Foto Michael von Graffenried: Astrid und Peter, Cocainelove 2004Die Deutsche Gesellschaft für Photographie (DGPh) ehrt den Schweizer Michael von Graffenried – „einen der eigenständigsten und engagiertesten europäischen Fotografen“, einen konsequenten Grenzgänger des Mediums – mit dem Dr.-Erich-Salomon-Preis 2010:

Pressemitteilung der DGPh:

März 2010

Porträt Michael von Graffenried

Michael von Graffenried erhält Dr.-Erich-Salomon-Preis 2010 der DGPh

Der Schweizer Photograph Michael von Graffenried wird mit dem Dr.-Erich-Salomon-Preis der Deutschen Gesellschaft für Photographie (DGPh) ausgezeichnet. Die Preisverleihung findet im Rahmen der Photokina 2010 statt. Dort wird Michael von Graffenried in der Visual Gallery auch Arbeiten aus seinem umfangreichen Werk zeigen.

Der seit 1971 für „vorbildliche Anwendung der Photographie in der Publizistik“ vergebene Preis erinnert an Dr. Erich Salomon, den großen Photographen der Weimarer Republik, dem der moderne Bildjournalismus starke Anregungen verdankt. Der Preis besteht aus einer Urkunde sowie einer Leica M-Kamera mit Namensgravur und wird – als neben dem Kulturpreis höchste Auszeichnung der DGPh – jährlich verliehen.

Mit dem 1957 in Bern geborenen Michael von Graffenried ehrt die DGPh einen der eigenständigsten und engagiertesten europäischen Photographen, der seit über 30 Jahren ein konsequenter Grenzgänger des Mediums ist.

Michael von Graffenried lebt und arbeitet seit zwanzig Jahren in Paris und ist kein Photojournalist im klassischen Sinn. So hat er es von Anfang an abgelehnt, sich an eine Redaktion oder eine Agentur zu binden, und wählt seine Reiseziele, Themen und Präsentationsformen selbst. Viele sprechen von einer Kontroll- Obsession, er nennt es lieber Kohärenz. Wie für eine zunehmende Anzahl seiner Kollegen verwischen sich für ihn die Grenzen zwischen Photojournalismus und Kunst immer mehr. Als einer der Ersten publizierte er seine Langzeitprojekte medienübergreifend und präsentiert sie immer öfter auch im öffentlichen Raum.
 

Foto Michael von Graffenried: Nackt im Paradies, Federball Mädchen, Thielle 2001

Nackt im Paradies, Federball Mädchen, Thielle 2001. © by Michael von Graffenried, www.mvgphoto.com, Courtesy Galerie Esther Woerdehoff Paris

 
Ungewöhnlich und aufsehenerregend war schon Graffenrieds erste große Photoreportage. Für Nackt im Paradies, verbrachte er über 10 Jahren lang jeden Sommer bei den „Lichtfreunden“, diskreten Naturisten am Neuenburgersee. Seine Geschichten findet Graffenried praktisch überall. Der Alltag schreckt ihn dabei nicht ab, auch die banalsten Orte strahlen für ihn Exotik aus. Allerdings meidet er Plätze, an denen Photographen dicht an dicht gedrängt um das beste Bild kämpfen. Andere Risiken des Berufes scheut er indes nicht. Fasziniert durch den Einfluss islamischen Fundamentalismus auf unsere westliche Gesellschaft reiste er 1995 in den Nord-Sudan, zu einer Zeit als der Süden des Landes im Focus der Medien war. Dort photographierte er Sekretärinnen, die sich nach der Arbeit im Büro in grimmige Miliz-Kriegerinnen verwandeln. Auch den algerischen Bürgerkrieg, in dem Intellektuelle, Journalisten und Ausländer gezielt ermordet wurden, machte er zu seinem Thema. Seine dramatischen Bilder photographierte er häufig unbemerkt mit seiner Panoramakamera aus Brusthöhe. Our Town, das Porträt der US-amerikanischen Provinzstadt New Bern, die 1710 von seinem Vorfahren Christoph von Graffenried gegründet wurde, löste in der lokalen Presse eine intensive Kontroverse aus.
 

