produzenten (was eine traumhafte Marge ist), 30 % dem Vertreiber (der dafür, das nur nebenbei, nicht wenig leistet: Qualitätskontrolle [ja, auch Kontrolle], Infrastruktur, Vertrieb, begrenzt Werbung). Im iBookstore sollen dem Vernehmen nach dieselben Quoten gelten. Und die Apps fürs iPhone sind nicht nur Legion, sie sind zum großen Teil kostenlos bis sehr günstig. Spiele, die vorher 30 Euro und mehr kosteten, sind für 3,99 oder 5,99 zu haben (was insofern auch „fair“ ist, als Kosten für Herstellung, Verpackung, Lagerung, Vertrieb und Groß- wie Einzelhändlermargen wegfallen können). Und doch verdienen sich die Erfolgreichen, an erster Stelle Apple, dumm und dusselig. Es gibt, natürlich, auch die weniger Erfolgreichen. Das ist aber nichts Neues, sondern das ist mal so im Kapitalismus.

Und genau so wird das letztlich bei Musik, bei Büchern und auch bei Zeitschriften kommen: Wenn ein ganzer Packen Nebenkosten wegfällt (geschätzt ca. 60-80 % für Produktion und die Zwischen-Handelsstufen), dann gibt es keinen lauteren Grund, die dem Käufer dennoch aufzubürden, und der ist auch nicht bereit, dafür zu bezahlen. Kultur und Information wird billiger, schneller verfügbar und deutlich vielfältiger. („Billiger“ heißt nicht notwendigerweise, dass weniger verdient wird. Nicht unwahrscheinlich ist, dass der Urheber sogar mehr verdient.)
 

Gutenberg 2.0, sozusagen.

 
Stehen die Vertriebsplattformen und -wege erst mal so richtig, dann gibt es keine Notwendigkeit mehr für Buch-Verleger und Musik-Produzenten, für jene also, die heute entscheiden, was publiziert wird und das dann vorfinanzieren. Ein Manuskript, ein E-Book, und der iBookstore (oder sonst einer) – und ab geht‘s in die wirklich weite Welt; zu geringsten Gestehungs-Kosten. Bei den „Apps“ funktioniert das Prinzip schon, bei Musik einigermaßen und bei Geschriebenem wird es so kommen. Und all die „Medien“ werden sich noch viel mehr verzahnen. Wichtig werden die Werber werden, die das Werk bekannt machen sollen.

Um es nochmal zusammenzufassen, und im Versuch, es auf den Punkt zu bringen:

  • Information (Musik, Bild, Film, Text) ist bereits digital oder wird gerade digitalisiert, darunter auch die Kulturschätze aus den Archiven von Bibliotheken, Zeitungen, Museen, etc. Und das kann so gut geschehen, dass das digitale Abbild weit mehr zeigt, als der Betrachter vor Ort sieht: Da Vincis Meisterwerk als 16-Gigapixel-Foto online. Die Vor-Ort-Erfahrung ist dann das Eine, die Am-Bildschirm-Betrachtung das Andere, aber nicht notwendigerweise Schlechtere.
  • Digitale Daten lassen sich schnell und einfach verteilen; die notwendige Infrastruktur existiert und wird weiter ausgebaut.
  • Letztlich braucht es einen, der die Inhalte schafft bzw. zur Verfügung stellt (das kann ein Museum ebenso sein wie ein Künstler oder ein Hobbyfotograf), einen Boten (Netze) und einen Empfänger.
  • Rein technisch kann das alles digital erledigt werden; zum Beispiel: Kamera -> PC + DSL-Modem -> Internet -> PC-Monitor.

Druckereien, Verlage, CD- und DVD-Presswerke, Papier, … – all die Herstellungs- und Verbreitungs- und Darstellungsverfahren der vergangenen Jahrhunderte – braucht es dabei wirklich nicht. (Wenn sie heute noch bevorzugt werden, dann allein deshalb, weil es in Teilbereichen noch keine adäquaten Digital-Lösungen auf der Ausgabeseite gibt – das iPad und Konsorten nagen hier wieder ein Stückchen vom Analogen ab; sie werden nicht die Letzten sein.)

Man muss kein Prophet sein, um absehen zu können, dass mit tauglichen digitalen Anzeigegeräten Gedrucktes nahezu völlig entbehrlich wird. Das betrifft Zeitungen, Zeitschriften, Bücher, auch Fotos. (Früher war mein Argument „pro Print“ immer noch das Foto in der Geldbörse zum Herzeigen – doch heute, mit Smartphone, Digitalbild-Schlüsselanhänger und E-Book-Reader? Und in 5 Jahren gibt‘s den Brieftaschen-Digitalbildrahmen, flach wie eine Kreditkarte – sofern‘s den nicht gar schon gibt.)

