In den letzten Tagen ging der Name Vivitar im Zusammenhang mit der Insolvenz der europäischen Tochter durch die Medien. Im Grunde geht es heute nur noch um die Marke und ein paar Patentanmeldungen aus längst vergangener Zeit. Vivitar, das ist nur noch ein Abziehbild der ehemaligen phototechnischen Ikone aus Kalifornien:

Vivitar geht zurück auf das im Jahre 1938 von den deutschen Auswanderern Max Ponder und John Best in Hollywood gegründete Photohandelsunternehmen Ponder & Best. Die Firma begann als Vertrieb für deutsche Photoartikel an der amerikanischen Westküste. (Das in vieler Hinsicht entsprechende Pendant an der Ostküste war Allied Impex Corp. – AIC, aber das ist schon wieder eine eigene Geschichte.)

Nach dem Zweiten Weltkrieg erweiterte das Unternehmen sein Handelsspektrum um den Import von Kameratechnik aus Japan. Überliefert ist der Mitte der 1960er Jahre übernommene Vertrieb von Super-8-Kameras der japanischen Marke Kobena und von Kleinbildkameras von Mamiya / Sekor sowie von Komura Objektiv-Vorsatzlinsen von Sankyo Koki. Darüber hinaus bauten Ponder & Best aus Einzelkomponenten, die sie von zahlreichen kleinen Herstellern in Japan und später auch in Taiwan einkauften, ein eigenes Programm zur Ausstattung von Photolabors (P&B enlargers) auf. Mit dem Aufkommen der Spiegelreflexkameras und der dazu gehörenden Wechselobjektive begann Ponder & Best mit dem Import von entsprechenden Festbrennweiten. Logo VivitarAnfang der 1960er Jahre wurde der Name Vivitar entwickelt. Die Endung „-ar“ leitete sich von den damals üblichen Objektivnamen ab.

Lieferant der Objektive war vielfach ein Hersteller, der später unter dem Namen Tokina bekannt werden sollte. Zahlreiche dieser Objektive hatten Zwillinge, die von anderen Importfirmen auf den Markt gebracht wurden. Für Objektive mit Vorwahlblende konnte man dabei mit dem bei Tokina entwickelten T-2-Anschluss dem Photohandel die Lagerhaltung deutlich verbilligen, indem das Objektiv problemlos und kostengünstig vom Händler mit dem spezifischen Anschluss versehen werden konnte. Die zunehmende Verbreitung von automatischen Springblenden wies den T-2-Anschlüssen bald jedoch nur noch eine Nebenrolle bei Objektiven mit Brennweiten ab 300 oder 400 mm zu. Die gebräuchlicheren Brennweiten wurden in der Folge wieder mit Festanschluss oder mit dem von Tokina entwickelten TX-Anschluss (bei anderen Marken T4) ausgestattet. Der Kostenvorteil für den Händler durch die stark reduzierte Lagerhaltung war damit aber verloren gegangen und das inzwischen nach Santa Monica, CA. umgesiedelte Unternehmen Ponder and Best, Incorporated, musste neue Produktvorteile für ihre inzwischen etablierte Marke Vivitar entwickeln.

Auf der Suche nach neuen Produkten war man in den 1970er Jahren auf den japanischen OEM-Hersteller Kino Precision Industries Limited. gestoßen. Das am 13. Juni 1959 als Hersteller von Aufnahmeobjektiven für 8-mm-Filmkameras gegründete Unternehmen hatte sein Produktionsspektrum um festbrennweitige Wechselobjektive für SLR-Kameras ausgeweitet und nach einem 85-205 mm Drehzoomobjektiv, ein 70-210 mm Schiebezoom entwickelt. Dieses Objektiv kam im Jahre 1975 als Vivitar Series 1 3,5/70-210 mm Objektiv auf den Markt:
 