Foto Michael von Graffenried: Astrid und Peter, Cocainelove 2004

Astrid und Peter, Cocainelove 2004. © by Michael von Graffenried, www.mvgphoto.com, Courtesy Galerie Esther Woerdehoff Paris

 
Für seine Arbeit Cocainelove begleitet er über zwei Jahren Astrid und Peter, ein drogenabhängiges Paar, auf der Straße. Die Bilder zeigen einen schwierigen und unsicheren Alltag unter Drogen, zwischen Dealen, Gefängnis, Prostitution und Tod. Mit seinen Bildern hat Michael von Graffenried zwei von der Gesellschaft ausgeschlossene Menschen ein Gesicht gegeben. Dabei ist sein Blick oft hart, mitunter zärtlich, aber immer ehrlich und bezeugt ein tiefes Vertrauensverhältnis mit den abgebildeten Menschen. Etwas, das man im heutigen Journalismus allzu oft vermisst. Die Serie aus dreißig Panoramaphotographien im Format 270 x 128 cm plakatierte von Graffenried in den großen Schweizer Städten auf kommerziellen Plakatflächen. Diese Aktion wurde als ein Manifest zur Erneuerung des Bildjournalismus aufgenommen, der durch die Veränderung des Zeitschriftenmarktes immer weniger Publikationsmöglichkeiten findet.

Als in Kairo seine Bilder für eine Ausstellung zensiert werden sollten, stellte er sie kurzerhand auf dem Dach über dem 12. Stock seines Wohngebäudes aus. Für sein Projekt eye on africa porträtierte er die Einwohner Kameruns und plakatierte die Panoramen abermals in den großen Schweizer Städten auf kommerziellen Werbeflächen, um so eine „Begegnung“ der Schwarzafrikaner mit den Bürgern des helvetischen Kleinstaates zu provozieren.

„Michael von Graffenried ist in gewisser Weise der ‚Junge Wilde‘ unter den Schweizer Photographen. Seine Themen, Bilder und formalen Lösungen sind immer an der Grenze.“ So kommentierte 2005 der heutige Intendant der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn, Robert Fleck, das Werk Graffenrieds.
 

Foto Michael von Graffenried: Angst eines Zivilpolizisten, Algier 1996

Angst eines Zivilpolizisten, Algier 1996. © by Michael von Graffenried, www.mvgphoto.com, Courtesy Galerie Esther Woerdehoff Paris

 
Auch im Einsatz der photographischen Technik hat Graffenried buchstäblich Grenzen erweitert. Als erster Photograph setzt er eine Panoramakamera systematisch für Reportagen ein. Seit dem algerischen Bürgerkrieg photographiert er einen großen Teil seiner Arbeiten im Panoramaformat und präsentiert sie, abgezogen auf klassischem Baryth-Papier und fast drei Meter groß, dem Publikum auf Augenhöhe. Diese Ausstellungsform im Cinemascoop- Format ermöglicht es ihm den Betrachter direkt ins Bildgeschehen einzubeziehen.

Zurzeit arbeitet Michael von Graffenried am Portrait des Stadtteils Whitechapel in East London, wo mehrheitlich Muslime aus Bangladesch wohnen. Eine Woche nachdem die Schweizer per Volksabstimmung das Minarett-Bauverbot in ihre Verfassung aufgenommen hatten, filmte er dort die Aufrichtung eines Minarettes und stellte den Film auf YouTube ein – als individuellen Protest gegen die seiner Meinung nach menschenrechtsmissachtende Verfassung seines Heimatlandes.
 

Foto Michael von Graffenried: Sonnenuntergang in Kribi, Kamerun 2008

Sonnenuntergang in Kribi, Kamerun 2008. © by Michael von Graffenried, www.mvgphoto.com, Courtesy Galerie Esther Woerdehoff Paris

 
(thoMas)