Ganz ehrlich, Fotoausstellungen, die ins Herz treffen, Bilder, die uns sehr stark berühren, die gibt es gar nicht so oft zu sehen. Und es ist gar nicht so einfach, eine Auswahl zu treffen in diesem Dschungel von Ausstellungen und Fotobüchern. Aber auch in diesem Monat haben wir wieder ganz genau hingesehen … und einige Perlen für Sie gefunden:

Zuerst aber wollen wir nochmals auf einen Fotografen hinweisen, der soeben in Berlin präsentiert wurde. Im Willy-Brandt-Haus war unter dem Titel „Orte, Landschaften, Seelenzustände“ eine Schau des im Jahr 2000 verstorbenen italienischen Fotografen Mario Giacomelli zu sehen. Giacomelli wurde 1925 in dem kleinen Dorf Senigállia in den Marken geboren – und was noch ungewöhnlicher ist: Er blieb auch sein ganzes Leben dort.
 

Foto Mario Giacomelli, Priesterserie 1961-1963

Mario Giacomelli, Priesterserie 1961-1963
 
 
Foto Mario Giacomelli, Scanno, Bilder aus dem Dorf 1957-1959

Mario Giacomelli, Scanno, Bilder aus dem Dorf 1957-1959

 
Seine bekannte, in einem Priesterseminar fotografierte Serie „Io non ho mani che mi accarezzino il volto“ entsteht Anfang der sechziger Jahre – berühmt wurde etwa das Bild der im Schnee tanzenden Priesterseminaristen. Ein Dokument großer Lebensfreude und Unbeschwertheit. Andere Serien sind von größter Intimität. Etwa jenen Bildessay, den er im Bergdorf Scanno in den Abruzzen fotografiert hat: archaische Bilder einer damals noch traditionellen bäuerlichen Welt, die von John Szarkowski 1964 im Museum of Modern Art gezeigt wurden – der Durchbruch für den italienischen Fotografen, dessen Werk in vielen Fotobüchern publiziert worden ist: Mario Giacomelli (bei amazon.de)

Von ähnlicher Schönheit ist das Werk des türkischen Fotografen Ara Güler, dessen Arbeiten des alten Istanbul bis zum 20. Mai in der Münchener Galerie Ikona Art gezeigt werden. Güler hat Zeit seines Lebens vor allem seine Heimat fotografiert, vor allem und immer wieder den Stadtteil Beyoglu, wo er geboren wurde und auch heute noch lebt. In den fünfziger und sechziger Jahren entstanden seine klassischen Arbeiten – Bilder einer Stadt, die begann, sich zu verändern, in der aber die Schätze der Vergangenheit, die traditionellen Lebensformen noch immer greifbar waren. Diese Bilder zeigen eine Metropole, die arm ist – aber reich an Geschichte. Reich an Geschichten, reich an Menschen, in deren Gesichtern man diese Geschichten lesen kann. Melancholische Geschichten aus einer heute verschwundenen Stadt. Wie anders sieht Beyoglu heute aus.
 

Foto Ara Güler
 
 
Foto Ara Güler
 
 
Foto Ara Güler
 
 
Foto Ara Güler

Fotos Ara Güler

 
Schon jetzt verspüren wir Wehmut beim Betrachten, denn das, was wir hier sehen, das ist tatsächlich – unwiederbringlich – verloren. Ungestellt, unmittelbar sind Gülers Kompositionen, aus dem Leben gegriffen, kontrastreich und geheimnisvoll, voller Lebendigkeit. Es ist das Menschliche im Alltagsleben, das der Fotograf ans Licht zu bringen versteht.
 

Foto Anita Back
 
 
Foto Anita Back

Aus „Die Auserwählten. Ein Sommer im Ferienlager von Orlionok“
Fotografien von Anita Back, Edition Braus, € 29,95, Berlin 2012
© Anita Back

 
Nach zwei Vertretern der Schwarzweißfotografie wird es nun Zeit für ein bisschen farbige Gegenwart. In diesem Monat empfehlen wir das Buch einer Berliner Fotografin, die im russischen Ferienlager Orlionok fotografiert hat: Anita Backs Band „Die Auserwählten. Ein Sommer im Ferienlager von Orlionok“, erschienen in der Edition Braus. Anita Back ist eine gute Architekturfotografin mit Sinn für Details, doch vor allem gelingt ihr in dem Buch eine intensive Zeichnung einer intensiven Lebenszeit zwischen Kindheit, Jugend und jungem Erwachsensein.
 

aus: Colossal Youth; Foto Andreas Weinand
 
 
aus: Colossal Youth; Foto Andreas Weinand
 
 
aus: Colossal Youth; Foto Andreas Weinand

Aus „Colossal Youth“ von Andreas Weinand

 
In den vergangenen Monaten sind einige intensive Fotobücher über Jugendliche erschienen. Eines der eindringlichsten war „Colossal Youth“ von Andreas Weinand, der in den Jahren 1988 bis 1990 eine Freundesgruppe fotografiert hat. Und auch Back gelingt es, jene eigentlich unsagbare Verfassung der Jugendlichen in kräftige Farbbilder zu gießen, die tief ins Herz stoßen.

