Reisen kann man, indem man ins Auto steigt, ein Zugticket kauft, den Rucksack schnürt – oder den nächsten Flughafen aufsucht. Doch nicht nur. Reisen kann man auch, indem man Fotobücher kauft. Wir reisen in diesem Monat unter anderem nach Russland, in die Tschechische Republik, entlang des Jakobswegs, nach Berlin, Österreich und New York. Auf geht’s!

Ausführlich haben wir schon über das Buch „No Direction Home“ von Andrej Krementschouk berichtet. Jetzt hat der 1973 in Gorki geborene Fotograf mit „Come Bury Me“ bei Kehrer seinen neuen Band veröffentlicht, der ungleich härtere Bilder zeigt.
 

Foto Andrej Krementschouk
 
 
Foto Andrej Krementschouk

 
Nun ist nicht mehr die bäuerliche Idylle der Heimat das Thema, sondern das Zusammenleben einer Gruppe von Obdachlosen in einer baufälligen Hütte einer russischen Kleinstadt. Ein Leben am Rande der Gesellschaft, geprägt von Armut, Alkoholismus, aber auch Wärme und Zärtlichkeit. „Komm mich begraben“, so verabschiedete eine der fotografierten Frauen Krementschouk nach Fertigstellung der Serie. Bei seiner Rückkehr im folgenden Jahr fand der Fotograf nur noch eine Ruine der Hütte vor, die einem Brandanschlag zum Opfer gefallen war. Bis auf eine Bewohnerin kamen alle in der Serie gezeigten Menschen in den Flammen um. „Come Bury Me“ ist bei fotodoks, dem Festival für dokumentarische Fotografie in München, vom 14. bis zum 17. Oktober zu sehen.
 

Fotos Chris Kremberg

 
Chris Krembergs bei Kerber erschienenes Buch „Nackt.Pur“ ist in Zusammenarbeit mit Tänzern entstanden. Stets geht es in den Bildern der 1971 geborenen Fotografin um das Verhältnis des Einzelnen zum urbanen Außenraum – ein Verhältnis, das wir in den Fotografien als äußerst gespannt wahrnehmen.

„Cerna hvezda. Schwarzer Stern“ versammelt in Ostrava entstandene Bilder von Kim Bouvy, Kai-Olaf Hesse, Bernd Langmack, Andreas Mader, Arwed Messmer, Peter Oehlmann und Christian von Steffelin. Ostrava, die drittgrößte Stadt Tschechiens, befindet sich in einem Prozess starker Veränderung. Die Zeugnisse der industriellen Geschichte der Stadt verschwinden zusehends – das Stadtbild änderte sich in den vergangenen Jahren dramatisch. Der im Verlag für Moderne Kunst erschienene Fotoband ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit von Fotografen, Historikern, Bürgern der Stadt Ostrava, Schriftstellern und Architekturhistorikern.
 

Foto Frantisek Zvardon
 
 
Foto Frantisek Zvardon

 
Ein populäreres Thema als Ostrava behandelt der Fotograf Frantisek Zvardon in seinem neuen, im Michael Imhof Verlag erschienenen Buch. Zahlreiche Fotobücher sind mittlerweile über den Jakobsweg erschienen, doch seines ist etwas anders, denn der großformatige Band zeigt ausschließlich Luftbilder. Der Blick von oben ist neu, denn er setzt den bekannten, oft romantisierenden Bildern reduzierte, minimalistische Formen entgegen: Nicht das Spirituelle ist das Thema des Fotografen, sondern die ästhetischen Strukturen, welche die Landschaft auszeichnen. Unter der fotografischen Ägide Zvardons zeigt sich der Pilgerweg zum Grab des Apostels Jakob von neuer Seite. Er fotografiert Landschaften, Dörfer und Städte aus einem Hubschrauber … und die Vogelperspektive – in der Fotografie seit dem 19. Jahrhundert bekannt – fasziniert noch immer. Da wird der Pilgerweg zu einer schier endlosen Linie in der Landschaft, zu einem langen Band, auf dem kleine Ameisen-Menschen trippeln. Der Mensch ist sehr klein – auch diese Erkenntnis bestätigen die Fotografien von Frantisek Zvardon. Ergänzt um einen Text der Autorin Joëlle Bernhard – die einen guten Abriss der Historie des Weges und seiner religiösen Hintergründe gibt – ist das hochpreisige Buch ein opulentes Schwergewicht unter den Jakobsweg-Büchern dieser Saison.
 

Seite aus FotoSkulptur

 
„FotoSkulptur. Die Fotografie der Skulptur 1839 bis heute“ rückt ein oft vernachlässigtes Thema in den Mittelpunkt. Auf 256 Seiten und mit 366 Abbildungen ist es nicht weniger als eine Bestandsaufnahme der Geschichte der Fotografie als Möglichkeit der Kunstinterpretation. In dem Buch geht es um die Schnittmenge und das Wechselverhältnis von Fotografie und Skulptur – darum, wie die Fotografie bis in die Gegenwart unsere Vorstellung von Skulptur prägt. Wer die im Buch vorgestellten Arbeiten im Original sehen möchte, muss etwas weiter reisen: Das MoMa in New York zeigt die Schau bis zum 1. November, das Kunsthaus Zürich vom 25. Februar bis zum 15. Mai 2011.
 