Foto vom Vivitar Series 1 3,5/70-210 mm

Vivitar Series 1 3,5/70-210 mm

 
In der ersten Version noch einfach vergütet, wurde das Objektiv später mit einer VMC (Vivitar Multi Coating) bezeichneten Mehrfachvergütung produziert. Für heutige Verhältnisse ziemlich gewichtig, aber auch mechanisch sehr stabil aufgebaut, brachte das neue Objektiv nicht nur die Akzeptanz von Zoomobjektiven in der Photobranche deutlich voran, sondern für die Firma Ponder & Best den weltweiten Durchbruch mit ihrer Handelsmarke Vivitar Series 1. Mit dem Vivitar Series 1 3,5/70-210 mm Objektiv spielte erstmals ein unabhängiger Objektivanbieter bei der Qualität des Objektivs in der Liga der Originalobjektivhersteller mit.

Und dabei verfügte Ponder & Best im Gegensatz zu AIC nie über eine eigene Optikfertigung. Dem Marketing von Ponder & Best war es gelungen, den Eindruck zu verbreiten, dass alle ihre Objektive von amerikanischen Ingenieuren berechnet worden waren und dann im Auftrag von japanischen Fabrikanten nach diesen Zeichnungen produziert wurden. Die Tatsache, dass z.B. Kino später weitgehend baugleiche Objektive unter seiner Eigenmarke Kiron (der große Erfolg der von Kino gelieferten Serie-1-Objektive führte dazu, dass der Hersteller Ende der 1970er Jahre seine eigene Marke Kiron erst in den USA und später auch in Europa lancierte.) vertreiben konnte, ohne dass Vivitar rechtliche Schritte dagegen unternahm, spricht eindeutig gegen diese Vorstellung, was nicht ausschließen soll, dass P&B und die amerikanischen Partnerfirmen über ein beachtliches optisches Know-how verfügten, das in die Entwicklung eingebracht wurde.

Als der Produktname Vivitar den Firmennamen überstrahlte, wurde der Firmenname im Jahre 1979 in Vivitar geändert. In der Folge brachte Vivitar zahlreiche neu entwickelte Objektive heraus, die teilweise auch von Kino produziert wurden. Andere Lieferanten aus dieser Epoche waren Komine und wiederum Tokina. Umfangreiche Informationen zu den Produzenten der Vivitar Objektive finden sich bei Mark Roberts und bei CameraQuest
 

Foto des Vivitar Series 1 3/200 mm

Vivitar Series 1 3/200 mm

 
Um eine gewisse Unabhängigkeit von den japanischen Optiklieferanten zu demonstrieren, setze man zunehmend auf etablierte Entwicklungskapazitäten in den USA und betonte dies auch, um sich vom Wettbewerb abzugrenzen. Eines dieser Entwicklungslabors war Opcon Associates in Stamford, Connecticut, dessen maßgeblicher Entwickler Ellis Betensky zuvor für den Rüstungsoptikproduzenten Perkin-Elmer gearbeitet hatte (Ellis Betensky ist heute noch mit dem früheren Rollei-Mitarbeiter Klaus Raschke u.a. in dem in Florida angesiedelten Unternehmen light capture LCI aktiv.).

Aus dem militärischen Entwicklungsfundus von Perkin Elmer stammten dann auch die beiden kompakten Spiegellinsenobjektive mit den Brennweiten 8/600 mm und 8/800 mm. Beide wurden bei Perkin Elmer in den USA für Vivitar gefertigt. Beide Objektive zeichneten sich als Solid-Catadioptric-Objektive dadurch aus, dass es im Gegensatz zu den damals schon gängigen Spiegellinsenobjektiven zwischen den einzelnen Bauteilen keine Glas-Luft-Flächen gab. Alle optischen Bauteile waren ohne Zwischenraum direkt miteinander verbunden. Durch die Bauweise war das Objektiv äußerst robust.