Das fotokünstlerische Großprojekt in diesem April ist zweifellos RAY. RAY Fotografieprojekte Frankfurt/RheinMain ist eine neue Foto-Triennale mit einem 200tägigen Programm, das auf Qualität hoffen lässt. Immerhin sind die Veranstalter ausgewiesene Kenner der Szene: Unterschiedliche Institutionen wie die Art Collection der Deutschen Börse, die DZ BANK Kunstsammlung, die Darmstädter Tage der Fotografie, das Fotografie Forum Frankfurt, der Frankfurter Kunstverein, das MMK, die Marta Hoepffner-Gesellschaft für Fotografie in Hofheim, die Opelvillen Rüsselsheim und das Städel haben sich zusammengeschlossen, finanziert vom 2006 gegründeten, rührigen „Kulturfonds Frankfurt RheinMain“, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Kulturregion Frankfurt-Rhein-Main zu stärken – und bei seiner Tätigkeit stets die Vernetzung kultureller Akteure im Sinn hat. Das Gesamtvolumen von RAY beträgt knapp eine Million Euro – davon trägt der Kulturfonds einen maßgeblichen Anteil.
 

Foto

Robert Boyd
Geboren 1969, USA
Xanadu (Ausstellungsansicht), 2006
© Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers und Julia Stoschek Collection, www.robertboyd.info

 
Am 20. April startet RAY nun mit einer großen Hauptausstellung, die den Titel „Making History“ trägt und sich mit der künstlerischen Reflexion öffentlicher Bildern befassen wird. Bis Oktober sollen an zwölf Orten neue Tendenzen der Foto- und Videokunst sichtbar gemacht werden, mit Ausstellungen, Vorträgen und Workshops. Verantwortlich für das Programm sind die Kuratoren Anne-Marie Beckmann, Lilian Engelmann, Peter Gorschlüter, Dr. Holger Kube Ventura, Alexandra Lechner und Celina Lunsford – ihr Hauptthema ist ein kuratorischer Klassiker, denn es soll um den Begriff der „Zeit“ gehen.
 

Kathrin Günter, Untitled, 2007, Aus der Serie „Star Shots 2“

Kathrin Günter
Geboren 1971, Lüchow Dannenberg, Deutschland. Lebt in Berlin
Untitled, 2007
Aus der Serie „Star Shots 2“
© Mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin, www.fotokatie.com

 
Celina Lunsford, Leiterin des Fotografie Forum Frankfurt, ist jedenfalls sehr optimistisch: Aus einem Round-Table-Gespräch, erzählt sie, sei das Projekt entstanden. „Wir hoffen auf viele Besucher, denn unsere Region bietet eine einzigartige Vielfalt kultureller Institutionen, die mit Fotografie arbeiten.“ Persönlicher Ausstellungstipp von Lunsford ist übrigens eine Ausstellung des italienischen Fotografen Marco Anelli, die unter dem Titel „In Your Eyes” 1545 Porträts versammelt, die Anelli von Museumsbesuchern des MoMA in New York gemacht hat. „Eine erstaunliche Dokumentation“, findet Lunsford. Mehr noch: „ein großartiges Konzept für eine Studie menschlicher Emotionen.“

Bleiben wir in Frankfurt. Götz Diergarten, 1972 in Mannheim geboren und heute in Frankfurt am Main lebend, gilt seit einigen Jahren als ein Vertreter einer strengen, konzeptionellen Fotografie. Der ehemalige Becher-Schüler untersuchte in Farbserien unsere nächste Umgebung, zeigt Fassaden, Türen oder U-Bahnstationen in sachlicher Anmutung – Typologien des Alltags. Jetzt ist ein neues Buch im Moser-Verlag erschienen, das den Titel „Back To The Roots“ trägt.
 

Götz Diergarten, „Back To The Roots“

Götz Diergarten, aus „Back To The Roots“

 
Der nun anlässlich der Verleihung des „Pfalzpreises für Bildende Kunst 2010“ erschienene Band versammelt Diergartens Fassaden sowie Arbeiten, die im Krakauer Stadtteil Nowa Huta entstanden sind mit neuen Werken der seit 2006 entstehenden „METROpolis“-Serie, die das U-Bahn-System der 22 Hauptstädte Europas zum Thema hat. Es ist vor allem die malerische Qualität der Dinge – der Fassaden, Wände und Türen –, die Diergarten so zum Vorschein bringt und damit die Wahrnehmung sensibilisiert. Seine Fotografie ist unspektakulär – aber damit womöglich ein präziseres Abbild der Welt als viele andere Bilder, die nach Schönheit, Glamour und Originalität trachten.

Am Ende von Foto-Frisch steht wie immer eine Empfehlung, Fotokunst käuflich zu erwerben. Man kann in Onlinegalerien fündig werden, bei Fotokunst-Galerien, auf Kunstmessen, in Auktionshäusern, bei Kunsthändlern – oder auch in den Ateliers der Künstler selbst. Wir möchten Ihnen in Zukunft Arbeiten vorstellen, die wir für sammlungswürdig halten – angeboten von seriösen Galerien, Verlagen oder Händlern.
 

Foto

Ara Güler, Allah, The Old Mosque, Edirne 1956
Pigmentprint auf Büttenpapier, 25×30 cm, handsigniert
2000 Euro

 
Diesmal empfehlen wir zwei handsignierte Pigmentprints auf Büttenpapier von Ara Güler, welche die Galerie Ikona Art anlässlich der Ausstellung anbietet in München anbietet. Der kleinere der beiden Prints ist für 2000 Euro erhältlich, der größere für 3000 Euro.

(Marc Peschke)