Fotos Julia Kissina

 
„When Shadows Cast People“ versammelt neue Arbeiten der Fotografin Julia Kissina. Bilder, für die Kissina keine weite Reise unternehmen musste. Sie sind vom Balkon ihrer Berliner Wohnung aufgenommen – und zeigen Menschen, deren Schatten lebendig werden, sich unabhängig machen und ganz neue Figuren erschaffen. Phantasievolle Betrachter erkennen in diesen Schatten Mickey Mouse, Nosferatu, Minotaurus, ein Bär mit Revolver – oder sogar Jimi Hendrix.
 

Foto Helmut Steinecker

 
Strenger, konzeptioneller das neue Fotobuch von Helmut Steinecker. „Unterwald“ heißt es, ist in der Fotohof edition erschienen und zeigt Bilder der vergangenen drei Jahre. Unterwald ist ein Ortsteil von Windhaag bei Freistadt in Österreich und liegt direkt an der Grenze zu Tschechien. Es ist ein gewöhnliches Dorf und gewöhnlich sind die Bilder, die Steinecker hier findet: Es ist so, wie es eben ist. Wir sehen Bäume, Häuser, Fahrzeuge, Werkzeuge, Tiere und Menschen – und es stimmt, was Alexandra Ertelthalner über die Serie schreibt: „’Unterwald’ erfasst ein geographisches Gebiet vollständig in seiner Ganzheitlichkeit.“
 

Foton aus Subraum

 
Auch ein weiteres in der Fotohof edition publizierte Buch möchten wir Ihnen vorstellen: „Subraum“ versammelt Fotografien von Gregor Sailer, Johannes Naumann und Stefan Tuschy. Die 2005 im Ruhrgebiet entstandene Serie zeigt unterirdische Räume, nüchterne Architekturen, endlose Korridore, abstrakte Strukturen. Auch das ist Fotografie: die Darstellung einer unbemerkten Welt in der Tiefe, fernab des Menschen. Orte der Lagerung, der Archivierung, der Technik. Kalte, unheimliche Bilder.
 

Foto Angelika Platen

Angelika Platen: Joseph Beuys, 1968
 
 
Foto Angelika Platen

Angelika Platen: Julian Rosefeldt, Berlin, 2001

 
Angelika Platens Künstlerporträts sind allseits bekannt, doch ihren neuen Bildband wollen wir trotzdem kurz nennen. „Angelika Platen: Künstler“ heißt er ganz schlicht – und versammelt Schwarzweiß-Porträts von Künstlern wie Joseph Beuys, Walter De Maria, Sigmar Polke, Günther Uecker, Hanne Darboven, Jonathan Meese, Julian Rosefeldt, Sylvie Fleury oder Sophie Calle. Ein Gang durch die Geschichte der Kunst der letzten 50 Jahre.
 

Foto Loredana Nemes

Loredana Nemes: SV Galatasaray, Berlin Neukölln, 2008
 
 
Foto Loredana Nemes

Loredana Nemes. UENAL, Berlin Neukölln, 2009

 
Loredana Nemes’ Buch „Beyond“ zeigt Berliner Männerwelten hinter verhängten Fenstern, schemenhaft zu erkennende Männergesichter hinter Fensterscheiben, vage Gesichtszüge. So hat die 1972 in Rumänien geborene Fotografin türkische Männer in ihren Cafés in Neukölln, Kreuzberg oder Wedding fotografiert. Was soll das? „Ich fotografiere ihre Außenmembran, die uns die Innenwelt nur schemenhaft andeutet und die Trennung zwischen den Welten visualisiert“, sagt Nemes, doch dieses Buch will uns nicht recht überzeugen. Diese verschwommenen Porträts übernehmen die unscharfe Perspektive, welche man als Deutscher von den gezeigten Orten hat. Sie fragt sich und uns, was denn nun hinter all diesen Scheiben passieren mag – doch eine Antwort gibt sie nicht. Das Museum Neukölln zeigt die Serie vom 19. November bis zum 20. Februar.

Und noch ein letztes Buch möchten wir Ihnen in diesem Monat vorstellen – nicht wirklich ein lupenreines Fotobuch, aber sehenswert in jedem Fall: „New York auf Postkarten 1880-1980“ heißt der Band, ist im Verlag Scheidegger & Spiess erschienen und ist gleichermaßen eine Architekturgeschichte New Yorks – und eine Geschichte der Blicke auf New York. Präsentiert wird in dem opulenten Band die einzigartige Postkarten-Sammlung des Zürcher Architekten Andreas Adam.

(Marc Peschke)
 

aus: New York auf Postkarten 1880-1980

Der Passagierdampfer S.S. United States verlässt New York auf dem Weg nach Europa, ca. 1950
 
 
aus: New York auf Postkarten 1880-1980

ca. 1970
 
 
aus: New York auf Postkarten 1880-1980

ca. 1950