Doch um den viel interessanteren Gedanken nochmals aufzugreifen:

Unsere (digitalen) Informationen sind vielfältig und bunt und bewegt, und – vorwiegend für die Älteren wie mich – auch verwirrend geworden. Der Browser als das Fenster in die digitale Welt (und das ist wörtlich zu nehmen, denn damit kann ich tatsächlich alles sehen, was irgendwo auf der Welt ins Netz gestellt wird) präsentiert mir gleichzeitig Texte, Bilder, Töne, Filme; und – noch wichtiger – sammelt mir Informationen aus unterschiedlichsten Quellen aus allen Ecken der Welt. Gleiches tun digitale Anzeigegeräte wie eben das iPad, die sich nun nicht mehr auf eine Form, ein Medium beschränken, sondern u.a. Buch, Fotoalbum, Spielbrett, Bilderrahmen, Internet-PC oder auch Navigator sein können – je nach meinen augenblicklichen Wünschen. Und die beispielsweise auch ohne Weiteres einen Reisebildband mit großformatigen Fotos, eingestreuten Filmschnipseln, animierter Karte und Tondokumenten ohne Probleme präsentieren (3D könnte sich jetzt eigentlich auch bald mal durchsetzen, nachdem es seit 70 Jahren oder so immer wieder Anläufe dazu nimmt).

Auch ein wichtiger Aspekt: Dieser eben beschriebene Reisebildband kann zu vergleichsweise geringen bis nachgerade lächerlichen Herstellungs- und Verbreitungskosten von jedermann erstellt und publiziert werden. In professioneller Qualität. Kurz, die Produktions- und Präsentationsmöglichkeiten im Digitalen sind faszinierend.

Und was das „Verwirrende“, die Vielfalt, angeht: Unser linear-kausales Denken, das sich ja aus bzw. mit dem Lesen entwickelt hat (von links oben nach rechts unten – nächste Seite), ist für komplexe Probleme bzw. für Systeme offensichtlich nicht sonderlich gut geeignet, sondern tendiert zur Korrektur der (sichtbaren) Symptome statt zur Lösung der (oft vielfältigen) Ursachen – was die Probleme langfristig verschärft.

Denk- und Forschungsansätze, dies anders anzugehen, beschäftigen sich mit Dingen wie Komplexität, Vernetzung und Wechselwirkung.

Klingt doch ganz so, als könne die digitale Information in ihrer Vielfalt uns dabei helfen, dem linear-kausalen Denken zu entrinnen. Vielleicht nicht Ihnen und mir, aber doch unseren Kindern und Kindeskindern.

(thoMas)
 
 
Nachsatz #1: Computer werden seit gerade mal 70 Jahren entwickelt. Konrad Zuses Z3 aus dem Jahre 1941 gilt als der welterste funktionstüchtige Computer, 1971 fertigte Intel den weltersten Mikroprozessor in Serie und 1981 wird der IBM-PC (4,77 MHz) vorgestellt. Im Jahr 2002 wurden laut CIPA erstmals mehr Digital- als Analogkameras ausgeliefert: damals waren rund 25 Millionen Kameras digital und noch 24 Millionen analog – heute weist die CIPA Analogkameras nicht einmal mehr aus. Wir stehen gerade mal am Anfang digitaler Information.

Nachsatz #2: Ein häufiger vorgebrachtes Argument lautet, die traditionellen Medien seien schon deshalb nicht gefährdet, weil noch nie ein neues Medium ein altes abgelöst habe. Deshalb werde es auch hier ein Mit- und Nebeneinander geben. Liebe Leute, kann ich da nur sagen, zeigt mir doch bitte mal die Handschriften, die noch relevant sind für den Informationsfluss. Die Medien des 20. Jahrhunderts, die waren das Vorgeplänkel. Sie werden (bzw. sind ja schon) nun alle digital, werden zusammengeführt und zu was Neuem. Das Alte hat da keinen Platz.

Nachsatz #3: Und ja, ich bin überzeugt, dass das iPad ein ähnlicher Erfolg wird wie iPod und iPhone und einen ganz neuen Markt aufrollen und besetzen wird. „It‘s not the technique, stupid!“ – es geht nicht allein um die Technik, sondern auch darum, ob ich – bzw. Otto Normalverbraucher – auch was Sinnvolles damit anfangen kann. Es sei hier daran erinnert, dass auch das iPhone, als es vorgestellt wurde, auf heftige Kritik von Seiten der Technik-Freaks stieß, war es doch in technischer Hinsicht unterdurchschnittlich ausgestattet. Zum iPad sind ähnliche Kritiken zu vernehmen.

Nachsatz #4: Da ich ein eher optimistischer Mensch bin, sind auch die Ausblicke im Artikel oben vorwiegend hoffnungsfroher Natur. Es kann aber auch ganz anders kommen: Informationsüberflutung, -beliebigkeit, Zensur, Verflachung, … Da aber Gutenberg 2.0 nunmal kommen wird: Machen wir das Beste daraus. Und bringen wir unseren Kindern bei, mit Informationen umzugehen.