Foto des Vivitar 2,8/35-85 mm

Vivitar Series 1 2,8/35-85 mm

 
In der Blütezeit der Serie-1-Objektive folgten ein 1,9/28 mm, ein 2,5/90 mm Macro sowie die Teleobjektive 2,3/135 mm und 3/200 mm. Das 2,8/35-85 mm „variable focus“-Objektv verfügt über eine feste Lichtstärke über den gesamten Brennweitenbereich. Dieser in der Vor-TTL-Blitz-Zeit bedeutende Vorteil wurde mit dem Zwang zum Nachfokussieren beim Ändern der Brennweite erkauft. Zu den kurzen Brennweiten hin wurde die Reihe der Serie-1-Objektive mit dem aus heutiger Sicht ziemlich konventionellen Drehzoom 3,8/24-48 mm abgeschlossen.

Ein seltenes Highlight war das äußerlich eher unauffällige Serie 1 4,5/90-180 mm Flat Field Macro Zoom (18 Elemente in 12 Gruppen). Ursprünglich für de medizinische Photographie entwickelt, war es nach zeitgenössischen Tests das beste Zoom für Nahaufnahmen überhaupt.

Schon zu Beginn der 1980er Jahre begann jedoch Vivitars Stern im Bereich der Photooptik zu sinken. 1983 brachte man mit dem 4.5/450 mm Spiegellinsenobjektiv mit einer Kunststofffrontlinse nochmals ein Highlight der optischen Entwicklung heraus. Die Serienfertigung dieses Objektivs war jedoch deutlich aufwendiger als geplant, so dass das Objektiv bei einem hohen Verkaufspreis nur für kurze Zeit erhältlich war.

Foto vom Vivitar 285HV

Vivitar erlangte seinen photographischen Ruhm nicht nur im Bereich der Photooptik, sondern war auch einer der Pioniere bei elektronischen Blitzgeräten. Berühmt waren die Elektronenblitze 283 und 285, die zuerst in Japan, später auch in anderen Ländern produziert wurden. Die intensive Kundennachfrage nach diesen Arbeitstieren sorgte immer wieder für Neuauflagen. Der mit einem Zoomblitzkopf ausgestattete 285 wurde 2007 zum bislang letzten mal aufgelegt. Die beiden bei einer Tochter von Matsushita produzierten Blitzgeräte dürften damit die über den längsten Zeitraum kaum verändert produzierten Elektronenblitze sein. Dabei fing das Blitzgerätegeschäft von Vivitar nicht gerade erfolgversprechend an. Man hatte ein Modell von Matsushita unter dem Namen Vivitar 260 ins Handelssortiment aufgenommen und musste feststellen, dass die zum Einsatz kommende 9-V-Batterie dem Einsatz nicht gewachsen war. Max Ponder erkannte das Problem, flog nach Japan zu Matsushita und diskutierte mit den Entwicklern die vorliegenden Kundenvorschläge. Das Ergebnis war der Vivitar 283. Andere Modelle von Vivitar boten mehr Leistung oder wechselbare Reflektoren und Blitzköpfe. Sie konnten den Markterfolg der Erstlinge jedoch nie einholen.

In den späten 1970er Jahren baute man auch das Dunkelkammersortiment mit innovativen Lösungen weiter aus. Die Krönung der Entwicklung war der Farbvergrößerer Vivitar VI, der mit einer neuartigen Lichtmischung mittels eines Acrylglasstabes (light pipe) ausgestattet war. Eine weitere Besonderheit war die 18-V-Halogenlampe, die von einem stabilisierten Netzteil versorgt wurde.

Mit dem Tod der Gründer begann dann der langsame aber stetige Abstieg des Unternehmens.

Man entwickelte in den 1980ern noch einen Sofortbild-Diaprinter für Polaroidfilm. Die Erweiterung dieses Ansatzes zu einem Minifotolabor, das – mit Papierkassetten bestückt – weitgehend bei Tageslicht betrieben werden konnte, wurde ein wirtschaftlicher Misserfolg. Die Reste dieses Ausflugs waren bei amerikanischen Mailorder-Häusern noch bis Anfang der 1990er Jahre im Katalog zu finden. Gebraucht tauchen sie heute praktisch nicht mehr auf.

