Foto SpringerParker„Memoria Norway. An Artistic Exploration Into a Region in a State of Flux“ ist der Titel eines weitreichenden Projekts des Berliner Künstlerduos SpringerParker. Im September 2008 begaben sich SpringerParker mit Unterstützung des Goethe-Instituts Oslo erstmals nach Norwegen – in die Region Finnmark: das Gebiet nördlich des Polarkreises. Drei Expeditionen folgten. Jetzt stellen SpringerParker ihr fotografisch-audiovisuelles Kunstprojekt in Berlin vor:

Foto SpringerParker

Schon während ihrer ersten Reise sammelten SpringerParker – die stets als Duo arbeiten – Material: Wasserproben wurden entnommen. Landschafts- und Pflanzenfotografien entstanden, Bilder von Oberflächen und Strukturen – wie etwa im Stabbursdalen Nationalpark in der nördlichen Finnmark oder auf der Landzunge Knivskjellodden, dem nördlichsten Punkt Europas. Auch Tondokumente wurden aufgenommen, Frottagen hergestellt – Grundlagen für eine „Performancetour“ von Stabbursdalen bis Oslo im Jahr 2010, die das Material an seinen angestammten Ort zurückbringt: als performatives Gesamtkunstwerk.

Dem Titel des Projekts, „Memoria Norway. An Artistic Exploration Into A Region In A State Of Flux“, ist der Aspekt der Transformation eingeschrieben – ein Begriff, der für das künstlerische Denken von SpringerParker von grundlegender Bedeutung ist. Er ist es aber auch in ganz konkretem Sinn: Die Pflanzenwelt, die Landschaft jener Region befindet sich – bedingt durch den Klimawandel – in ständiger Veränderung: in a state of flux. „Wir suchen nach einer Bildsprache, um jenen Prozess beschreiben zu können, der sich vehement und neu in unser aller Bewusstsein schiebt“, so SpringerParker.

Schon immer galt die Finnmark, das nordöstliche, an Russland grenzende Norwegen, als nicht bezwingbarer, überaus rauer Ort von einer sonderbaren Schönheit. Als eine lebensfeindliche, bevölkerungsarme Gegend, deren natürliche Beschaffenheit aufgrund ihrer eisigen Temperaturen nicht zu zähmen war – und die auf besondere Art mit Deutschland verbunden ist: Im Winter 1944 auf 1945 war die Finnmark den systematischen Zerstörungen deutscher Truppen ausgesetzt, die bei ihrem Rückzug vor der Roten Armee Haus um Haus, Dorf um Dorf zerstörten.

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Diese einsame, stille Landschaft ist aufgrund des Klimawandels im Transformationsprozess: So steht die Rentierzucht der Volksgruppe der Sámi – der Samen – auf dem Spiel, gleichzeitig werden enorme Rohstoffreserven frei. Die Region rückt zunehmend in den Fokus wirtschaftlicher Interessen. Es ist dieser besondere, historisch einmalige Moment, der SpringerParker interessiert, den es jetzt aufzuzeichnen gilt: jener Moment, in dem die Region „kippt“, Wandel sichtbar wird.

Eine Vorgehensweise der Dokumentation dieses Moments ist für SpringerParker das Beobachten und Fotografieren: Vor weißem Karton fertigen sie Aufnahmen von Pflanzen und Erdoberflächen an. Diese Werkgruppe nennen sie „Florae”, kleinformatige Fotografien. Die Pflanzenfotografien sind nötig, um Ausdrucke auf halb-transparentem Architektenpapier herzustellen, die an einem von oben beleuchteten Glastisch live collagiert, abgefilmt und mittels einer selbst entwickelten Software zu neuen Bildern, „Compositemischungen“ verarbeitet, verdichtet und live projiziert werden. Doch auch damit ist der Prozess nicht abgeschlossen. Ein weiteres Ergebnis sind Ausbelichtungen jener „Composites“ von Pflanzen auf Fotopapier – welche SpringerParker in klassischem Holzrahmen präsentieren.

Ein weiterer Teil von „Memoria Norway“ ist die Arbeit mit Wasserproben, die in Norwegen entnommen wurden. Es ist das Wasser jener ehemaligen Permafrost-Region, deren Boden nun immer wärmer wird – viele arktische Pflanzen wird es bald nicht mehr geben. In Berlin wird das Wasser zu Eisplatten gefroren, deren Strukturen auf fotografisches Material belichtet – die „Permafrost”-Fotoserie.

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„Memoria Norway“ ist eine Expedition, eine Forschungsreise, die in gleichem Maße traditionelle, wie sehr utopische Züge trägt. Doch nicht Inbesitznahme, nicht wissenschaftliches Interesse ist ihre Triebfeder, sondern transdisziplinäre Weltzugewandtheit, künstlerisch-experimentelle Reflektion, der Wunsch nach Transformation von, wie sie selbst sagen, „akustischen und visuellen Eindrücken und Erinnerungen“.

Mit ihrer Arbeit stellen sich SpringerParker deutlich gegen fotokünstlerische Trends und Strömungen der vergangenen Dekade, die Welt abzubilden. Dagegen erinnern sie in ihrer Haltung an Vergangenes, an jene Tendenz des Surrealismus etwa, Wissenschaftliches, die Medizin, die Mathematik, die Psychoanalyse, zum Ausgangspunkt künstlerischer Erforschungen zu machen, die nicht auf ein Äußeres, Objektives zielen, sondern – im Gegenteil – auf ein Inneres, Subjektives.

Ihr Interesse an objets trouvés ist groß, an Fragmenten des Wirklichen, die sich zur Weiterverarbeiten – zur Transformation, zur Neukombination – empfehlen. Genauso wie etwa für Max Ernst, André Breton oder Man Ray (den SpringerParker auch für seine Rayogramme schätzen) ist für das Berliner Künstlerduo die Wissenschaft ein Ausgangspunkt, von dem man künstlerisches Terrain betreten kann. Wissenschaft ist für sie ein Poesie-Erreger, der die Fantasie entzündet.

SpringerParker sind daran interessiert, aufzuklären, über den Klimawandel etwa, über die Vegetation, über das Leben der Menschen der Region, auch über die wichtige Rolle, welche die norwegische Landschaft in der Kunstgeschichte gespielt hat, doch genauso geht es ihnen um die Brechung ihres erweiterten Landschaftsbegriffs, die Brechung allzu deutlicher Bilder. Verschleierung, Irritation, Geheimnis, Metamorphose: All das spricht aus der Kunst von SpringerParker.

„Memoria Norway. An Artistic Exploration Into A Region In A State Of Flux“ ist eine Collage, eine tiefgründige, multimediale Reise in eine unbekannte Region, ist Versuch, einen assoziativen Strom der Bilder und Klänge, optischer und akustischer Signale zu schaffen, auch, der Improvisation freien Raum zu geben, etwas Unerwartetes zuzulassen. Das Ziel ist nicht wenig, nämlich: eine neue Sichtweise auf die Landschaft. Jetzt stellen SpringerParker ihr Kunstprojekt im Petra Rietz Salon in Berlin vor – bevor sie sich bald wieder in den Norden verabschieden.

(Marc Peschke)
 
 
Siehe auch die Webseite zum Projekt:

MEMORIA Norway

Ausstellung in Berlin:
21. Januar bis 10. März 2010
SpringerParker MEMORIA Norway
Petra Rietz Salon
Koppenplatz 11A
10115 Berlin
Mi – Fr 15 – 18 Uhr und nach Vereinbarung
T +49 (0)172 / 64 91 599