1986 wurde Vivitar an den australischen Händler Hanimex verkauft und sollte mit dem Serie 1 Image die Oberklasse bei Hanimex darstellen. In der Folge wurden jedoch Hanimex-Produkte wie der auch in Irland produzierte Hanimex-Diaprojektor mit dem Vivitar-Label versehen. Hanimex selbst wurde 1989 vom damals noch englischen Unternehmen Gestetner übernommen.

1992 wollte Gestetner dann die Marke Vivitar und das Fotogeschäft von Hanimex außerhalb von Australien, New Zealand und UK an Concord Camera (heute bekannt als Lizenznehmer von Polaroid und Jenoptik) abgeben. Der Vorvertrag wurde jedoch nicht umgesetzt, da Concord offensichtlich den Kaufpreis damals nicht aufbringen konnte. (Gestetner ging später in der NRG Group auf und ist heute eine Tochter von Ricoh. Hanimex Australien endete als Tochter von Fujifilm.)

Foto einer Vivitar-Spiegelreflex

Foto einer Vivitar-Spiegelreflex

Vivitar erweiterte sein Sortiment um mehr oder weniger einfache „Point and Shoot“ Kameras. Mit Kodak schloss man einen Lizenzvertrag und konnte diese einfachen Kameras auch unter diesem Namen exklusiv vertreiben. Als Ergänzung zum Objektivsortiment, das in der Zusammenstellung immer zufälliger wurde und keine klare Linie auch hinsichtlich der Qualität mehr erkennen ließ, hatte man zeitweilig auch mehrere SLR-Gehäuse von Cosina in Japan und Phenix in China im Programm.

Den Beginn des Digitalzeitalters hatte man jedoch ganz offensichtlich nicht rechtzeitig wahrgenommen. Seit 1995 beschäftigte man sich zwar mit Digital Imaging. Das Ergebnis war jedoch nur eine Sammlung von me-too-Produkten aus den üblichen Sortimenten der chinesischen OEM-Hersteller, die unter dem Markennamen Vivitar angeboten wurden und die Wende bringen sollten. Man war inzwischen nach Newbury Park umgesiedelt und hatte den Vertrieb auf die USA, Frankreich und Großbritannien konzentriert. Den Rest der Welt hatte man weitgehend vernachlässigt.

Im Jahre 2006 schien der Dornröschenschlaf des zwischenzeitlich nach Oxnard verlagerten Unternehmens mit der Übernahme durch Syntax Brilliance, einen Anbieter von LCD-Fernsehgeräten, beendet zu sein. Die neuen Produkte kamen jedoch außerhalb des angestammten Vertriebsgebiets nie in größeren Stückzahlen auf den Markt. Die einzige Konstante der letzten Jahre war der Umzug des Unternehmens. Syntax Brilliance verlagerte Vivitar in ihren alten Standort nach City of Industry, CA.

Mit der Insolvenz von Syntax Brillian wurde die Marke Vivitar im Sommer 2008 wieder auf den Markt geworfen. Sakar, ein Elektronikhändler, der in der Hauptsache Verbrauchermärkte und andere Großflächen beliefert, übernahm die Markenrechte und die bestehenden Patente, die zum überwiegenden Teil aus den 1970ern stammen dürften. Mit der Übernahme der Marke durch Sakar USA wurde die europäische Tochter Vivitar France S.A. mit Büros in Frankreich und UK vom Nachschub abgeschnitten. Für sich durchaus profitabel, war mit dem Verlust der Marke das Geschäftsmodell zerstört. Unter Zwangsverwaltung gestellt, werden derzeit alle Überreste von Vivitar UK versteigert.

Unter der Regie von Sakar wurden auf der photokina neue Produkte vorgestellt. Darunter fanden sich auch wieder SLR-Objektive, die unter dem Label Vivitar Serie 1 präsentiert wurden. Neben langbrennweitigen Objektiven fiel dabei in erster Linie ein 1,4/85 mm ins Auge. Wie das ganze Objektivsortiment der neuen Vivitar kommt auch das 1,4/85 mm Objektiv aus dem koreanischen Samyang-OEM-Angebot.

(CJ)